Evelyn Glennie aus dem schottischen Aberdeenshire ist gehörlos. Heute gibt die Schlagwerkerin ein Konzert in der Hamburger Laeiszhalle.

Hamburg. Wunder dauern etwas länger, Unmögliches wird sofort erledigt. Die Geschichte der schottischen Percussionistin Evelyn Glennie, die heute eines ihrer raren Konzerte in Hamburg gibt, lässt an diesen Scherzsatz denken, den man aus Kfz-Werkstätten oder deutschen Amtsstuben kennt und der dort natürlich, haha, das Gegenteil von dem bedeutet, was er aussagt. Evelyn Glennies Werdegang aber ist ein Wunder, das sich tatsächlich ereignet hat. Er ist zugleich der Beweis dafür, dass das Unmögliche immer nur so lange unmöglich bleibt, wie wir das denken.

Als die Bauerntochter Evelyn aus Aberdeenshire im Nordosten Schottlands acht Jahre alt war, 1973, begann sie mit Feuereifer Klavier zu üben. Gleichzeitig verabschiedete sich ihr Hörsinn. Er kehrte nicht zurück - abgesehen von sehr hohen und sehr tiefen Frequenzen leiten ihre Ohren keine Sinneseindrücke mehr an das Gehirn weiter. Das begabte Mädchen verfiel nicht in Trübsal, sondern spielte weiter und entdeckte mit der Zeit, dass das Hören ein offenbar ähnlich ganzheitlicher Vorgang ist wie das Atmen. Auch die Atmung funktioniert ja nicht nur über Nase, Mund und Lungen, die Haut atmet mit. Evelyn Glennie begann Musik mit den Händen zu hören, mit den Füßen, mit dem ganzen Körper. Und mit zwölf Jahren weckte ein offenbar sehr charismatischer Gastlehrer an der Schule ihre Sinne für Percussion: "Es gab ja nichts bei uns oben, kein Konzertleben oder so. Da dachten wir, die Welt sei voller Percussionisten", erzählte die zierliche Künstlerin gestern in einer kurzen Pause in der Laeiszhalle, während jemand auf der Bühne weiter ihr Instrumentarium aufbaute.

Wer mit Evelyn Glennie spricht, muss ihr nur das Gesicht zuwenden. Sie liest von den Lippen und antwortet in normaler Lautstärke, im Schottensound ihrer Heimat - in den ersten acht Lebensjahren konnte sie ja noch hören. Als sie 15 war, wusste sie, dass sie die Percussion zum Beruf machen wollte. Beim Musikstudium in London musste sie feststellen, dass es nicht genügend Repertoire für Konzertpercussionisten gab, also erteilte Evelyn Glennie Kompositionsaufträge.

Man tut der Dame mit dem feinen grauen Haar, die von der Queen vor zwei Jahren in den persönlichen Adelsstand erhoben wurde, nicht unrecht, wenn man sie als die Mutter aller Solopercussionisten bezeichnet. Sie war die Erste, die damit ihren Lebensunterhalt verdiente, die Pionierin aller Martin Grubingers dieser Welt (von denen es freilich noch immer nicht allzu viele gibt). Auf den Salzburger Shootingstar angesprochen, lächelt sie sibyllinisch und sagt, sie habe sich damals sehr dafür eingesetzt, dass Grubinger bei einem Wettbewerb den Preis zugesprochen bekäme: "Aber ich war leider nicht die Einzige, die zu entscheiden hatte."

Das heutige Konzertprogramm trägt den Titel "For The Love of My Sound". Begleitet von ihrem langjährigen Pianisten Philip Smith, spielt Dame Evelyn Glennie überwiegend zeitgenössische Musik, darunter ein Stück für Becken und Klavier und ein Werk für Marimba solo. Auch auf dem Aquaphone, mit dessen ätherischen Klangreizen Sofia Gubaidulina manches ihre Werke auflädt, will Evelyn Glennie Musik machen - frei improvisiert. Die höchsten Obertöne dieses Instruments hört sie vermutlich sogar mit den Ohren.

Heute, 20 Uhr, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten unter T. 35 76 66 66 und an der Abendkasse