Mitte der 70er stieg sein Stern am Jazzhimmel auf. In der Laeiszhalle unterstrich der US-Musiker erneut seinen Geniestatus.

Hamburg. Pat Metheny hat sich von irgendwem dazu breitschlagen lassen, sein gestreiftes Matrosen-Sweatshirt, mit dem er seit Jahrzehnten am liebsten auf die Bühne geht, gegen ein schwarzes Hemd zu tauschen. Doch die Ärmel sind hochgekrempelt, der Kragen sitzt locker, und das Hemd schlabbert ihm so nachlässig über der Hose, dass jeder sieht: Es ist Pat Metheny immer noch genauso egal, wie aussieht, was er anhat - wie seit Mitte der 70er, als sein Stern am Himmel des Jazz aufzusteigen begann.

Am Mittwochabend gab der Kumpeltyp aus Lee's Summit, Missouri, ein Solokonzert in der ausverkauften Laeiszhalle, an dessen Ende man nur feststellen konnte: Der Mann läuft zwar immer noch rum wie ein besserer Hobo, wird aber immer mehr zu dem Genie, für das er selbst sich womöglich am wenigsten hält.

Wer bin ich, und wenn ja, wie viele: Die Lust, auch noch jemand anderes zu sein, die eigene Identität zu multiplizieren, hat Pat Metheny stilistisch oft erprobt - von ländlich-offener Sonnenuntergangsmusik des amerikanischen Mittelwestens bis zu den harschen Klangzeugnissen auf "Zero Tolerance For Silence", von den brasilianisch inspirierten Texturen seiner Group bis zu "Song X" mit dem Free-Jazz-Veteran Ornette Coleman. Nie ist er weitergegangen als jetzt mit "Orchestrion", dem Soloprogramm für einen Musiker mit vielen Gitarren und einem dreistöckigen Regallager voller ferngesteuerter Instrumente im Rücken.

In der ersten halben Stunde seines Konzerts führte Metheny noch mal die einzigartige Klasse vor, die er auf der elektrisch verstärkten akustischen Gitarre besitzt. Anschlagskultur, Drive, sein Vermögen, noch die komplexesten harmonischen und melodischen Ideen natürlich fließen zu lassen, waren schon ein Genuss für sich. Dann verschwand das dunkelrote Tuch, das bis dahin den Hintergrund verdeckt hatte, und gab den Blick frei auf die faszinierendste und sonderbarste musikalische Installation der Saison.

Vibrafon, Marimba, in ein offenes Gestell hineinmontierte Schlagzeug- und Percussionteile, Gitarre, Bass, Klavier, zwei Röhren, in denen auf und ab jagende Bälle stimmähnliche Laute erzeugten: Vor diesem dazu noch prächtig illuminierten "Orchestrion" wirkte Metheny wie Daniel Düsentrieb, der glücklich seine neue Erfindung vorführt. Angesteuert durch 400 Elektromagnete und eine Technik, deren Erklärung "ungefähr drei Stunden" (so Metheny in einer Ansage) dauern würde, bringt der Meister dieses Instrumentarium mit seiner Gitarre und über Pedale zum Klingen.

Das musikalische Ergebnis erinnert an den jüdischen Witz von dem Geiger, der auf dem Kopf stehend musiziert. "A Heifetz ist er nicht!", mäkelt ein Passant. Kein Zweifel: Gary Burton spielt schöner Vibrafon, auch Jack DeJohnette (der Metheny das Schlagzeug lieh) klingt tausendmal interessanter als die von Hämmerchen betriebenen Trommeln und Becken. Trotzdem: Metheny ist ein derart phänomenaler Gitarrist, dass er neben dem viel Aufmerksamkeit fordernden Koordinationsjob als "Orchestrion"-Wart immer noch so kompromisslos Musik zu machen imstande ist, wie wenn er mit leibhaftigen Kollegen auf der Bühne steht.

Zudem war sein Soloabend didaktisch so unauffällig klug aufgebaut, dass die zwei Stunden und 40 Minuten ohne Pause fast wie im Flug vorübergingen. Wer dieses Wunder vollbringt, muss ein Genie sein.