Jüdische Kämpfer bringen Nazis zur Strecke - was in Tarantinos Film “Inglourious Basterds“ nur eine Fiktion ist, hat es tatsächlich gegeben.

Es ist noch dunkel in der Nürnberger Konsum-Großbäckerei in dieser Nacht zum 14. April des Jahres 1946. Drei Männer arbeiten fieberhaft; die Zeit drängt. Sie bestreichen 3000 Brotlaibe - doch nicht mit Zuckerguss, sondern mit dem Gift Arsen.

Die Brote sind für das amerikanisch geführte Internierungslager Langwasser vorgesehen, in dem bis zu 15 000 SS-Angehörige einsitzen. Tatsächlich werden die Brote verteilt und gegessen. Fast 2000 SS-Männer winden sich mit Bauchkrämpfen, 38 von ihnen geht es sehr schlecht, Hunderte Mägen müssen ausgepumpt werden, viele werden vorübergehend blind. Aber niemand stirbt.

Dass die "Aktion Todesbrot" nicht wie geplant funktionierte, erfahren die drei Täter erst nach Jahren.

Es ist ein Plot wie aus dem Film "Inglourious Basterds" des Regie-Berserkers Quentin Tarantino, der jetzt in den deutschen Kinos angelaufen ist. Die gewaltsame Rache jüdischer Kommandoeinheiten an Nazis ist keine Erfindung des Amerikaners - es hat sie tatsächlich gegeben. Und die herbe Realität dieser Strafaktionen steht den Fiktionen in "Inglourious Basterds" kaum nach.

Die Brotvergifter von Nürnberg gehörten zu einer jüdischen Gruppe um den charismatischen Dichter Abba Kovner, der aus dem Getto von Wilna geflohen war und als Partisanenkommandeur in den Wäldern um die Stadt gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatte. Als die Deutschen in Wilna das grausige Massenmorden begannen, organisierte Kovner unter dem Decknamen "Uri" den bewaffneten Widerstand. Er überlebte den Krieg, wurde in Israel zum gefeierten Poeten, Designer und Politiker und starb 1985.

"Die Juden schrieben mit ihrem eigenen Blut an die Wände der Gaskammern: Rächt uns!", soll Kovner Ende 1945 seinen Mitkämpfern gesagt haben. Und es sei die "Pflicht von uns Übriggebliebenen, diese Rache auszuführen". Kovner nannte seine Gruppe "Nakam" - nach dem hebräischen Wort für Rache. Und diese Rache sollte furchtbar ausfallen, sie sollte "dieselbe Dimension wie der Nazi-Massenmord" haben. Und dem waren fast sechs Millionen Juden zum Opfer gefallen. Abba Kovner war gnadenlos. Er sah das gesamte deutsche Volk in Schuld verstrickt.

Dabei war die "Aktion Todesbrot" nur der mildere "Plan B". "Plan A" hatte ganz andere Dimensionen. Nakam hatte Pläne ausgearbeitet, wie man das Trinkwasser in deutschen Großstädten vergiften könnte, um möglichst viele Menschen zu töten. Agenten hatten sich in den Wasserwerken in Hamburg und Nürnberg bereits mit dem Verlauf der Leitungen vertraut gemacht. Sie wollten vermeiden, auch alliierte Soldaten und Zivilisten zu vergiften.

Kovner reiste nach Palästina, um das Gift zu beschaffen. Er versuchte auch, die dortige jüdische Führung für sein Projekt "Tochnit Alef" - Plan A - zu gewinnen. Nach Angaben des israelischen Historikers Tom Segev hielt die Führung jedoch nichts von Kovners "obszöner Idee". Der Partisanenführer ließ sich nicht umstimmen, bestieg ein Schiff mit dem Gift im Gepäck. Doch auf der Höhe von Toulon wurde er zum Kapitän gerufen und verhaftet. Vier Monate verbrachte er in einem britischen Militärgefängnis bei Kairo. Den Rucksack mit dem Gift hatte Kovner vermutlich noch über Bord werfen können. Es gilt inzwischen als historisch gesichert, dass Nakam von der jüdischen paramilitärischen Untergrund-Kampfgruppe Haganah ("Verteidigung"), mit der sie eng kooperierte, an die Briten verraten wurde.

Die Haganah, aus der später die israelischen Streitkräfte wurden, hatte Sorge, dass die internationale Empörung über einen Massenmord an deutschen Zivilisten möglicherweise die Gründung eines jüdischen Staates verhindern könnte. 1948 erfüllte sich endlich der Traum vom Staat Israel, nachdem sich die Juden im weltweiten Exil 2000 Jahre lang versprochen hatten: "Nächstes Jahr in Jerusalem!"

