Die Satiriker Hans Scheibner und Nico Semsrott trennen fast fünf Jahrzehnte. Die Lust an der Ironie verbindet die Gesellschaftskritiker.

Hamburg. Der eine ist geborener Hamburger, als "Lästerlyriker" bekannt geworden. Hans Scheibner, 75, gehört als Träger der Biermann-Ratjen-Medaille längst zum Hamburger Kulturgut und ist einer der dienstältesten Satiriker. Der andere ist gebürtiger Hamburger, lebt in Bamberg und schickt sich nach Anfängen in der Poetry-Slam-Szene und bei Comedy-Wettbewerben an, das deutsche Kabarett auf seine Art zu revolutionieren. Nico Semsrott, 26, hat am 14. Juni mit seinem ersten Soloprogramm "Freude ist nur ein Mangel an Information" Premiere im Polittbüro. Auf der Bühne und auf Bildern mimt er den ewig Depressiven - unterm schwarzen Kapuzenpullover. Beim Gespräch in einem Café in der City will auch Scheibner obenrum nicht kahl wirken und zieht eine Mütze über den Kopf. Der Beginn einer Annäherung.

Hamburger Abendblatt: Herr Scheibner, Herr Semsrott, wussten Sie voneinander?

Hans Scheibner: Bei "extra drei" hab ich ihn mal erlebt, und dann haben mir meine Töchter auch erzählt: "Den musst du dir mal angucken." Dann hab ich ihn auf YouTube gesehen.

Nico Semsrott : Ich wusste, dass es Hans Scheibner gibt als Kabarettisten. Ich hab vor Jahren im NDR mal ein Porträt gesehen, daran erinnere ich mich. Als Sie mit Ihrem Hund spazieren gegangen sind. Und dann hab ich erfreut recherchiert, dass Sie mal Stress hatten mit dem Abendblatt ...

Scheibner: Ja, ja - aber das ist ja schon 27 Jahre her.

Semsrott: Ich hatte auch mal Stress, wegen einer verbotenen Schülerzeitung, im Schuljahr 2004/2005. Ich habe an der Sophie-Barat-Schule eine Schülerzeitung gegründet als Folge eines Streits in der legalen Schülerzeitung "Sophies Welt". Ironischerweise wollte der Beratungslehrer einen Artikel drinhaben, den wir einfach qualitativ nicht gut genug fanden - es ging um Freiheit. Das war das Titelthema. Das war total kurios: Wir waren verboten, noch bevor die erste Ausgabe herauskam.

Wie alt waren Sie da?

Semsrott: 18, wir waren im Abi-Jahrgang. Das hat hohe Wellen geschlagen. Doch wir haben uns nicht einschüchtern lassen und haben dafür den Bertini-Preis bekommen - zwei Jahre später.

Herr Scheibner, haben Sie früher als Schüler auch solche Repressionen erlebt?

Scheibner: Ich hab als Schüler bereits ein satirisches Stück mit schwarzem Humor geschrieben, wir haben es auch zusammen aufgeführt.

Semsrott: In der Aula?

Scheibner: Das war in der Mittelschule in Niendorf am Sootbörn ...

Semsrott: ... Sie sind auch Niendorfer...?

Scheibner: Ich bin in Lokstedt groß geworden, gegenüber vom Victoria-Sportplatz. Damals hab ich auch solche Sachen geschrieben wie Sie heute, da war ich vielleicht 15. Da hab ich Verse gemacht wie "Ich möcht mal ein Gehirn zersägen und den glitschig-feuchten Bregen mit beiden Fingern gierig fassen und durch die Finger quetschen lassen." Heute würde man mich vielleicht verhaften, aber wir haben es aufgeführt im Fach Deutsch. Solche Schwierigkeiten hatte ich öfter, ich habe dafür jedoch keinen Preis bekommen. Schriftsteller kriegen den Lessing-Preis, Kabarettisten 'ne einstweilige Verfügung.

Semsrott: Das ist auch 'ne Auszeichnung. Wie viele haben Sie gesammelt?

Scheibner : Eine hab ich damals vom Bundesverteidigungsministerium bekommen. Dann hab ich meine Sendung "scheibnerweise" in der ARD verloren, weil ich in einer Talkshow ein Lied gesungen habe, in dem die Zeile vorkam "Soldaten sind Mörder". Deshalb habe ich damals auch beim Abendblatt meine wöchentliche Kolumne verloren, in der es um alltägliche Dinge ging. Damals waren das halt ganz andere Zeiten, da war alles besonders zugespitzt.

