Die Tochter von Martin Walser erzählt in ihrem historischen Roman vom Wiener Mysterienarzt Anton Mesmer und seiner wichtigsten Patientin, der jungen Frau Resi.

Er ist berühmt und berüchtigt. Mozart sucht seinen Rat, Kleist seine Hilfe - und seine Methode, die "Magnetisierung" des Patienten zum Zweck seiner Heilung, sorgt im Wien der 1770er-Jahre für Aufsehen. Anton Mesmer soll einem unbekannten blinden Bäckermeister zum Sehen verholfen haben, die ganze Stadt spricht darüber. Auch die Eltern der 18-jährigen Maria Theresia Paradis treibt das um. Bei einem Diebstahl in ihrem Haus, in Feuer, Rauch und Panik verlor das damals dreijährige Mädchen sein Augenlicht. Als "blinde Klavieristin" ist sie berühmt, sie trifft genau den Anschlag, ohne die Tasten zu sehen. Die Eltern verdienen nicht schlecht an der behinderten Pianistentochter. Doch für eine große Karriere wäre es gut, wenn "Resi" wieder sehen könnte.

Also wird Mesmer konsultiert und erfährt gleich bei der ersten Begegnung vom Vater, einem Sekretär am kaiserlichen Hof, dass die Tochter vor der Kaiserin gespielt habe. Als der geschwätzige Vormund Tage später das Mädchen dem Arzt übergibt, nimmt es mit der Perücke auch Schleifchen, Bänder und Glöckchen vom Kopf. Zum Vorschein kommt ein kahl geschorener Schädel, rabiat mit Quecksilber und Schwefel behandelt und vernarbt.

Aus der Zeit der Torturen durch diverse Ärzte habe sie das Gefühl eines "brennenden Schmerzes" in Erinnerung, erzählt Resi. Für Mesmer wird sie zur wichtigsten Patientin. Sollte es ihm gelingen, die "Jungfer Paradis" sehend zu machen, würde selbst die Kaiserin seine Methode honorieren und der "Mesmerismus" wäre anerkannt.

Anton Mesmer, 1734 am Bodensee als Sohn eines Försters geboren, ist eine historische Figur und als Arzt und Wissenschaftler Erfinder der Theorie vom "animalischen Magnetismus". Er behandelte nicht zuerst den Körper des Kranken, sondern das Fluidum, das alle lebendigen Körper umgibt und sie beeinflusst. Ist das Fluidum gestört oder ungleich verteilt, ist Krankheit die Folge. Also muss der Magnetismus wieder in Balance gebracht werden. Bei Resi gelingt das auf beispielhafte, aber auch mysteriöse Weise. Mit hypnotischer Kraft und durch Suggestion verhilft der Arzt ihr zum Augenlicht. Es soll die Wirkung des Universums gewesen sein, die Körper und Seele harmonisierte. Das sei durch Magnetisierstäbe, mit denen Mesmer seine Patientin berührte, geschehen. Zudem wurde seinen Händen eine energieintensive Heilkraft zugesprochen.

Alissa Walser lässt durchblicken, dass die junge Frau an psychologischer Blindheit litt. Das, was man ihr, dem frühen Wunderkind, diesem schutzlosen Objekt ihrer ruhmsüchtigen Eltern, antat, wollte sie nicht sehen. Der 48-jährigen Tochter von Martin Walser geht es hauptsächlich um die Schicksalhaftigkeit des bedrängten Menschen. Sie sieht in Resi ein Opfer, aber auch in Mesmer. Denn der ist nicht Marketing-kompatibel. Er kann das, was er tut, nicht in Sprache übersetzen, und was nicht erklärt werden kann, das wird nicht geglaubt. Böse Zungen an der Wiener Hofburg lästern über den geheimnisvollen Wunderarzt, Gerüchte ziehen ihre Kreise - und am Ende muss Mesmer, Wiens bekanntester Arzt, gedemütigt aus der Stadt fliehen.

Nachdem nämlich seine berühmte Patientin geheilt erschien, nahm deren Vater sie sofort wieder in sein Haus, und kurz darauf gerät sie in die Hände von eifersüchtigen Ärzten, die Mesmers Methoden als Scharlatanerie einstufen. Resi erlebt einen rätselhaften Rückfall und verliert sehend ihre Begabung des blinden Anschlags am Klavier, ihre Finger geraten außer Kontrolle, "wie ein Trupp nach allen Seiten auseinanderstrebender Kutschpferde". Dann verfällt sie wieder in Blindheit, diesmal lebenslang. Ohne ihren vertrauten Arzt Anton Mesmer, der durch Gespräche, Musik und Sitzungen, die Freuds späteren Therapien gleichen, heilte und als Vorbereiter der Psychotherapie gilt - fällt die Jungfer zurück ins Martyrium.

Alissa Walsers Sprache ist knapp und präzise, sie erzählt sowohl aus der Perspektive der jungen Frau als auch aus der des Arztes. Ob Mesmer ein verkanntes Genie war, bleibt offen, die psychischen Phänomene seiner Praxis, Mesmers Menschlichkeit, sind der Autorin wichtiger. Ihr Romandebüt, sie schrieb bisher Erzählungen, beeindruckt.

Alissa Walser: Am Anfang war die Nacht Musik. Piper-Verlag, 256 S., 19,95 Euro.

Alissa Walser liest am 11.2. aus ihrem Roman im Hamburger Literaturhaus, Schwanenwik 38, Volker Hage moderiert, Beginn 20 Uhr, Eintritt 10/8/6 Euro. Das Hörbuch, gelesen von Ulrich Pleitgen, erscheint im Februar bei OsterwoldAudio.