Von einer Kollegin lernte Joop, wie man treffliche Mode entwirft. Sie zeichneten im Akkord und putschten sich mit Pillen auf.

Und wenn darüber mal wieder seine Ehe in eine Krise geriet, quartierte er sich bei Jil Sander ein.

Er war 19, sie war achtzehneinhalb. Sie sah ihn und dachte: Den will ich haben. Das hat sie gleich so entschieden. Der Vater erwischte sie unten im Haus in Wolfgangs Souterrain-Bude. Karin stand da in einem schwarzen Büstenhalter, und der Vater glaubte, er müsse wegen Zuhälterei ins Gefängnis. Na ja.

Karin war flott und gut drauf und tat alles, um ihn einzufangen. Und sie wurde schwanger, nach einem Autounfall mit der Isetta. Sie waren nur leicht verletzt, aber für ein paar Monate redeten sie sich ein, dass das Ausbleiben der Periode auf den Schock des Unfalls zurückzuführen sei. Eine Schwangerschaft blendeten sie aus. Als das nicht mehr ging, dachte Wolfgang, was er bis heute tut: Wenn ein Kind kommen will, dann kommt es. Und Jette wollte kommen.

Statt 68er-Revoluzzer war Wolfgang jetzt Ernährer. Der Vater gab keinen Pfennig, aber in der ersten Babyzeit konnten sie noch im Souterrain bei den Eltern wohnen in dem Bungalow, den der Vater in Klein-Schöppenstedt, etwas außerhalb von Braunschweig, gebaut hatte. Beide studierten noch, sie Modedesign und Bühnenkostüm, er Kunsterziehung. Wolfgang malte nebenbei Bauernschränke an, restaurierte und fälschte Bilder.

Karin nähte hin und wieder für die Nachbarin ein Kleid, tüdelte und kramte auch gern vor sich hin. Jedenfalls entdeckten wir uns gegenseitig als unsere Models, fummelten uns an und wurden so ein "shocking couple" auf den Braunschweiger Partys.

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Die Frauenzeitschrift "Constanze" schrieb 1970 wie jedes Jahr einen Preis für Modetalente aus.

Ich reichte einfach einen ganzen Stapel Entwürfe ein. Ein paillettenbesetzes Minikleid mit riesengroßer Schlaghose darunter in Gelb. Eine beige Weste mit einem knöchellangen Rock und einer schwarz-beige-braun gemusterten Großmutterbluse, mit Puffärmeln, Granny Style nannte man das, hippiesk im Gegensatz zum Mini. Den fanden wir uncool.

Sie gewannen die ersten drei Preise und 9000 Mark. Wim Thoelke gab Wolfgang Zusatzpreise und nannte ihn den Shootingstar.

Da stand ich nun und wurde ein bisschen berühmt.

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In der Jury des Constanze-Wettbewerbs saßen die tonangebenden Konfektionäre, unter anderem Hasso Ahrens aus Kulmbach, der ganz flotte Kleider machte. Damals galt es schon als Innovation, ob die Schließe viereckig oder oval war. Hasso zeigte eine ovale Schnalle auf einem Kleid und war damit sehr modern. Nun, er warb schließlich auch mit "Hallo Hasso, was gibt's Neues?" Im Grunde galt es nur, gut zu kopieren. So wie die ganz kurzen schwarzen Kleider mit weißem Kragen. Die hatte zwar Yves Saint Laurent erfunden, aber gerade das gab ihnen den Chic. Das selbst Entworfene machte misstrauisch in Deutschland. Bis heute hat nicht der Designer die Macht, sondern Verkauf und Produktion bestimmen die Innovation.

Kulmbach war unerträglich. Ein halbes Jahr haben sie es ausgehalten in der strengen Hierarchie. Dann sind sie nach Hamburg abgetaucht. Auf der Interstoff-Messe hatten sie die Chefredakteurin von "Neue Mode" getroffen, Anneliese Schmitz, die einen redaktionellen Designer für das Schnittmusterheft vom Heinrich Bauer Verlag suchte.

Bei der "Neuen Mode" ging es verrückt zu. Aber Wolfgang lernte das Handwerk. Nach zwei Jahren kam Axel Ganz als Chefredakteur. Gemeinsam, mit viel Zank und Streit, brachten sie das Heft nach vorne. Die Redaktionskämpfe und Intrigen ähnelten der Hierarchie eines Krankenhauses, den Beziehungen zwischen Chefarzt und Assistenzärzten und Krankenschwestern und Nachtschwestern.

