Vor 30 Jahren wurde das Fastnet Race zur Katastrophe. 23 Boote gingen unter, 15 Segler starben. Ein Überlebender erzählt, wie ihn seine Kameraden im Stich ließen.

Hamburg. Die Irische See tobt. Ein heftiger Orkan hat im Meer zwischen den britischen und den irischen Inseln gewütet. In diesem schweren Wetter taumelt eine kleine Yacht aus Hamburg über die Wellen. Die "Tai Fat" ist bereits einmal gekentert, die Männer sind bei Wassertemperaturen von 12 Grad durchgefroren. Und dann sehen die Männer ein Boot, das ein weit schlimmeres Schicksal erlitten hat. Die "Grimalkin", eine englische Yacht, schaukelt wie eine Nussschale auf den Wogen, gespenstisch leer, kein Lebenszeichen an Bord. Der Hamburger Rechtsanwalt Michael Nesselhauf, damals auf der "Tai Fat", heute Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts, erinnert sich: "Das sinkende Boot war der schlimmste Anblick, den ich je gesehen habe. Wir dachten, da ist keiner mehr am Leben."

Und doch ist es der Beginn einer dramatischen Rettungsaktion. Es ist der Abend des 14. August 1979. Der letzte Überlebende der Katastrophe beim legendären Fastnet Race wird geborgen.

15 Segler sind bei der "Todes-Regatta" ums Leben gekommen. Der Royal Ocean Racing Club bemüht sich seither herauszufinden, was damals falsch gelaufen ist. Alle, bis auf die Besatzung der "Grimalkin", beteiligten sich an der Aufklärung. Erst jetzt, 30 Jahre danach, bricht Nick Ward, der letzte Überlebende, sein Schweigen. Er berichtet, wie ihn seine Kameraden auf dem sinkenden Schiff zurückließen. Ihn und seinen sterbenden Freund Gerry.

Dies ist ihre Geschichte.

Der 11. August 1979 war ein Sonnabend. Am Ufer von Cowes donnern die Startkanonen in den blauen Himmel. Die Brise treibt den weißen Rauch davon. Ein Traumtag. Mit jedem Schuss macht sich eine neue Gruppe von Yachten auf den Weg durch den Solent westwärts in Richtung Atlantik. Das Fastnet Race von Südengland nach Irland und zurück gilt Seglern seit 1929 als ultimative Herausforderung. 303 Boote sind am Start. Darunter auch die "Grimalkin". Mit nicht einmal zehn Metern Länge gehört sie zu den kleinsten Yachten.

Der Skipper der "Grimalkin" heißt David Sheahan, 40, von Beruf Steuerberater und ein erfahrener Segler. Seine Crew besteht aus fünf jungen Männern, darunter sein Sohn Matt, der Wachführer Gerry Winks und Nick Ward, der als Letzter zur Crew gestoßen ist. Nick ist 23 Jahre alt und arbeitet für einen Yachtausrüster. Er segelt seit seiner Kindheit. Die sechs kennen das Revier, sie sind hier aufgewachsen. Mit der Teilnahme am Fastnet Race erfüllen sie sich einen Traum.

Am folgenden Morgen liegt die "Grimalkin" schon weit draußen im Ärmelkanal und schleicht nun bei leichter Brise durch den Dunst. Das passt so gar nicht zu den acht Windstärken, die der Wetterbericht der BBC angekündigt hat. Auch am Abend flappen die Segel traurig in der Flaute.

Am dritten Tag hat die "Grimalkin" den Westausgang des Kanals erreicht. Eine Brise ist aufgekommen. "Unsere Sorgen waren buchstäblich fortgeweht worden", erinnert sich Nick Ward. "Wir flogen mit acht Knoten dahin. Das Boot war in seinem Element. Das Adrenalin strömte nur so durch meinen Körper."

