Anja Boche (Ost) und Anne Weber (West) sprechen im “Wartesaal Deutschland“ über noch spürbare Unterschiede.

Hamburg. "Wartesaal Deutschland" heißt das Stück, das der Autor und Schauspieler Klaus Pohl 1994, fünf Jahre nach dem Mauerfall geschrieben hat. In gut 20 Monologen, zusammengestellt aus Interviews, die Pohl landauf landab geführt hat, werden Menschen aus Ost und West porträtiert, darunter ein Kfz-Mechaniker, eine Kabarettistin, ein Taxifahrer oder eine Putzfrau.

Sie sprechen darüber, was sie an Deutschland mögen oder nicht mögen. Wirren und Befindlichkeiten nach der Wiedervereinigung kommen ebenso zur Sprache, wie unüberbrückbare Unterschiede. Im Wartesaal sitzen Verlierer, Verzweifelte und Nie-Angekommene. Zwei der Schauspielerinnen, die mit dem Stück am 6. Oktober am St.-Pauli-Theater Premiere feiern werden, haben wir mit der Frage "Spüren Sie heute noch Unterschiede zwischen West und Ost?" zu einem Gespräch gebeten. Und die Antworten von Anne Weber, die aus Kiel stammt, und Anja Boche, die in Schwerin aufgewachsen ist, bestätigen, dass noch lange nicht zusammengewachsen ist, was zusammengehört.

"In Berlin fallen mir die Unterschiede zwischen Ost und West nicht mehr auf", sagt Anja Boche, "aber im restlichen Bundesgebiet hat es kein wirkliches Zusammenwachsen gegeben. Die Sozialisation im Osten und im Westen war zu unterschiedlich. Das merkt man noch." Zwischen Wessis und Ossis gibt es Vorurteile wie zwischen Deutschen und Ausländern, glaubt Anja Boche. Anne Weber hat ähnliche Erfahrungen: "Im Westen lebt man seit Langem mit dieser Multikulti-Mentalität. Nur auf die Menschen aus dem jeweils anderen Deutschland dehnt sie sich nicht aus."

Anja Boche war acht Jahre alt, als die Mauer fiel, kann sich aber gut an die DDR erinnern. Schließlich wurde sie in der Krippe und der Grundschule mit "kleinen Parteiprogrammen" erzogen. Auch an die Euphorie beim Mauerfall erinnert sie sich gut. "Das hat sich in den 90er-Jahren mit den ersten Enttäuschungen gewandelt." Die Menschen im Osten hätten sich angepasst, angebiedert. "Man musste Schritt halten mit dem Neuen, den Siegern." Boche ist nach dem Abitur in den Westen an die Schauspielschule gegangen, fühlte sich dort aber immer fremd. Sie lebt inzwischen in Potsdam. "Ich halte Kollektivismus im Gegensatz zum ausgeprägten Individualismus des Westens für etwas Schönes. Ich bin so erzogen. So was geht nicht mehr raus."

Es heißt, die Unterschiede würden erst aufhören, wenn der letzte, der noch die DDR erlebt hat, gestorben ist. Anja Boche hat sich stärker mit den Unterschieden zwischen Ost und West auseinandersetzen müssen als Anne Weber. "Ich glaube, ich bin ein Paradebeispiel für den ignoranten Wessi", sagt Weber. "Mich hat zur Zeit des Mauerfalls, als ich junge Schauspielerin am Theater in Düsseldorf war, meine Arbeit mehr interessiert als die Politik." "Wir mussten uns ja mit dem Westen beschäftigen, ihr nicht mit dem Osten", ergänzt Boche. Sehr spät erst hat Anne Weber mit Kollegen aus dem Osten zusammengearbeitet. "Ich habe mir bei ein paar Ausflügen die Landschaft im Osten angeguckt", sagt sie, "die Menschen habe ich erst viel später kennengelernt. Wenn ich heute im Osten unterwegs bin, habe ich immer das Gefühl, ich müsste mich zusammenreißen. Bloß nicht am Essen rummeckern und bescheiden sein."

Anja Boche war anfangs beeindruckt davon, dass die Menschen im Westen "ich" sagten und nicht "man". Hier konnte man seine Meinung sagen und selbstbewusst auftreten. "Irgendwann habe ich kapiert, dass die Menschen, die am lautesten sind, nicht die sympathischsten sind", sagt sie. Und auch, dass die Menschen im Osten ein schlechtes Gewissen hätten, wenn sie Karriere machten. "Meine Eltern müssen mit dem Vorwurf leben, sie hätten Geld, nur weil sie ein Geschäft aufgemacht haben."

Die Fassaden sind im Osten inzwischen schöner als in vielen Weststädten, darin sind sich beide Schauspielerinnen einig. Zusammengehörig fühlen sich viele Menschen aber dennoch nicht. "Wenn ich darüber nachdenke", so Anne Weber, "kenne ich kaum Menschen aus dem Osten. Nur am Theater. Vielleicht ist das der einzige Bereich, wo man wirklich keinen Unterschied mehr merkt."