Axel Ganz glaubte zu wissen, was die Frau von heute wollte. Aber ich wollte immer das machen, was die Frau von heute dann morgen will.

Sie hassten sich - und lieben sich heute. Denn Wolfgangs Karriere begann nämlich eigentlich, als er einmal wieder mit Ganz im Fotostudio stritt und sie zum siebten Mal mit Silke einen Titel nachschossen. Da war er es leid.

Was will ich hier eigentlich? Für immer im Verlagswesen sein, irgendwann meine Rente kriegen und ewig mit dem Ganz streiten? Nein. Ich wollte den Ganz lieber als Freund, habe mich umgedreht und bin gegangen. Er hat mir gekündigt, damit ich noch ein bisschen Abfindung bekam. So war der. Wenn wir uns sehen, liegen wir uns immer in den Armen.

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Wolfgang hatte keinen festen Job mehr, aber auch keine allzu große Unruhe. Denn mittlerweile hatte er so viele Kontakte, auch durch die Stofffirmen, dass ihm ständig kleine Jobs vermittelt wurden. Und vor allem gab es Alke Böker. Die hatte er noch bei Bauer kennengelernt. Eine große Liebe.

Sie war so schön, dass es mich umhaute.

Alke war die erste freiberufliche Designerin Deutschlands, eine faszinierende Frau mit grünen Katzenaugen. Typ Charlotte Rampling. Sie brachte ihm Upperclass bei, sie teilten sich die Jobs und arbeiteten pausenlos. Alke konnte zeichnen wie keine andere. Von ihr lernte Wolfgang die technischen Grundlagen, um Skizzen zu machen. Er war ja immer noch akademisch vorbelastet, machte Illustrationen, nicht Modezeichnungen. Alke zeigte ihm, wie man ganz schnell arbeitet. Sie konnte innerhalb von 20 Minuten 40 neue Jacken zeichnen. Und auch Wolfgang lernte, im Akkord zu arbeiten. In Paris, nebenbei, am Laufsteg kam er pro Kollektion auf 600 Skizzen. Das elfmal. Und das zweimal pro Jahr. 13.200 Skizzen.

Es gab Zeiten, da arbeitete er für sechs bis acht Firmen gleichzeitig, entwarf vor allem Jacken, für Männer und Frauen, manchmal auch einen Rock dazu, lieferte pro Saison pro Firma 100 bis 150 Skizzen, nur Leder. Dazu Unterwäsche, Pullis, alles Mögliche. Und immer wieder Pelze. Es war die Boomzeit, stangenweise hingen Nerzmäntel in den Kaufhäusern. Der Run war ihm unheimlich. Und deshalb entwarf er anders, was ihn berühmt machte über alle Grenzen hinweg, weil er die Pelze aussehen ließ wie secondhand. So als ob man sie geerbt hätte. Sie hatten das Flair von Bette Davis und dem alten Hollywood. Oder er schnitt sie ganz sportiv. Nach dem Vorbild alter Parkas.

Ich habe nie eine Inszenierung entworfen. Ich habe nie ein Frauenbild, ein Männerbild, ein Menschenbild entworfen, sondern ich habe geschmackvoll, so weit es ging, informiert, so weit es ging, avantgardistisch, so weit es ging, Einzelteile entworfen. Auch bei Joop! war es kein Menschenbild, was ich entworfen habe. Ich habe Produkte begleitet, war ein recht begabter Produktdesigner. Doch heute spielt das Produkt nur eine begleitende Rolle. Die Disziplin besteht in der Vision, an der du teilnehmen willst, dem Menschentypus, der du auf einmal auch sein möchtest.

Zu den Aufträgen, die Alke für ihn an Land zog, gehörte die Aufgabe, einen Entwurf für die Trendkollektion des Lederkombinats abzugeben. Das war sein Durchbruch als Freiberufler. Denn der Mantel, den er für eine Pariser Firma namens Michel Morand entworfen hatte, wurde eine Sensation. Ein gewisser Franco Bruccoleri, der Chef der italienischen Vertriebsorganisation Oberkassel I, entdeckte ihn zufällig, war begeistert und führte Wolfgang bei den Italienern ein. Er wurde Blusoto-Joop. Entwarf Männerkollektionen, Sportswear, Stricksachen, aber vor allem Lederkollektionen, unter anderem den berühmten Zopfstrickeinsatz im Lederblouson.

