Generationengespräch: Die Hamburger Theaterregisseure Wilfried Minks und Jette Steckel über Schauspieler, Kritik - und die “gewisse Wirkung“.

Hamburg. 82. Nichts sagt diese Zahl über das Theater, mit dem beide ihr Leben verbringen. Aber vieles über ihre Generationen: Die 82 verbindet Wilfried Minks und Jette Steckel, jedenfalls für den Moment. Minks, leise, leicht ironische Stimme, ist in diesem Jahr 82 Jahre alt geworden, er gehört zu den großen Regisseuren der deutschen Theatergeschichte, hat mit der jungen Eva Mattes und mit Hannelore Hoger gearbeitet, sein "Tod eines Handlungsreisenden" hatte im März am St.-Pauli-Theater Premiere. Steckel, raspelkurzes Haar, kritischer Blick, ist Jahrgang 1982, gerade 30 Jahre alt, hochschwanger mit ihrem zweiten Kind, und der weibliche Shootingstar der Szene. Zuletzt feierte ihr "Dantons Tod" am Thalia Premiere. Beide kennen und duzen sich, Minks hat schon mit Jette Steckels Mutter zusammengearbeitet. Bei der herzlichen und doch fast schüchternen Begrüßung spürt man einen großen gegenseitigen Respekt.

+++ Generationengespräch +++

Hamburger Abendblatt: Frau Steckel, Herr Minks, wollten Sie schon immer Regisseur werden?

Wilfried Minks: Nein. Ursprünglich wollte ich Bauer werden. Wie mein Vater. Er wollte mir den Hof vererben, aber wir mussten flüchten. Theater kam in unserem Leben gar nicht vor. Es gab keine Kunst, keine Bilder, höchstens 'Jesus im Kornfeld'.

Jette Steckel: Bei uns war das genau andersherum. Bei uns gab es fast nur Theater. Mein Vater war Regisseur, meine Mutter Bühnen- und Kostümbildnerin. Ich wollte deshalb keinesfalls zum Theater, zumindest wollte ich das nicht wahrhaben. Jetzt arbeite ich selber seit sechs Jahren am Theater, aber zu sagen, ich bin Regisseurin, finde ich immer noch schwierig.

Warum?

Steckel: Ich weiß eigentlich nicht genau, was das für ein Beruf ist, Regisseur. Bei einem Architekt weiß man ungefähr, was das Ergebnis seiner Arbeit ist. Bei einem Regisseur nicht unbedingt.

Minks: Ich finde auch, dass es manchmal nicht greifbar ist, was wir tun. Aber es ist eben schon ein richtiger Beruf. Man setzt sich mit Menschen auseinander, man vermittelt. Und ich war jahrzehntelang Bühnenbildner, bevor ich Regisseur wurde. Ich kannte Regisseure, ich wusste, was das für ein Beruf ist. Ich habe kein Problem damit zu sagen, ich bin Künstler.

Steckel: Ich schon. Ich mag mich nicht Künstler nennen. Ich bin noch auf der Suche nach meiner Funktion und meinem Titel im Leben. Ich finde diese Definition eher beengend. Ich weiß nicht, ob ich das die nächsten 40 Jahre machen will und kann.

Minks: Was ein Regisseur eigentlich tut, ist so unterschiedlich, darauf kann ich auch keine endgültige Antwort geben. Was braucht man als Regisseur? Welche Qualität? Da fängt es doch schon an, kompliziert zu werden.

Welche Rolle spielt Autorität?

Minks: Eine gewisse Wirkung muss man als Regisseur schon haben. Das macht man nicht bewusst. Man hat es. Es gibt Regisseure, die sehr genaue Vorstellungen haben, andere lassen die Schauspieler viel ausprobieren. Fassbinder beispielsweise hat nur Durchläufe gemacht. Immer wieder. Er hat nie etwas dazu gesagt, aber es wurde immer so, wie er es sich vorgestellt hatte. Für mich ist wichtig, mich nicht festlegen zu lassen. Jede Inszenierung ist ein Prozess, der ist nie abgeschlossen.