Doch das Wetter ändert sich rasch. Der Wind wird stärker, die Wellen peitschen sechs Meter hoch, der Himmel verfärbt sich orange. "Unheimlich und spektakulär zugleich", so Ward. Ihm ist die Sache nicht geheuer, denn die "Grimalkin" befindet sich auf offener See. Rasch wird aus der Brise ein Sturm. Der französische Rundfunk kündigt Windstärke zehn an. Zum Umkehren ist es zu spät. Kein Hafen mehr in der Nähe.

Bei Einbruch der Dunkelheit hockt die Besatzung zusammengedrängt im Cockpit, verpackt in dickes Ölzeug, gesichert mit Rettungsleinen.

Schon die ersten Orkanböen fällen die "Grimalkin". Die Mastspitze berührt das Wasser. Der Sturm treibt die Yacht voran, Nick Ward sitzt am Ruder, erinnert sich an zwölf Meter hohe Wellen: "Ich fühlte zunächst Erregung und dann nur noch Angst und Schrecken." Die Männer an Bord sind erschöpft, nass und verfroren. Die "Grimalkin" rast wie ein Surfbrett die Wellen hinunter, ist kaum noch auf Kurs zu halten. Das Windmessgerät steht nun bei 60 Knoten am Anschlag - voller Orkan.

In den frühen Morgenstunden kommt die Katastrophe. Eine gewaltige See hebt das Heck der "Grimalkin" an, das Boot überschlägt sich. Die Crew wird über Bord geschleudert. Ward: "Das Wasser war so kalt, dass mir die Luft wegblieb. Ich wurde mit entsetzlicher Geschwindigkeit mitgeschleift, mit nasser Kleidung hinabgezogen wie ein Sack Zement." Trotzdem schaffen es alle zurück ins Cockpit. SOS! Skipper Sheahan setzt einen Mayday-Notruf ab. Notraketen werden gezündet, aber der Orkan drückt das rote Feuer ins Wasser. Eine herumfliegende Konservendose verletzt den Skipper am Kopf.

Im ersten Morgenlicht ist die "Grimalkin" schon sechsmal gekentert, beim siebten Mal treibt sie lange kieloben. Als sie sich endlich aufrichtet, ist der Mast verschwunden. Nur noch drei Mann retten sich zurück ins Cockpit, Nick Ward und Gerry Winks hängen bewusstlos in ihren Gurten unter der Bordwand. Skipper Sheahan wird von seiner verfangenen Rettungsleine unter das Schiff gezogen. Sein Sohn Matt kappt die Leine, doch die Schwimmweste reißt den Verunglückten davon. Sein Sohn sieht ihn nie wieder.

Matt Sheahan und seine beiden Kameraden im Cockpit geraten in Panik. Ohne sich um die beiden im Wasser treibenden Mitsegler zu kümmern, steigen sie in die Rettungsinsel und stoßen sich ab. Drei Stunden später entdeckt sie ein Rettungshubschrauber und bringt sie in Sicherheit.

Nick Ward ist inzwischen wieder bei Bewusstsein: "Ich fühlte, wie mein Kopf immer wieder gegen etwas Hartes schlug. Ich wurde von der Leine mitgeschleift und rief um Hilfe. 'Holt mich hier raus! Wo seid ihr?'" Es ist keiner mehr da. Die "Grimalkin" treibt verlassen im Meer. Nick Ward klettert ins Cockpit und sieht die offene Luke unter dem Boden. Die Rettungsinsel ist fort! Man hat ihn zurückgelassen. Allein? Nein, Gerry hängt noch draußen. Er zieht ihn mit der Winde an Deck. Regungslos liegt sein Kamerad am Boden. Ward trommelt auf sein Brustbein. Gerry erbricht Salzwasser und beginnt wieder zu atmen. Doch er ist dem Tode geweiht. Er röchelt, sein Gesicht ist aschfahl, er versucht zu reden. Nick Ward hört die Worte eines Mannes, der weiß, dass er im Sterben liegt. "Wenn du Margaret, meine Frau, jemals wiedersiehst, sag ihr, dass ich sie liebe." Wieder Husten, wieder leises Stammeln, "dann war es zu Ende".

