Systemkritisch verpackt, aber sinnfrei ist der amüsante Abend. Christa Winsloes Roman kommt kaum vor.

Hamburg. Manchmal kann man sich auch amüsieren, ohne recht den Durchblick zu erlangen. Ist das noch Ernst oder schon Parodie? Wenn ein rosa gekleidetes Frauen-Bataillon mit Holzgewehren im Kreis tanzt und im Chor von der Bühne abgehackt musikalisch skandiert: "Das Publikum hat die Richtung verloren." Oder wenn die Hauptdarstellerin Sophie Rois erschrocken bemerkt, dass ihr die Zuschauer im Nacken sitzen (Bert Neumanns Bühne spiegelt den Zuschauerraum) und heiser aufschreit: "Nein, ich hab die ganze Zeit in die falsche Richtung gespielt!" bewahrheitet sich wieder eine alte Publikumsweisheit: "Wenn alles spielt und keiner pennt, ist's manchmal schlicht Amüsement."

In Wahrheit ist es vielleicht so, dass uns diese Bilder sagen wollen, der Einzelne soll sich umdrehen, hin zur Gesellschaft. Aber so viel Tiefsinn erwartet vermutlich nicht einmal der Regisseur von seinem Abend.

"Mädchen in Uniform" hieß die Premiere, die am Donnerstag im Deutschen Schauspielhaus stattfand. Inszeniert von René Pollesch, jenem Regisseur, der zu Zeiten Tom Strombergs hier "World Wide Web Slums" auf die Bühne brachte. Pollesch inszeniert Textfragmente, niemals Stücke. Immer geht es irgendwie um Systemkritik und dass das, was das Theater zum Theater macht, Blödsinn sei.

Diesmal geht's zusätzlich um das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv. Vielleicht hat Pollesch deshalb Christa Winsloes Roman "Mädchen in Uniform" als Vorlage benutzt, der die strengen Erziehungsmethoden eines Mädcheninternats, also die gesellschaftliche Zurichtung, thematisiert. Zweimal ist der Roman verfilmt worden, unter anderem mit Romy Schneider. Nur Spurenelemente dieses Textes finden sich allerdings auf der Bühne, etwa die Namen Edelgard, Hilde oder Manuela. Keine Geschichte, keine Handlung, keine Figurenzeichnung, stattdessen eingespeiste kapitalismuskritische Motive, die sich um Kunst und Politik drehen. Dennoch: Es wurde viel gelacht im Schauspielhaus, vielleicht so viel wie schon lange nicht mehr.

Auch wenn Pollesch mit dieser Aufführung und der großartigen Sophie Rois im Mittelpunkt eigentlich nur seine vor einem Jahr am Berliner Prater inszenierte Arbeit "Ein Chor irrt sich gewaltig" fortsetzte. Vielleicht hätte man sie einfach übernehmen sollen, denn aus dem Schauspielhaus-Ensemble stand sowieso niemand auf der Bühne, weder im 10-Mädchen-Chor, noch als eine von den anderen beiden Schauspielerinnen, Chorleiterin Christine Groß und Ballettmeisterin Christine Cuvelier. Die beiden Ensemble-Mitglieder Marion Breckwoldt und Marlen Diekhoff waren vorzeitig aus der Produktion ausgestiegen.

Sophie Rois dagegen ratterte herrlich herrisch Sätze herunter wie: "Ich mach mir nichts aus Einzelnen. Ich steh nur auf Chöre", und sprach den Chor als Individuum an. Ist das Kritik an der heutigen Gesellschaft der Ich-Bezogenen und Egozentriker? Ironisch divenhaft zickt sie: "Ich existiere nur auf der Bühne" oder befiehlt: "Wir müssen dich hier mit eiserner Faust zur exaltierten Künstlerin ausbilden." Kritisch soll hier die Härte der "Individualkonkurrenz" beleuchtet werden. Aber lebt Theater nicht gerade von ihr?

Nur eine Stunde dauerte der kurzweilige Abend. Und er bewies das genaue Gegenteil von dem, was Polleschs Agit-Prop Theater behauptet: Ja, wir brauchen ein Theater, das auf der Verabredung "ihr da oben, wir hier unten" basiert. Und vor allem brauchen wir exaltierte Künstlerinnen wie Sophie Rois. Sonst wäre der ganze Spaß weg.