Die Zeit mit Alke war verrückt und faszinierend. Einmal haben sie einen ganzen Katalog gezeichnet, Tausende Kombinationen - Hose mit Top "San Remo" und so weiter. Eine Woche haben sie gezeichnet. Wolfgang konnte keine Schuhe zeichnen, und so schoben sie die Blätter immer hin und her. Alke machte die Schuhe, er die Beine, sie die Jacke, er die Gesichter. Hin und her. Und rauchten und schluckten Tabletten und tranken Kaffee und waren gut drauf.

Von ihr lernte ich, den Strich anzusetzen, also nicht mehr so künstlerisch zu fummeln und schraffeln. Wenn wir die Aufgabe hatten, sagen wir mal, Skiklamotten zu entwerfen, dann hatte sie schon 30 Outfits gezeichnet, bevor ich den Satz zu Ende hatte. Sie machte immer so, so, so und saß mir gegenüber vor einem Riesenstapel Blätter.

Sie hatte immer pills dabei. Es gab Drogen, Aufputschmittel ohne Ende. "Willste 'ne Capti?", hieß es ständig, und wenn man die Hand aufhielt, hatte man 60 rot-weiße Pillen drin. Wenn sie tagelang durchzeichneten, wurde immer Captagon verteilt. Hinterher waren sie so hysterisiert, dass sie auf die Reeperbahn gingen, um wieder herunterzukommen.

Wir waren ja noch jung, 27, 28 Jahre, aber auch fix und fertig nach unserer Arbeit. Da hat Alke die Sachen dann statt nach Hongkong nach Bonn geschickt, und das Paket kam nie an. Solche Dinge passierten nonstop.

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Karin fing an, ihren Mut zu verlieren. Als Wolfgang den Job bei der "Neuen Mode" angenommen hatte und sie sich eine kleine Wohnung leisten konnten, hatten sie auch Jette zu sich geholt, dann aber wieder zu den Großeltern zurückgebracht, denn Karin arbeitete bei dem Inneneinrichter Eric Jacobsen als Assistentin und begleitete Wolfgang gern auf seinen Reisen zu den Firmen und half ihm als Model. Sie war sehr schlank, probierte seine Entwürfe, weil er sie sich am Körper nicht richtig vorzustellen vermochte. Die Teamarbeit ließ nach, als Alke auftauchte. Es war, als würde Karin sich aufgeben, als sie die andere sah. Saß zu Hause mit den beiden Mädchen, Florentine war ja inzwischen auch geboren, und hat nicht mehr mitgespielt.

In Hamburg lernte er auch Jil Sander kennen. Das kam noch dazu. Sie hatte ihren Laden in der Milchstraße und startete gerade durch. Sie waren unzertrennlich zwei, drei Jahre. Wolfgang fuhr mit Jil in den Urlaub oder machte mit ihr die Nächte durch, bei Cuneo, in der Brücke, im Bologna, bloß keinen Abend zu Hause sein. Und wenn er wieder einmal eine Ehekrise mit Karin hatte, dann wohnte er sogar bei Jil. Sie war seine sehr gute Freundin und er ihr sehr guter und sehr nützlicher Freund. Schon weil er so gut zeichnen konnte.

Und dann trennte Wolfgang sich von seiner Familie, nahm Schuld und Schulden auf sich, Karin hatte die Buchhaltung nicht so ernst genommen. Eines Tages saß er also frei, aber verstört und fertig nach einer Messe auf dem Flughafen, als Bruccoleri, den er ja schon vom Erfolgsmantel kannte, ihn aber aus den Augen verloren hatte, sich danebensetzte und sagte: "Wolfgang, ich weiß alles. Was du in eine Frau oder einen Mann investierst, kommt nie zurück. Was du in deine Karriere investierst, das kommt zurück. Es wird Zeit, dass du eine ganze Damenkollektion machst."

Ich hatte mich die ganze Zeit, als ich verheiratet war, von einem Job zum anderen gehangelt und hab versucht, so gut und so clever zu werden, dass ich auch ja das nächste Mal wieder engagiert wurde. Doch ich suchte endlich Sicherheit.

Lesen Sie am Montag: Joop erklimmt den Mode-Olymp. Und in Dubai verfolgt er am TV, wie die Berliner Mauer fällt.