Künstler und ihre Lust am Kommerz: Am 12. Februar beginnt die umfassende Ausstellung der Meister der Vermarktung in der Galerie der Gegenwart.

Hamburg. Andy Warhol, Keith Haring, Jeff Koons, Damien Hirst - vier herausragende zeitgenössische Künstler, die nicht nur das künstlerische Handwerk beherrschen. Sie sind (oder waren) ebenfalls überaus versiert darin, ihre Kunst äußerst gewinnbringend zu vermarkten.

Eigentlich ist die Verquickung von Kunst und Kommerz nicht neu, sie reicht mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurück. Gute Künstler wie Lucas Cranach d. Ä. oder Peter Paul Rubens waren oft auch gute Geschäftsleute, ließen erfolgreiche Bildideen von handwerklich versierten Gehilfen fast schon in Serie produzieren und beschränkten sich mitunter darauf, allein mit ihrer Signatur dem Werk das Siegel des Authentischen zu verleihen. Ganz sicher waren auch Rembrandt und seine selbstbewussten Malerkollegen aus dem niederländischen Goldenen Zeitalter der Meinung, dass sich mit guter Kunst die besten Geschäfte machen ließen. Doch konnten sie sich vermutlich kaum vorstellen, dass einmal eine Zeit anbrechen würde, in der sich die Dinge einfach umkehren lassen.

"Gute Geschäfte sind die beste Kunst", gab Andy Warhol zu Protokoll - und schockte damit die Kunstszene. Der Mitbegründer der Pop-Art opferte die hehre Kunst dem Primat des Kommerzes, und er tat das nicht schamhaft und mit schlechtem Gewissen, sondern in aller Öffentlichkeit und äußerst selbstbewusst. Er ließ sich mit den Massenmedien ein, entwickelte sich zum Meister des Marketings und kultivierte dabei seine künstlerische Persönlichkeit zur "Marke", die weltweit den Kunstmarkt eroberte. Warhols Provokation funktionierte perfekt, sie veränderte das Selbstverständnis des Künstlers und die Kunstszene: Der Künstler wurde zum Star, der sich medial in Szene setzt, diese Performance genau kalkuliert und damit seinen Marktwert beeinflusst.

Wie es dazu gekommen ist und welcher Methoden sich die Künstler in der Folge von Warhols Tabubruch seit den 80er-Jahren bedienten, zeigt die Hamburger Kunsthalle vom 12. Februar an mit der Ausstellung "Pop Life - Warhol, Haring, Koons, Hirst", die zuvor bereits in etwas anderer Form in der Tate Modern in London zu sehen war.

Mit etwa 320 Exponaten demonstriert und illustriert die äußerst aufwendige Schau, die dank der Unterstützung durch die Hubertus-Wald-Stiftung möglich wurde, wie lustvoll und zugleich bedenkenlos Keith Haring, Jeff Koons, Damien Hirst, Richard Prince, Tracey Emin, Takashi Murakami aber auch deutsche Künstler wie der zeitweise in Hamburg wirkende Martin Kippenberger die Grenze zwischen Kunst und Kommerz überschritten und die Marktgesetze der medialen Gesellschaft für sich zu nutzen verstanden.

Zu sehen sind nicht nur Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Fotografien und Videos, sondern auch Zeitschriften und zahlreiche Merchandisingobjekte, über deren geschmackliche Qualitäten man getrost unterschiedlicher Meinung sein kann. Wie aktuell das Thema ist, zeigte auch dieser Tage die Versteigerung bei Sotheby's in London: 65 Millionen Pfund (rund 74 Millionen Euro) wurden für eine Skulptur des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti geboten - ein Rekordwert auf einer Auktion. Nicht-Pop-Kunst kann auch Kommerz.

Auftakt und Schwergewicht auf etwa einem Viertel der Ausstellungsfläche in der Galerie der Gegenwart liegen bei "Pop Life" auf Andy Warhol (1928-1987), der Ikone der amerikanischen Pop-Art. Allerdings wird nicht seine Entwicklung nachgezeichnet, sondern das Spätwerk effektvoll in Szene gesetzt und zum Ausgangs- und Wendepunkt eines neuen künstlerischen Selbstverständnisses erklärt. Nachdem Andy Warhol am 3. Juni 1968 bei einem Attentat in New York lebensgefährlich verletzt worden war, griff er in den 70er- und 80er-Jahren erneut Motive aus seinem Frühwerk auf.

So bearbeitete er seine frühen Serien, indem er ihre Farben veränderte und teilweise umkehrte. Die ohnehin auf dem Markt eingeführten Marilyns und Suppendosen erschienen in diesen Serien, die als "Retrospectives" oder "Reversals" bezeichneten wurden, sowohl vertraut als auch neuartig. Porträtaufträge ließ er im Wesentlichen vom Team seiner "Factory" zum Stückpreis von 25 000 Dollar erledigen, während er selbst in der populären TV-Show "Love Boat" auftrat, die Zeitschrift "Interview" herausgab und sich immer aufs Neue wiederholte und damit das tat, was ihm seine Kritiker als Ausverkauf ankreideten.

