Ein Höhepunkt der “Pop Life“-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle sind Arbeiten von Damien Hirst, dem reichsten Künstler der Welt.

Hamburg. Vor wenigen Tagen wurde "L' homme qui marche I" von Alberto Giacometti bei Sotheby's in London für umgerechnet 74 Millionen Euro versteigert. In acht Minuten hatte sich der anfänglich aufgerufene Preis fast vervierfacht. Der Giacometti hatte der Dresdner Bank gehört; die Commerzbank, deren neuer Besitzer, warf die Bronzeskulptur auf den Markt und sorgte für einen Auktions-Weltrekord.

In einer Londoner Galerie hat Michael Landy das Projekt "Art Bin" gestartet, bei dem Atelier-Ausschuss von anderen Künstlern in einen 600-Kubikmeter-Müllcontainer verklappt wird. Mit dabei ist auch ein Bild, das Damien Hirst von seinem diamantbesetzten Platinabguss eines Totenschädels angefertigt hat. Mitte März soll geschreddert werden.

Im letzten Sommer hat der Londoner Graffitikünstler Cartrain eine Packung Buntstifte, die zu einer Installation von Hirst gehören, aus dem Tate Britain Museum entführt. Der Wert von "Pharmacy" wurde auf zehn Millionen Pfund veranschlagt, die Stifte seien knapp 500 000 Pfund wert, ließ Hirst wissen. Der Stiftnapper wollte sich für eine Urheberrechtsklage rächen. Er hatte Hirsts Brillantschädel in Collagen zitiert und damit 200 Pfund eingenommen. "Wenn Hirsts Buntstiften nichts geschehen soll, möchte ich meine Kunstwerke zurück. Er hat einen Monat, um sich zu entscheiden; andernfalls werden die Buntstifte gespitzt. Er soll sich vorsehen." Hirst hatte Cartrains Arbeiten beschlagnahmen lassen und ließ, völlig humorlos, auch noch Cartrains Vater verhaften, nachdem der Drohbrief kam. Der Teenager stellte sich. Die Faber-Castell-Stifte aus der Mongol-482er-Serie von 1990 wurden unversehrt freigelassen. Als Ausgleich beschimpfte Cartrain Hirsts Arbeiten als "Wiederhochwürgen von Werken bedeutender Künstler wie Duchamp".

Drei Momentaufnahmen vom Großmarkt der Eitelkeiten, in dem Image und Preis sich gegenseitig hochschaukeln können. Wo der Käufer Teil des Kunstwerks geworden ist, weil er entscheidend den Wert bestimmt. Wo eine Inszenierung alle Beteiligten entlarven kann und jeder dafür freudig Eintritt zahlt. Wo erst teuer gut bedeutet.

Auf diesem Markt war Damien Hirst jahrelang ein Alpha-Tier. Ein Leitwolf, der Menschen mit mehr Geld als Ahnung oder zumindest Geschmack sagte, wo es langging, koste es, was er wolle. Hirst verschenkte hin und wieder Arbeiten an Museen, damit sie nicht immer nur Zaungast bei den Rekordauktionen blieben. Ihnen fehlt das nötige Spielgeld, um mitbieten zu können. Vielleicht aber auch, weil er die Image-Zinsen der Museums-Aura aufs eigene Konto gehen lassen wollte. Wenn es dem Kurs diente, kaufte er seine Kunst cool wieder zurück.

Hirsts Arbeiten waren in den letzten Jahren Kunst und Spekulationsobjekte zugleich. Ikonen für Eitelkeit, Vergänglichkeit, Mammon, Gier, die mit so großen Themen wie Tod, Natur, Liebe, Sucht und Religion spielten. Sie waren für das hart umkämpfte Hochplateau des Kunstmarkts Ursache und Wirkung und bescherten Renditen, von denen selbst die gerissensten Hedgefonds-Zocker nur träumen können: Als Hirst 1991 einen vier Meter langen australischen Tigerhai in Formaldehyd einlegte, war das Ergebnis dem Sammler Charles Saatchi 50 000 Pfund wert. 2004 hatte sich der Preis für diese Ego-Trophäe mehr als verhundertfacht. Als der Hai moderte, wurde ein neuer besorgt und ins Formaldehyd versenkt. Die Idee zählt, nicht das Original.

"Preise beruhen zum Teil auf reiner Angeberei", kommentierte der Wirtschaftswissenschaftler Don Thompson, Autor des Buchs "The $12 Million Dollar Stuffed Shark", dieses Phänomen. "Die Käufer verlassen sich nur auf bekannte Markennamen von Auktionshäusern, Galeristen und Künstlern."

