Ortrud Westheider, Direktorin des Bucerius-Kunst-Forums, im Abendblatt-Interview über die Faszination für den US-Maler Edward Hopper, die bis heute ungebrochen ist.

Hamburg. In Kooperation mit der Ausstellungshalle der "Zeit"-Stiftung" lädt das Abendblatt am Sonnabend dazu ein, den amerikanischen Maler Edward Hopper (1882-1967) kennenzulernen. In der Ausstellung "Modern Life. Edward Hopper und seine Zeit" werden Meisterwerke des Künstlers und Arbeiten seiner Zeitgenossen gezeigt. Wir sprachen mit Ortrud Westheider, der Direktorin des Bucerius-Kunst-Forums, über das Phänomen Hopper.

Hamburger Abendblatt:

Warum ist Edward Hopper bis heute so außerordentlich populär und postertauglich?

Ortrud Westheider:

Wim Wenders hat einmal gesagt, dass jedes Bild von Hopper wie der Beginn eines amerikanischen Films sei. Hopper zeigt Szenen, die so abstrahiert sind, dass man sie zu kennen meint. Jede Milieuschilderung, jedes Indiz für eine bestimmte Straßenecke wird weggenommen, sodass das Bild so allgemeingültig wird, dass sich fast jeder damit identifizieren kann.

Abendblatt:

Wie kommt es, dass die Bilder so merkwürdig zeitlos wirken?

Westheider:

Weil Hopper zeittypische Details stark reduziert, kann man die Darstellungen kaum datieren. Er hat die viktorianische Architektur, die Straßenecken und Kioske so "bereinigt", verallgemeinert und abstrahiert, dass auch heutige Betrachter meinen, die Dinge noch real so sehen zu können.

Abendblatt:

Dabei erzählen diese Bilder doch eigentlich gar keine Geschichten.

Westheider:

Aber sie lassen viel Raum für Geschichten und sie provozieren geradezu Geschichten, denn es gibt immer Hinweise auf Dinge, die verborgen sind oder sich den Blicken entziehen.

Abendblatt:

Können Sie ein Beispiel nennen?

Westheider:

Wie zeigen das 1912 entstandene Gemälde "Italien Quartier, Gloucester", das den Ort darstellt, in den Hopper sich in den Sommermonaten zurückgezogen hat, als er noch als Illustrator arbeiten musste. Man sieht den Ort quasi von der Rückseite, erkennt recht anspruchslose Häuser und weiß gar nicht, dass es sich um eine Stadt an der See handelt. Und dann entdeckt man ganz unvermittelt im Hintergrund einen Schiffsmast aufragen, sodass man sofort weiß, dass sich in dieser Richtung das Meer befindet, dass da Menschen sind, die sich am Strand und auf der Promenade vergnügen. Doch zwischen dem Betrachter und dem Meer liegen als Barriere die Häuser. Nur durch den Schiffsmast denkt man sich sofort das Meer und das Strandleben dazu.

Abendblatt:

Warum wirken die meisten Hopper-Bilder so karg?

Westheider:

Hopper war selbst ein Puritaner im besten Sinne. Er hat sehr bescheiden gelebt, hat von 1913 an bis zu seinem Tod 1967 eine sehr einfache Wohnung am New Yorker Washington Square bewohnt. Wenn man bei Hoppers zum Tee geladen wurde, gab es keinen Alkohol dazu, und geraucht wurde auch nicht. Josephine Hopper, die ja für alle Frauengestalten Vorbild war, hat sich bei ihrem Mann bitter beklagt, dass sie in der eiskalten Wohnung nackt Modell stehen musste. Dieser Puritanismus, der sich am kargen Ambiente vieler seiner Bilder ablesen lässt, ist Ausdruck einer inneren Haltung.

Abendblatt:

Wie hat sich Hopper seinen Motiven genähert?

Westheider:

Er hat sich sehr viel Zeit genommen. Es gibt Jahre, in denen nur ein einziges Gemälde entstanden ist. Allerdings hat er die Gemälde mit einer Flut von Skizzen vorbereitet. Oft hat er sich ein Motiv tagelang angeschaut, hat sich dort zu den unterschiedlichen Tageszeiten stundenlang aufgehalten und die Szene in sich aufgenommen. Das ging so weit, dass er manchmal sogar die Sorge hatte, angezeigt zu werden, weil es so aussah, als würde er eine bestimmte Gegend observieren.

Abendblatt:

Warum kann man Edward-Hopper-Bilder so leicht als solche erkennen?

Westheider:

Weil er im Grunde von 1924 bis 1964, als er zu malen aufhörte, sowohl thematisch als auch stilistisch in großer Kontinuität gearbeitet hat. Während um ihn herum alle möglichen Richtungskämpfe tobten, ist er selbst völlig unbeirrt seinen Weg gegangen.

Abendblatt:

Nach seiner ersten Einzelausstellung 1924 in der Galerie von Frank Rehn in New York hatte Hopper kommerziellen Erfolg. Seit wann war er der Star, als den wir ihn kennen?

Westheider:

Eigentlich erst seit den 60er-Jahren, als man mit der Pop-Art den Realismus neu schätzen lernte. Zuvor stand er im Schatten der abstrakten Expressionisten, die die Szene beherrscht hatten. Erst mit der Pop-Art ist Edward Hopper richtig berühmt und populär geworden.

Abendblatt:

Warum zeigen Sie in der Ausstellung nur acht Gemälde von Hopper?

Westheider:

Die Logik unserer Amerika-Trilogie verbot von vornherein eine monografische Hopper-Schau. Wir haben in drei Ausstellungen 150 Jahre amerikanische Kunst gezeigt und damit die These aufgestellt, dass sich die Malerei der USA in großen Themenblöcken entwickelt, anders als die europäische Kunst, für die eine stilistische Abfolge charakteristisch ist. In Amerika begann es mit der Landschaft, nach dem Ende des Bürgerkriegs und dem Aufstieg der Industriellen-Dynastien stand das Porträt im Mittelpunkt, das um die Jahrhundertwende von der Großstadt als beherrschendem Thema abgelöst wurde. Weil Hopper für das urban life die zentrale Figur ist, haben wir ihn in unserem mit dem New Yorker Whitney-Museum entwickelten Ausstellungskonzept auch in den Mittelpunkt gestellt, zeigen aber zugleich die Kunst seiner Generation, die ihn in vielfältiger Weise beeinflusst hat.