In Wahrheit kreierte der Pop-Art-Altmeister in seinen späten Jahren einen äußerst zukunftsweisenden Künstlertyp, der die Regeln der Mediengesellschaft zwar nicht vorzugeben, dafür aber perfekt zu nutzen versteht. Kunst entsteht, um vermarktet zu werden. Ihre Botschaft ist die Eigenwerbung des Künstlers, der Trivialität und Banalität gezielt als Katalysatoren einzusetzen weiß. "Andy als Publizist, Quälgeist, Model, Werbefachmann, TV-Produzent und Star: Heute ist die volle Anerkennung seines exzessiven Unternehmertums nicht nur unvermeidlich, sondern sie wirkt als Stimulans bis in unsere Gegenwart", schreibt Jack Bankowsky, Kurator der Londoner Ausstellung, im Katalog.

Jeff Koons gehört zu jenen, die diese Mechanismen verstanden haben und sie perfekt zu nutzen wussten. Der 1955 geborene Künstler, der jahrelang als Broker an der Wall Street gearbeitet hat, bringt es fertig, Banales geradezu weihevoll in Szene zu setzen und aus Kitsch äußerst erfolgreiche Kunst zu kreieren. Und wie Warhol macht er sich nicht nur zum Vermarkter in eigener Sache, sondern setzt sich mit bemerkenswertem Körpereinsatz auch selbst in Szene. So wird Pornografie zur scheinbar "unschuldigen" Darstellung paradiesischen Liebesglücks: Seine Serie "Made in Heaven", die ihn mit der ungarisch-italienischen Porno-Darstellerin Cicciolina in Sexszenen zeigen, löste in den 90er-Jahren einen gewaltigen Skandal aus.

Den Vorwurf, hier handele es sich um reine Pornografie, konterte Koons mit dem Hinweis, dass er mit Ilona Staller alias Cicciolina schließlich verheiratet sei. Diese Ehe hielt zwar nur ein paar Monate, aber der Deal machte sich bezahlt: Nach der "Made in Heaven"-Serie steigerte sich Koons' Marktwert enorm, bald gehörte er zu den teuersten lebenden Künstlern.

Als Keith Haring 1986 in der Lafayette Street im New Yorker Stadtteil Soho seinen Pop Shop eröffnete, hatte er es mit seinen comicartigen Strichmännchen-Kompositionen schon zu Weltruhm gebracht. Doch ab jetzt konnte er seine längst zur Marke gewordene Kunst auch in Form von Merchandising-Produkten wie Spielzeug, T-Shirts, Kühlschrankmagneten und Regenschirmen auch an ein Publikum verkaufen, das nie auf die Idee kommen würde, eine Kunstgalerie aufzusuchen. In der Hamburger Ausstellung ist dieser Art Shop nicht nur als Kunstwerk rekonstruiert worden, er dient hier auch in seiner eigentlichen Funktion: Besucher können also direkt in der Ausstellung Harings Merchandising-Objekte kaufen.

Der Künstler als Marke, das Produkt als beliebig reproduzierbares, käufliches Kultobjekt - diese Strategie verfolgten auch die Mitglieder der 1988 entstandenen Bewegung Young British Artists (YBAs). So griffen zum Beispiel Tracey Emin und Sarah Lucas Keith Harings Idee auf und eröffneten in London ihren eigenen Shop.

Als Meister des kalkulierten Skandals und als perfekter Selbstvermarkter erwies sich immer wieder Damien Hirst, der zu den Gründungsmitgliedern der YBAs gehört. Beispielhaft dafür steht in der Ausstellung "False Idol", eine mit Formaldehyd gefüllte Glasvitrine, in die der Körper eines Kalbs gestellt ist.

Mag sein, dass bald manche Besucher in der Galerie der Gegenwart ratlos vor diesem Werk stehen werden, das auf so verstörende und vielleicht auch als geschmacklos empfundene Weise an Tod und Vergänglichkeit gemahnt. Mag sein, dass auch eine ganze Reihe weiterer Werke dieser außergewöhnlichen Ausstellung immer mal wieder auf Unverständnis und Ablehnung stoßen werden.

Doch vor allem zeigt die Hamburger Variante der äußerst erfolgreichen Londoner Schau mit einer Fülle faszinierender Werke, wie Künstler heute agieren müssen, um in der Mediengesellschaft wahrgenommen zu werden, um sich am Markt behaupten zu können. Und sie zeigt auf manchmal verblüffende Weise, dass sich auch unter den Zwängen von Markt und Kommerz künstlerische Kreativität ganz eigene Räume zu schaffen weiß.