Wenn René Pollesch inszeniert, ist alles anders als sonst. Schauspielerin Sophie Rois ist zu sehen heute Abend im Schauspielhaus.

Hamburg. Sophie Rois betritt die Halle des Hotels Reichshof. Schüchtern wirkt sie und unscheinbar, als sie aus der Pelzjacke schlüpft. Wer die Schauspielerin jedoch einmal auf der Bühne oder im Film gesehen hat, der vergisst sie nicht mehr. Denn das Spielen bringt ihre markante, unberechenbare Persönlichkeit zum Leuchten. Bruchlos kann sie vom koketten Weibchen auf den Machokerl umschalten, von der schrillen Hysterikerin zur mondänen Diva. Seit 1993 an der Berliner Volksbühne, hat sich die Österreicherin noch eine heimatliche Sprachmelodie erhalten. Allerdings spricht sie Berlinerisch rau mit brüchiger Stimme, weit weg vom wienerisch-gemütlichen Singsang. Überhaupt: Rois redet für eine Österreicherin viel zu rasch und ist viel zu wach.

Im Sessel expressiv gestikulierend und beim Formulieren intensiver und lauter werdend, macht Rois das Hotelfoyer unwillkürlich zur Bühne. Nicht ganz ohne Wirkung. Eine Dame aus Bayern wird aufmerksam, erkennt ihre charakteristische Stimme und nähert sich. "Sie sind doch eine bekannte Schauspielerin?", fragt sie.

Rois hat sich Fernsehzuschauern in verschiedenen Rollen, hauptsächlich aber als innerlich zerrissene Polizistin Roxane Aschenwald in Felix Mitterers österreichischer "Tatort"-Trilogie mit Harald Krassnitzer eingeprägt. Sofort verschließt sich die eigentlich lebhafte Künstlerin, lächelt jedoch höflich. Sie freut sich auch, fühlt sich geschmeichelt, aber vielleicht stört es sie doch ein wenig, dass sie nicht richtig erkannt worden ist. Sie spielt schalkhaft Versteck und gibt sich als ihre Berliner Kollegin Corinna Harfouch aus. Ein Schelm, wer Schlechtes über eine geborene Komödiantin denkt.

Im Autor und Regisseur René Pollesch hat Rois den kongenialen Künstler-Partner gefunden. Wie sie ihre Rollen so bürstet auch Pollesch seine Theaterprojekte gegen den Strich gängiger Publikumserwartungen. In seiner Inszenierung "Mädchen in Uniform - Wege aus der Selbstverwirklichung" nach dem bekannten Film mit Romy Schneider und Lilli Palmer ist die Bühnenexzentrikerin wieder seine Protagonistin - und liefert sich ein szenisches Duell mit einem Frauenchor. Rois hat den Film "Mädchen in Uniform" aus dem Jahr 1958 - nach Christa Winslows Stück und Roman - zufällig im Fernsehen gesehen. Sie und ihre Kollegin Christine Groß, die den Frauenchor einstudiert, fanden die Internatsklasse, den ganzen Frauenschwarm "so sexy", wie Rois sagt. Kommt daher die Idee für das Frauenprojekt?

"Na ja, wie das schon wieder klingt", kontert Rois sarkastisch. "Ich mache grundsätzlich keine Frauenprojekte. In unseren Produktionen spielt das Geschlecht keine Rolle. Wir definieren uns nicht über das jeweilige Geschlecht. Das wäre noch schöner!"

Der Film "Mädchen in Uniform" handelt von Erziehungskonflikten in einem streng preußischen Mädchenpensionat und der Freundschaft zwischen einer aufgeklärten Lehrerin und der in sie verliebten Schülerin Manuela. Beim Probieren von Shakespeares "Romeo und Julia" kommen sich die beiden näher, es passieren Missverständnisse und ein Selbstmordversuch der Schülerin.

Pollesch erzählt jedoch nicht die Handlung nach, sondern nimmt den Film als Inspiration für einen szenischen Diskurs über Erziehung, ihre Absichten und Schattenseiten. Insofern entwickelt er auch keine psychologischen Figuren. In diesem Punkt geht Rois mit Pollesch konform. "Psychologie interessiert mich nicht", meint sie schnippisch und nippt an ihrem Whiskey sour, mit dem sie ihren gesunden Pfefferminztee aufpeppt. "Ich finde unsere Inhalte interessant genug. Psychologie neutralisiert jeden Inhalt."

Am Anfang jeder Pollesch-Inszenierung stehe eine Idee. "Dann verständigen wir uns darüber, benutzen Filme, fremde und eigene Texte. Ein Grundpfeiler unserer Zusammenarbeit ist das Plündern." Ein anderer: Zwischen Regisseur und Schauspielern herrscht keine Hierarchie. "Wir kennen unsere jeweiligen Kompetenzen und können sie einschätzen."

Den Arbeitsprozess zu beschreiben sei schwierig denn es bedürfe eines glückhaften Moments, dass er funktioniert. "Es gibt kein bestimmtes Rezept, über die Jahre hat sich so eine Art Geschmack und gemeinsame Denke herausgebildet." Mit anderen Worten: Der kreative Funke muss bei den Proben überspringen. Dabei lassen sie sich von Elementen aus Film, Boulevardkomödie Slapstick oder Volkstheater inspirieren. "Ich möchte gern lupenreines Entertainment machen."

Ist das kein Widerspruch zum gesellschaftskritischen Anspruch? "Nein, überhaupt nicht. Die dummen Dinge sind doch nicht lustig. Manche Leute sagen nach unseren Vorstellungen: Es war lustig, aber es war auch klug. Wieso denn aber? Es ist lustig, weil es wahrscheinlich auch klug ist."

Die Zuschauer sollten sich nicht immer fragen, was das zu bedeuten habe, sondern wach zuhören. "Es gibt nichts zu interpretieren. Es wird alles gesagt. Allerdings ergeben bestimmte Sätze mit bestimmten Bildern etwas Drittes - und das schlägt dann in den Köpfen der Zuschauer Funken - wenn wir Glück haben." Genau darin liegen dann die Herausforderung und das Vergnügen in den komödiantischen Sprechspielen der Marke René Pollesch.