Auch der tödliche Plan B ("Tochnit Bet") war aus denselben Gründen von einem Haganah-Agenten hintertrieben worden. Kuriosum am Rande: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft stellte im Mai 2000 ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes an zwei Nakam-Aktivisten ein, wegen "Verjährung aufgrund außergewöhnlicher Umstände".

Jüdischer Widerstand gegen die Nazi-Schergen hatte schon während des Krieges stattgefunden - allerdings mit einer politisch motivierten Verzögerung. Die Briten hatten den Einsatz des Freiwilligenverbandes "Jewish Brigade" lange mit Rücksicht auf arabische Befindlichkeiten verschleppt, die eine schlagkräftige jüdische Streitmacht nicht dulden wollten. Erst ab Mai 1945 kam die 5000 Mann starke jüdische Brigade von ihrem Stationierungsort aus, dem italienischen Tarvisio unweit der Grenzen zu Österreich und Slowenien, zum Einsatz. Sie gehörte zur 8. britischen Armee.

Während der Kampfhandlungen in Italien kam es vereinzelt bereits zu Racheaktionen an Nazis. Doch erst nach Kriegsende begannen Kommandoeinheiten der Jewish Brigade mit einem organisierten Rachefeldzug.

Sie fuhren in britischen Militäruniformen nach Kärnten, Tirol und Südtirol und ließen sich gefangene SS-Männer, Gestapo-Leute und hochrangige Parteibonzen ausliefern, um sie angeblich zur Befragung zu fahren.

Sie befragten die Nazis tatsächlich - aber vor improvisierten "Standgerichten". Anschließend wurden die "Angeklagten" in den Wäldern nach Verlesung eines Todesurteils "im Namen des jüdischen Volkes" erschossen. Zwei Mitglieder eines SS-Totenkopfverbandes, die Verbrechen an Jüdinnen zugaben, sollen kurzerhand in eine abgrundtiefe Gletscherspalte gestürzt worden sein. Die Schätzungen über die Zahl der Hingerichteten reichen von 100 bis 300.

Doch im Gegensatz zu Kovners Nakam wollten diese Rächer nicht das gesamte deutsche Volk treffen, sondern nur Schuldige am Massenmord. Wie der deutsche Autor John A. Kantara in einer Dokumentation schrieb, lag die Organisation des Rachefeldzuges der Jewish Brigade in den Händen von Chaim Laskov, der später der fünfte Generalstabschef der israelischen Armee wurde, und von Meir Zorea, der es ebenfalls zum General und zum Abgeordneten der Knesset, des israelischen Parlaments, brachte. Laskov starb 1983, Zorea 1995. Wie Kantara berichtete, hatte Zorea in einer Videoaufzeichnung enthüllt, dass jede Gruppe ihre eigene Art hatte, Nazis umzubringen. "Wenn wir jemanden liquidierten, gingen wir methodisch vor", sagte Zorea. Nie habe jemand erfahren, wer die Rächer waren. "Keine Ansprachen, keine Vorträge, kein Blabla. Wir haben die Nazis getötet, wie man eine Laus zerquetscht."

Israelische Kommandos machten in aller Welt Jagd auf Nazi-Täter. Viele der Aufgespürten starben an Ort und Stelle, andere wurden nach Israel gebracht.

Der erfolgreichste aller Nazi-Jäger arbeitete unblutig: Simon Wiesenthal. Der 2005 verstorbene jüdische Architekt und Autor, der im Holocaust 89 Verwandte verlor und zwölf Konzentrationslager überlebte, lehnte zeitlebens die Kollektivschuld-These ab. Penibel recherchierte Wiesenthal die NS-Täterschaft, legte eine Liste der kompletten SS-Führungsriege mit 90 000 Namen an und ging 3000 Fällen selber nach. Mehr als 1100 NS-Verbrecher machte Simon Wiesenthal ausfindig, damit sie vor Gericht gestellt werden konnten. Er trug auch zur Ergreifung des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann bei, der 1960 von Mossad-Agenten aus Argentinien entführt und zwei Jahre später nach einem spektakulären Prozess in Israel hingerichtet wurde.

Wiesenthals Motto stand imtotalen Gegensatz zu den Motiven der Nakam und der Jewish-Brigade-Killer: "Recht, nicht Rache".