Die Aktion “Singen Sie Hamburgisch?“ ist ein großer Erfolg. Der Liedersammler Jochen Wiegandt sucht weiter alte Fotos und Lieder.

Hamburg. "So muss sich ein Pilzesammler fühlen, wenn er Steinpilze findet", sagt Jochen Wiegandt. Der Hamburger Liedersammler und Volkssänger, der am Wochenende bei der Altonale (16.6., 15 Uhr, Motte-Bühne) und beim Tag der Musik (16.6., 11 Uhr, Tibarg-Center) zu hören ist, spricht über seine erneuten Funde alter Hamburger Lieder.

Seit dem Beginn der Aktion "Singen Sie Hamburgisch?" vom Hamburger Abendblatt und NDR 90,3 sind schon mehr als 500 Einsendungen eingegangen. Die Leser haben Strophen oder einzelne Zeilen geschickt. Lieder, die ihnen früher ihre Eltern vorgesungen haben, und kleine Geschichten, die sich damit verbinden. Manch einer hat Jochen Wiegandt die Melodien vorgesungen, andere Leser haben auch Fotos von musikalischen Erinnerungen eingesandt. Und wöchentlich trudeln immer wieder neue, unbekannte Schätze bei ihm ein.

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Zuletzt hat Ute Wedemeier, 76, aus Neugraben dem Liedersammler ein Foto von ihrer Oma Betty Ihde geschickt. Und das ist etwas ganz Besonderes: Denn Betty Ihde, die im Jahr 1879 geboren worden ist, kommt in einer Fassung eines der wohl bekanntesten Hamburger Liedes vor: "An de Eck steiht 'n Jung mit'm Tüdelband". In dem Refrain vom "Äppel klauen", der dem ursprünglichen Lied der Gebrüder Wolf aus dem Jahr 1911 erst später hinzugefügt worden ist und in dem es heute in den beiden letzten Zeilen heißt: "Ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein", hieß es früher: "Mudder Ihde seggt, de Äppel sünd schlecht, de laat sik nich verdaun." Für Jochen Wiegandt sind solche Fotos auch deshalb wichtig, weil viele Menschen sich nicht vorstellen könnten, "dass hinter den Namen in den Liedern reale Personen und Ereignisse stehen".

Wilfried Behrends, 78, hat Jochen Wiegandt das Lied von "Mathilde mit dat stiebe Been" zugesandt. "Er hat mir am Telefon sogar die Melodie vorgesungen", sagt Wiegandt. "Nun fehlt mir bloß noch die Information, wer dieses Lied geschrieben hat. Wer weiß es? Bei den Volkssängern Hein Köllisch und bei den Gebrüdern Wolf habe ich es nicht gefunden."

Wichtig sind Wiegandt nicht nur die platt- und hochdeutschen Texte sowie die Melodien, er will auch die Geschichten dahinter beleuchten und mit Fotos und Zeitzeugnissen illustrieren. "Wenn wir diese Dinge jetzt nicht sammeln, dann sind die alten Musiken und Lieder für immer verloren", sagt er und bittet deshalb: "Schicken Sie mir das, was Ihre Eltern und Großeltern so gesungen haben und was so nicht in Liederbüchern steht!"

Die alten "Couplets" der Kaiserzeit und der 1920er- und 1930er-Jahre würden zwar immer weniger erinnert, sagt er. Dafür kämen jetzt aber vereinzelt Schlagerparodien, zum Beispiel auf das "Lied der Caprifischer" zum Vorschein. "Das sind bittere Texte auf die Schwarzmarktzeit und die britische Besatzung, die auf diesen Hit der 40er-Jahre aufgepfropft wurden", sagt Wiegandt. Dort heißt es dann zum Beispiel: "Wenn auf dem Schwarzmarkt die Sirene der Polizei erklingt ..."

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Oder die deutsche Kohlenklau-Fassung des Doris-Day-Schlagers von 1944 "Sentimental Journey". Der Text spielt auf den harten Winter 1946/1947 an: "Komm, wir machen eine kleine Reise, hin zu dem Bahnhof Eidelstedt, und du und ich wir gehen über Geleise, da wo der Waggon mit Kohlen steht."

Wenn Jochen Wiegandt diese Lieder in Konzerten singt, macht es "Blubb" in den Köpfen der älteren Hamburger. "Ja natürlich, ich erinnere das Lied auch", bekommt er oft zu hören, "aber bei uns haben wir das noch etwas anders gesungen." Dann schreibt Wiegandt sich das sofort auf und bewahrt es damit vor dem Vergessen.

Der Volkssänger weiß, dass überall in der Stadt noch viel mehr an Liedern im "Volksmund" schlummert. Und erst recht finden sich musikalische Erinnerungen in den Familien-Fotoalben der alten Zeit. "Ich suche Fotos, auf denen Menschen in und aus Hamburg Musik machen und singen", sagt er.

Haben Sie noch Fotos oder alte Lieder? Schicken Sie Ihre musikalischen Schätze und Erinnerungen an: Hamburger Abendblatt, Stichwort "Singen", Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg. Alle weiteren Informationen zu dieser Aktion im Internet unter www.singensiehamburgisch.de