Steckel: Obwohl alle wissen, dass ich als Regisseurin bis zum Schluss sagen kann, wie es sein soll, hängt nicht alles an mir. Ich bin unglaublich abhängig von so vielen Faktoren. Die Auswahl des Stückes macht man mit dem Intendanten. Das Konzept entwickelt man mit der Dramaturgie, dem Bühnenbildner, der Kostümbildnerin. Dann kommen die Spieler und ihre Interpretation. Natürlich entscheide ich viele Details, aber ich bin nur Teil eines Teams, das am Ende dann eh die Schauspieler allein auf der Bühne stehen lässt.

Trotzdem sind Sie es, die bestimmen muss: "Genau so soll es sein."

Steckel: Ja, es ist Teil des Jobs, dass man Verantwortung übernimmt, auch für andere.

Wie gehen Sie mit Kritik um?

Steckel: Theoretisch sage ich mir immer, dass es mir egal sein soll, aber praktisch bin ich empfindlich.

Minks: Ich hab's nicht gerne, wenn ich verrissen werde. Ich ärgere mich, wenn Kritiker etwas nicht gesehen haben, was ich gemacht habe. Applaus aber ist mir sehr wichtig.

Steckel: Mir auch. Theoretisch. Allerdings bekomme ich ihn gar nicht mit. Ich bin nach einer Premiere wie in einem Kokon, höre und sehe nichts.

Herr Minks, was glauben Sie, war zu Ihrer großen Zeit das Theater gesellschaftlich wichtiger?

Minks: Es wird seit Jahrzehnten, Jahrhunderten, Jahrtausenden darüber geredet, was das Theater soll, wofür wir es brauchen. Mal mehr, mal weniger. Diese Frage kann man gar nicht lösen. Ob das Theater damals wichtiger war? Ich glaube nicht.

Hat sich denn die Arbeit mit Schauspielern in den letzten Jahren verändert?

Minks: Ich arbeite heute ähnlich wie vor 40 Jahren ...

Steckel: ... vor 40 Jahren, da gab's mich noch gar nicht ...

Minks: Ich habe noch Schauspieler erlebt, bei denen jeder Blick, jede Regung, jede Handbewegung etwas bedeutet hat. Das sieht man heute nicht mehr oft, obwohl es toll wäre. Aber wir denken heute anders über Menschen nach. Früher haben Schauspieler wohl mehr vorgeschrieben bekommen.

Steckel: Ich spreche vorab viel mit den Spielern. Ich lege großen Wert auf den Ausdruck innerer Vorgänge, auf das, was man Psychologie nennt. Nachdem wir geredet haben, spielen die Schauspieler frei los. Ich oder ein Musiker machen dazu Musik. Ich treibe Szenen musikalisch in die Enge. Als Unterstützung des emotionalen Zustands, den wir suchen.

Minks: Mir ist am liebsten, wenn ich nichts sagen muss, wenn die Schauspieler ihren Text ernst nehmen und wenn sonst nichts festgelegt ist. Ich mag es nicht, wenn man am Anfang 'Guten Tag' sagt und dann schon ahnt, wo die Figuren am Ende des Stückes landen werden. Theater ist Spiel. Es wird etwas vorgespielt, damit man etwas begreift. Wie bei einem Kind.

Realität auf der Bühne gibt es nicht, haben Sie einmal gesagt.

Minks: Ja, vielleicht ist das auch so.

Steckel: Ich empfinde das, was auf der Bühne stattfindet, als real. Für mich wird das in guten Momenten wirklich. Wirklicher als die Wirklichkeit. Ich schwitze sehr auf Proben, auch wenn ich nur dasitze, weil ich erlebe. Manchmal auch Dinge, die noch gar nicht da sind, die ich nur erahne.

