Dee Dee Bridgewater verneigt sich vor Billie Holiday, einer der großen Ikonen des Jazzgesangs.

Jede Kultur hat ihre Göttinnen. Im klassischen Jazzgesang gibt es eine Art Dreigestirn, bestehend aus Ella Fitzgerald, Dinah Washington und Billie Holiday. Letztere, bürgerlich Eleonora Fagan, war "Lady Day", die Maria Callas des Jazz; Leid, Armut, Rassismus, Drogen und unglückliche Beziehungen der Treibstoff ihres intensiven Gesanges bis zum frühen Tod 1959. Erstaunlich ist nun, dass Dee Dee Bridgewater Billie Holiday mit ihrem neuen Programm "To Billie With Love" die Referenz erweist. Denn Dee Dee Bridgewater, die in jeder Hinsicht sprudelnde und virtuos auf der PR-Orgel spielende Jazzdiva der Jetztzeit und Billie Holiday, die in Langsamkeit gewandete und tragischen Abstürzen gebadete Maria der Schmerzen der Vergangenheit wirken wie die entgegengesetzten Seiten einer Münze. Dee Dee Bridgewater hat die weitaus bessere Technik, ist virtuos, stilsicher, behände. Billie Holiday verfügte über ein eher begrenztes Stimmvolumen und einen relativ geringen Tonumfang, schlug aber durch die Intensität ihres Gesanges mehr als jede andere in Bann.

Dee Dee Bridgewaters Zugang auf die Kernstücke des Holiday-Repertoires ist demzufolge gegensätzlich. Das Stück "Lady Sings the Blues", das inhaltliche Markenzeichen Billie Holidays, wird bei ihr zu einem dynamisch rollenden 6/8-Brummer. Im Klassiker "All of Me" trägt es Dee Dee beinah aus der Kurve vor lauter Eigenenergie, das melancholische "Lover Man" über den ausbleibenden Mann wird zur vor Freude überschäumenden Unabhängigkeitserklärung der modernen Frau. Und auch wenn Dee Dee Bridgewater das traditionelle Schlussstück vieler Billie-Holiday-Konzerte, das bedrückende "Strange Fruit", ebenso melancholisch wie das Original anlegt, packt sie immer noch einen Triller und eine Verzierung mehr hinein, vielleicht weil die einfache und beklemmende Düsternis des Originals nicht mehr wirken könnte heutzutage; und bleibt dergestalt immer die echte Dee Dee Bridgewater, statt zur falschen Billie Holiday zu werden. Im Alter von mittlerweile 60 Jahren ist das auch eine Vorraussetzung, um als letzte der noch lebenden Jazzdiven der Holiday-Folgegeneration selbst zur Ikone zu werden und sich eines Tages in den Kreis der Jazzgöttinnen einreihen zu können.

Dee Dee Bridgewater 12.4., 20 Uhr, Laeiszhalle. Tickets unter Tel. 413 22 60