Die alte Regel von Angebot und Nachfrage setzte Hirst zu seinen Gunsten außer Kraft, weil er als Künstler Erwartungen weckt, erfüllt und beliefert.

Eiskalt funkelndes Paradebeispiel für Hirsts Vermarktungs-Genie ist "For The Love of God", der Platin-Schädel mit 8601 Diamanten drumherum. 1106 Karat Vanitas vom Allerfeinsten. Hirst schaffte hier das Kunststück, Schöpfer und Käufer in Personalunion zu sein. Als Mitglied einer Investorengruppe kaufte er sich den Schädel 2007 für umgerechnet 75 Millionen Euro ab. Als Selbstzitat, weiter unten in der Wertabschöpfungskette, verzierte er Levi's-Jeans mit Totenköpfen aus Swarovski-Kristallen. 4000 Dollar das Paar.

Der bleibendste Wert von Hirsts Kunst liegt womöglich in diesem virtuosen Spiel mit den zynischen Mechanismen und den absurden Widersprüchen des Kunstmarkts. Hirst wurde durch den Hype um seine Preisschilder zum umstrittensten Künstler der Gegenwart. Und zum reichsten.

Die Rock-'n'-Roll-artige Karriere des Multimillionärs und Schlossbesitzers Damien Hirst, der 1965 in Bristol geboren wurde, begann 1990 mit einem blutigen Rinderkopf, den Fliegen umschwirrten wie Motten das Licht. Seine Installation "Lullaby Spring", ein prunkvoller Schrein mit 6136 Pillen aus handbemaltem Beton, wurde 2007 für umgerechnet 14,5 Millionen Euro verkauft. Hirst tat alles dafür, um die Messlatte seines Erfolgs immer höher zu legen - weil er es konnte und weil man ihn ließ. Selbst seine "Spin Paintings", kaum mehr als massenproduziertes, grotesk überteuertes Kunsthandwerk, riss man ihm aus den Händen.

Den finalen Höhepunkt fand der Hype in einer Riesenauktion im Herbst 2008. Zwei Jahre lang hatte Hirst in seinen Werkstätten hochtourig schuften lassen, um den sensationsgierigen Markt an zwei Tagen im September mit 223 Werken zu fluten. Auch die Sotheby's-Auktion selbst, die er vorbei an Galerien und Händlern durchführen ließ, wurde zur Performance aufgewertet: "Beautiful Inside My Head Forever" nannte er sie. 21 000 Menschen besichtigten die Greatest-Hits-Kollektion. Hirst selbst war nicht anwesend, er war Billard spielen und konnte sich in seiner Überzeugung bestätigt fühlen, dass Kunst eine Marke ist, die in einer Fabrik produziert wird.

Während sich die Sammler in ihrem Kaufrausch gefielen und am Ende der Rekorderlös von 140 Millionen Euro stand, brach auch im Londoner Bankendistrikt die Wirtschaftswelt zusammen. Lehman Brothers war pleite, das Kartenhaus stürzte ein. Gerade rechtzeitig hatte Hirst sein Blatt voll ausgereizt. Hirst hatte sein an den Hufen vergoldetes Kalb, getauft "False Idol", gerade noch ins Trockene gebracht. Das Zier-Tier, dessen Reinkarnation in der Kunsthalle frisch eingelegt wurde, brachte fast 13 Millionen Euro.

Seitdem ist Konsolidierung angesagt, Besinnung aufs Kerngeschäft. Im Herbst 2009 stürzte Hirst in der "Art Power List" von Platz 1 auf 48 ab. Insbesondere seine britischen Kritiker wetzten schon länger die Stifte. "Sind seine Bilder gut? Nein, sie sind es nicht mal wert, dass man sie anschaut", mokierte sich "The Independent".

Denn Hirst hatte den guten altmodischen Maler in sich entdeckt. Mit echten Farben, auf echter Leinwand, back to the roots. "Damien Hirst und die Malerei - das ist, als ob sich Picasso in den 40er-Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, entschlossen hätte, Fotograf zu werden", sekundierte sein Galerist Hilario Galguera, "aber Picasso hat so einen radikalen Bruch nie gewagt." Hirst malt selbst, um sich die Midas-Hände dekorativ schmutzig zu machen. Bescheidenheit ziert wieder, so scheint es.

Doch der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Damien Hirst kann warten, Zeit ist Geld. Beides hat er noch reichlich.