Nick verbringt einen Tag allein in der tobenden See. Das Wasser steht kniehoch im Boot. Er schnappt sich einen Eimer und pützt um sein Leben. Am Abend des 14. August verlässt ihn die Kraft. "Ich war kalt wie der Tod", beschreibt er seine Lage. "Mein Atem war schnell und flach. Mein Hirn wollte seinen Dienst einstellen. Ich war sicher, ich würde die Nacht nicht überstehen."

Dann naht die Rettung. Die "Tai Fat" der Hamburger Regatta-Gemeinschaft hat das Fastnet Race abgebrochen, nachdem auch sie im Orkan gekentert ist. Erich Stüwe, ein Schiffsmakler vom Fischmarkt, sitzt an der Pinne. Es ist fast dunkel, da entdeckt er eine Seenotrakete am Horizont, die ein französisches Schiff abgefeuert hat. Die "Tai Fat" steuert auf die halb gesunkene "Grimalkin" zu. "Tai Fat"-Navigator Christian Schaumlöffel, der bei den Hamburger "Alster-Piraten" segelt, alarmiert die Seenotrettung. Crewmitglied Michael Nesselhauf schaudert es noch heute: "Man sagt von uns, dass wir weder Tod noch Teufel scheuen, aber im Zentrum eines Sturms mit Windstärken zehn bis zwölf fängst du an zu beten." Er erinnert sich an das Drama: "In der gewaltigen See konnten wir selbst nicht helfen. Als wir gekentert waren, ist unsere Rettungsinsel verloren gegangen. Sie wurde später kieloben treibend gefunden, die Meldung hat unsere Familien in Angst und Schrecken versetzt." Die "Tai Fat" blieb in der Nähe der "Grimalkin", um mit ihrem leuchtend roten Rumpf dem Hubschrauber eine Markierung zu geben. "Wie sich der Mann abseilte, war abenteuerlich. Er hat zu uns rübergewunken, was wir als Signal zum Weitersegeln verstanden haben. Wir wollten möglichst schnell nach Hause."

Peter Harrison, Commander der Royal Air Force, sieht unter seinem Hubschrauber "Sea King" ein völlig zerstörtes Schiff. Im Cockpit liegt eine verrenkte Gestalt, im Heckkorb hängt apathisch ein Mann. Harrison lässt sich abseilen. Er birgt zunächst den toten Gerry Winks. Dann holt er Nick Ward von Bord. Nach 14 Stunden im Wasser ist der letzte Überlebende von Fastnet gerettet.

Fast drei Jahrzehnte lang sucht Nick Ward nach dem Mann, dem er seine Rettung verdankt. Er findet Christian Schaumlöffel schließlich in den USA, wo er inzwischen lebt.

Das Unglücksschiff wird geborgen, verkauft und repariert. Es segelt heute noch unter dem Namen "Grimalkin" auf dem Solent.

Margaret Winks hat den letzten Liebesgruß ihres sterbenden Mannes erhalten. Zu Matt Sheahan, der damals die Rettungsinsel klarmachte, hat Nick Ward nur kurz Kontakt. Eine Entschuldigung gibt es nicht. Die beiden anderen Mitsegler haben sich bis heute nicht bei ihm gemeldet.

An diesem Sonntag wollen wieder 300 Segelyachten zum Fastnet Race starten. Darunter etwa ein Dutzend Boote aus Hamburg, Bremen und Kiel. Der Wetterbericht hat "moderaten" Wind angesagt.

Nick Ward hat seine Geschichte aufgeschrieben: "Allein mit dem Tod" (Delius Klasing Verlag, 224 Seiten, 19,90 Euro)