Herr Minks, worum beneiden Sie Jette Steckel?

Minks: Darum, dass sie ein Kind bekommt.

Und in der Arbeit?

Minks: Um nichts. Obwohl - natürlich darum, dass sie im Moment an den guten Theatern arbeiten kann. Das tue ich zwar auch, aber nur als Gast. Sie arbeitet mittendrin, mit den Ensembles. Das tue ich nicht mehr. Das würde ich gar nicht mehr durchhalten.

Frau Steckel, worum beneiden Sie Wilfried Minks?

Steckel: Um den Glauben an die Sache. Seine Generation hat immer so getan, als ob sie gewusst hätte, was sie wollte. Das ist heute schwieriger.

Minks: Ach. Das war doch nur ein Trick, um etwas zu verkaufen. Wenn ich heute sage, ich weiß, worum es geht, wie Theater ist, dann hört doch keiner hin.

Steckel: Ich fühle mich jedenfalls nicht aufgehoben im Kreise einer Generation oder einer Glaubensgemeinschaft. Ich würde nie sagen: Theater geht so. Zadek hat genau das gesagt: So geht's.

Minks: Dabei war er eigentlich gar kein so mutiger Mann.

Zadek, Stein, Minks - als sie so alt waren wie Jette Steckel heute, Herr Minks, gab es keine Regisseurinnen.

Minks: Stimmt. Das war auch nicht schöner.

Haben Sie es den Frauen nicht zugetraut?

Minks: Es war nicht so, dass man die Frauen nicht rangelassen hätte. Die gab's bloß einfach nicht! Man hat vielleicht auch gedacht, dass Frauen nicht so räumlich denken können.

Steckel: Als ich Regie studiert habe, waren wir ausschließlich Frauen. Kein einziger Mann.

Macht es denn in der Arbeit noch einen Unterschied?

Steckel: Nein. Naja, da ist dieser praktische Unterschied, das Kinderkriegen.

Das Problem haben Sie ja in jedem Beruf.

Steckel: Nicht wie am Theater.

Warum nicht?

Steckel: Vielleicht nicht grundsätzlich "am Theater", aber als Regisseur kriegst du keinen Alltag mehr hin während einer Produktion. Das sind zwei oder drei Monate Ausnahmezustand. Selbst die Schauspieler müssen ja nicht auf jeder Probe sein. Ich muss immer da sein. Aber dass es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Regisseuren gibt, sieht man schon an den Gehältern, schrecklicherweise.

Glauben Sie, Sie bekommen weniger Gage als ein männlicher Regisseur?

Steckel: Ich glaube das nicht. Ich weiß es. Ich will gar nicht unterstellen, dass das ein bewusster Vorgang ist. Vielleicht verdienen die schneller mehr Geld, weil es in den Köpfen immer noch so drin ist, dass Männer die Versorger sind. Vor allem bei Verwaltungsdirektoren, die einer anderen Generation angehören als man selber. Die guten Gagen gehen eher an Männer. Da kannst du noch so sehr ein vermeintlicher ,Regiestar' sein.

Gibt es auch die Situation, dass Sie als junge Frau von älteren Schauspielern nicht immer ernst genommen werden?

Steckel: Ja. Aber ich glaube, das gibt es bei einem Mann auch.

Minks: Ja. Aber ich muss sagen, ich arbeite sehr gern mit Frauen. Vielleicht sogar lieber. Am St.-Pauli-Theater, wo ich zuletzt inszeniert habe, da arbeiten so viele Frauen! Ich genieße das.

Sind Sie womöglich ein Macho?

Minks: Ja!

Und Sie, Frau Steckel?

Steckel: Wilfried ist ganz klar einer, ich bin kein Macho. Aber ich mag Machos!

Minks: Das ist ja das Unglück. Deshalb sterben die nie aus.