Nico, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Semsrott: Es ist heute nicht mehr so, dass man seinen Gegner konkret wahrnehmen kann und weiß: Aha, ich bin in der SPD, er ist in der CDU, die Linien sind klar. Es gibt immer noch krasse Ungleichgewichte, aber sie treten nicht mehr so offen zutage in einer entfremdeten Welt, wo der, der über mein Leben entscheidet, irgendwo im Hochhaus sitzt und mich nicht kennt.

Scheibner: Es ist schlimm, wenn man nicht mal seinen Gegner kennt. Ich habe zum Beispiel fast fünf Jahre lang erfolgreich eine wöchentliche Satire im NDR-Fernsehen gemacht, da bin ich mit meinem Hund spazieren gegangen und hab mich mit ihm über Politik unterhalten, weil der das besser verstanden hat als alle anderen. Die ist irgendwann gekippt worden, ich weiß bis heute nicht, warum. Ein Redakteur hat mir gesagt: "Hans, das ist Altersrassismus."

Was treibt Sie beide an?

Semsrott: Mein Wunsch war immer, die Welt zu verändern. Das ist eine Phrase. Ich möchte aber, dass es Sinn hat, was ich mache. Viele Mechanismen machen die Menschen unglücklich und krank. Etwa der ständige Leistungsdruck, der teilweise absurde Formen annimmt, wo Dreijährige in Mandarin-Kurse geschickt werden. Wahnsinn, welche Abstiegsängste Leute entwickeln. Ich schlag in meinem Programm Englischkurse im Mutterleib vor. Wer die Prüfung nicht besteht, soll gleich zurück.

Der globalisierungskritische Ansatz ...

Semsrott: Ja, aber dahinter steckt ja eine menschenverachtende Ideologie, hinter dem neoliberalen Ansatz, keine Menschen zu sehen, sondern nur noch Kostenfaktoren. Das ist keine Welt, in der ich leben will. Dagegen kämpfe ich, mit den Mitteln, die ich habe.

Herr Scheibner, haben Sie auch so gedacht, als Sie angefangen haben?

Scheibner: Ich konnte nicht studieren, weil meine Eltern kein Geld hatten. Und BAföG gab's noch nicht. Ich hab meine ersten Gedichte am Schreibtisch bei einer Lack- und Farbenfabrik geschrieben, in einer ganz kleinen Schrift, damit mich der Chef nicht sieht und es nicht lesen kann. Diese Grundhaltung von Nico ist eine ironische, diese gespielte Depression, das erinnert mich an den braven Soldaten Schwejk: "Melde gehorsamst, ich bin blöd!" Und damit hebelt er sie alle aus. Deswegen finde ich das gut, was er macht.

Was ist für Sie komisch, was ironisch?

Scheibner : Ein weites Feld. Auf der einen Seite geht es um die bittere Ironie, die Nico auch macht, die wir alle machen, etwas über Sachen schreiben, über die wir eigentlich nicht mehr lachen können, nämlich über Krieg und Soldaten und Unmenschliches. Auf der anderen Seite gibt es die sympathische Komik wie bei Loriot oder Wilhelm Busch. Komik ist da, wo sich die Ansprüche mit der Wirklichkeit brechen.

Semsrott : Wenn etwas nicht klappt, wenn etwas scheitert und tragisch endet, dann geht es schnell ins Komische.

Nico, haben Sie Vorbilder?

Semsrott : Ich schätze Georg Schramm sehr. Ich finde das Subversive am Humor toll. Damit hat man eine ganz andere Möglichkeit, zu kritisieren. Es macht die Menschen offener für schwerere Themen. Ich mag es als Mittel sehr.

Wie wichtig ist das Internet für Sie als Verbreitungsmittel?

Scheibner: Wenn es gut läuft, hab ich auf YouTube vielleicht 30 000 Klicks mit einem Titel. Nicht die meisten, aber viele meiner Fans sind tot. Würde mich freuen, wenn du das auch mal erlebst. (Beide lachen.) Wobei wir wieder beim Altersrassismus sind.

Semsrott: Das ist ein schöner Titel fürs Interview: "Viele meiner Fans sind tot!" (Großes beiderseitiges Gelächter.)

Abgemacht! Eine Frage haben wir vorher noch: Wie ist es denn eigentlich, wenn auf der Bühne Pointen nicht zünden und kaum Reaktionen kommen?

Scheibner : Wenn es immer nur um Pointen ginge. Ich bin und bleibe immer noch Überzeugungstäter, so wie du gesagt hast: "Ich will die Welt verändern." Man weiß zwar, man kann die Welt nicht mit Kabarett verändern, aber man kann doch zumindest die kleine Stimme sein, die immer noch nicht schweigen will. Darum geht es, und nicht so sehr darum, auf jeden Fall Pointen zu liefern.