Klingendes Monument für das Wasser: Muhai Tang dirigiert morgen die Hamburger Erstaufführung eines Werks von Tan Dun in der Laeiszhalle.

Hamburg. Falls Sie schon Karten für das "Water Concerto" von Tan Dun morgen in der Laeiszhalle gekauft haben und Ihre Plätze in der ersten oder zweiten Reihe liegen, am Rand oder in der Mitte: Bringen Sie sich am besten Ihren Friesennerz mit oder einen kleinen Regenschirm.

Denn vorne wird es nass. Links neben dem Dirigentenpult stehen zwei große, durchsichtige Plexiglasschalen mit Wasser, an den Seiten jeweils eine. Dort sind zwei Percussionisten der Hamburger Symphoniker postiert. In der Mitte agiert der aus New York eingeflogene Solist David Cossin, der seit 15 Jahren mit Tan Dun arbeitet. Er spielt das Wasser mit den bloßen Händen. Das klingt, diskret über Lautsprecher verstärkt, mal wie ein Regentropfen-Prélude auf Chinesisch, mal wie ein Gummistiefelspaziergang durch eine Pfützenlandschaft. Cossin traktiert das Wasser auch mit Plastikbechern. Das hört sich an, als spiele jemand nur auf Bass- und Snaredrum. Manchmal schlägt Cossin einen Gong an und taucht ihn ins Wasser. In einer Art Solo-Kadenz nimmt er Filzschlägel, mit denen er auf die Bäuche unterschiedlich großer Holzschalen im Wasser trommelt. Mancher Trommelwirbel drückt die Schalen tief ins Bassin. Dann schaukeln sie darin wie kleine Wasserschildkröten.

"Für Tan Dun ist Wasser das wichtigste Element", erzählt Muhai Tang, Freund des Komponisten und Erster Gastdirigent der Hamburger Symphoniker. Er wird die Aufführung des "Water Concerto" leiten. Tan Dun, Jahrgang 1959, ist auf dem Land groß geworden, während der Kulturrevolution. Statt der verbotenen Musik von Mozart, Bach oder Beethoven hat er als Kind gehört, wie es klingt, wenn die Frauen die Wäsche im Fluss waschen und dabei singen. Er hat auf die unendliche Melodie des Wassers beim Fließen gelauscht. Auf den Regen. Auf Tauwasser, das vom Dach tropft und in einem Becken aufgefangen wird. Auf watschelnde Enten am Teich. Auf den Klang seiner Füße beim Tanz durch untiefe Stellen eines Sees.

Tan Dun bestand die Aufnahmeprüfung am Konservatorium von Peking, obwohl er kein Instrument spielen konnte. "Er hat einfach Volkslieder gesungen", erzählt Muhai Tang. "Er kennt das Land so gut!" Heute lebt Tan Dun in New York und ist der weltweit erfolgreichste Komponist aus China. Ein visueller Klangschöpfer, der die Inszenierung von Musik liebt, ein Spieler - und ein Philosoph. "Früher war das Wasser für mich die Stimme von Geburt und Wiedergeburt. Heute sehe ich im Wasser die Tränen der Natur", sagt der Komponist wehmütig. Es sei kaum noch möglich, irgendwo auf der Welt klares Wasser zu finden. "Immer hat die chinesische Kultur danach gestrebt, einen Ausgleich zwischen dem Menschen und seiner Umgebung zu schaffen, Harmonie herzustellen. Das 'Water Concerto' ist deshalb nicht nur ein Spiel. Es ist auch ein Ritual. Ein Gebet, ein Spiegel. Du siehst dich selbst, und was du siehst, sind nur noch Tränen."

Suppe. Bad. Ozean. Das bedeuten die drei Silben des Namens Muhai Tang. Er malt die chinesischen Schriftzeichen in den Reporterblock. "Sehen Sie: überall das Zeichen für Wasser! Alles Zufall", sagt Tang, ganz untaoistisch. Denn das Wasser durchströmt auch sein Leben, als sei das ein Flussbett. "Überall, wo ich dirigiert habe, war Wasser: Lissabon, Antwerpen, Brisbane, Shanghai, Hamburg. Jetzt wohne ich in Zürich, direkt am Zürichsee. Wenn ich das Fenster aufmache, läuft der Lohengrinschwan durch mein Zimmer."

Muhai Tang entstammt einer der angesehensten Familien Shanghais. Der Vater ist als Filmregisseur eine Legende, von klein auf genoss Tang alle Privilegien. "Mit anderen Kindern auf der Straße habe ich nie gespielt", sagt er ohne eine Spur des Bedauerns. Als er sechs Jahre alt war, schafften die Eltern ein Klavier für ihn an. Später, während der Kulturrevolution, zerrten die Roten Garden es aus dem Haus und warfen es auf den Müll. In der großen väterlichen Bibliothek war die Kulturgeschichte des Westens aufbewahrt, die Tangs besaßen Radio und Fernsehapparat und wohnten, damals todschick, in einem Hochhaus. Unten war eine Bar, in der man Samba und Tango spielte.

Auch wenn der Vater während der Kulturrevolution eine Zeitlang ins Gefängnis musste: Muhai Tang war ein Elitekind. Die Wertschätzung, die ihm das offizielle China entgegenbringt, möchte er nicht aufs Spiel setzen. Deshalb hält er sich mit Stellungnahmen zu politischen Gegenwartsfragen, zu Zensur und Repressalien gegenüber Dissidenten, zurück. "Ich weiß nicht genug darüber", sagt er, freundlich abwehrend.

Ein Glückskind ist er bis heute. 1979 ging Tang zum Musikstudium nach München - ausgestattet mit einem Stipendium, das ihm Kardinal Ratzinger verschafft hatte. 1983 wendete ein anderer Papst sein Schicksal: Herbert von Karajan protegierte Muhai Tang nach einem Wettbewerb, bei dem man ihn in der Finalrunde rauskegelte, weil er die Altersgrenze schon überschritten hatte. "Gebt dem talentierten Chinesen ein Orchester!", soll Karajan damals gerufen haben. Das Orchester waren die Berliner Philharmoniker. Keine ganz schlechte Kapelle für einen Debütanten.

Und wenn er nicht Musiker geworden wäre? "Schwimmer", sagt Muhai Tang stolz. "Ich habe als Zehnjähriger in Shanghai so viele Wettkämpfe gewonnen, dass sie mich auf die Sport-Eliteschule holen wollten. Zum Glück hab ich die Gesundheitsprüfung nicht bestanden. Sonst wäre ich jetzt womöglich Schwimmtrainer in einem Verein irgendeiner Kleinstadt."

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