Das Urheberrecht ist zum Schlachtfeld geworden: Wem und wie weit soll der Zugriff auf Musiktitel, erlaubt sein? Drei Meinungen.

Als die britische Rockband Radiohead 2007 ihr Album "In Rainbows" veröffentlichte, stellte sie ihren Fans eine Frage: Wie viel ist dir deine Lieblingsband wert? Das neue Album gab es nicht im Handel, sondern nur zum Herunterladen auf der Internetseite der Gruppe. Und: Jeder konnte zahlen, so viel ihm das Album wert war. Schon am Tag der Veröffentlichung wurde "In Rainbows" 1,2 Millionen Mal heruntergeladen - im Schnitt gaben Käufer zwischen fünf und zehn Euro. Die Band nahm mehr Geld ein als mit ihrem vorherigen Album.

Mit dieser Vermarktungsstrategie traf Radiohead schon vor fünf Jahren den Nerv einer Debatte, die in Deutschland seit Wochen kämpferischer geführt wird als die über den Krieg in Afghanistan oder die Energiewende: Wem gehört Musik in Zeiten von YouTube? Gehören Tauschbörsen im Netz verboten oder sollen private Kopien in der digitalen Welt erlaubt sein? Wie viel taugt das Urheberrecht noch? Steht die gesamte Kulturindustrie auf dem Spiel?

Das Urheberrecht sichert einem Künstler das Recht auf den Schutz seines geistigen Eigentums. Komponiert der Musiker ein Lied, hat er Rechte an Veröffentlichung und Vermarktung. Weil er sich aber lieber vor den Verstärker im Proberaum setzt, überlässt er Plattenfirmen das Marketing und die Vertretung des Rechts an seiner Musik Künstlervereinigungen wie der Gema. So hat es lange funktioniert, in einer Zeit, in der die Welt noch analog klang und das Recht so simpel sein durfte wie das Genudel eines Tonbandgeräts.

Heute gibt es das Internet. Inzwischen haben Nutzer von Apples iTunes fast 20 Milliarden Musiktitel gekauft, konkurrierende Dienste wie Musicload sind entstanden, und Anbieter wie Spotify bieten Musik sogar für eine monatliche Gebühr als Flatrate. Es gibt YouTube, die große Plattform im Internet, wo jeder (fast) alles umsonst ansehen kann. Und es gibt Börsen im Internet, wo Musik und Filme (bisher) illegal zwischen Nutzern getauscht werden.

Das Internet hat eine Debatte entfacht zwischen Künstlern, Politikern, Verwertern und Nutzern. Die einen fordern härtere Strafen für Raubkopierer, die anderen wollen freies Downloaden für den privaten Nutzer. Alle sind sich einig: Wir stehen nicht vor einem Zeitenwandel, wir stecken mittendrin.

Der Musiker: Im Internet wird Musik zum Mittel der Selbstdarstellung

Auch Thies Mynther erlebt gerade eine Zäsur. Seine Band Superpunk beginnt in diesen Tagen ihre Abschlusstournee - Keyboarder Mynther geht nach mehr als 15 Jahren Bandgeschichte eigene Wege. Er produziert Musik, spielt in mehreren anderen Bands, arbeitet im Theater und beim Film. Erst alles zusammen sichert dem Künstler sein Überleben. "Ich habe noch verhältnismäßig viel Glück, trotzdem ist es echt hart geworden", sagt er. "Aber es gibt ja auch keinen Anspruch auf wirtschaftliches Überleben."

Mynther hat sich Gedanken über den aktuellen Umgang mit Musik und ihre Rolle gemacht. Und er kommt zu ungewöhnlichen Schlüssen. Aus seiner Sicht ist es in den vergangenen Jahren zu einer "Verschiebung der Relevanzen innerhalb der Popkultur" gekommen: "Heutzutage binden zum Beispiel Fernsehserien oder Computerspiele viel kulturelle Aufmerksamkeit, die früher für Musik reserviert war." Dazu komme das Internet mit seinen neuen Möglichkeiten. Jeder könne sich dort heute selbst so darstellen, wie er möchte. Musik als Mittel der Selbstverortung habe an Relevanz verloren: "Es ist wichtiger, etwas Cooles auf Facebook zu posten, als die richtige Musik zu hören."

Natürlich beobachtet Mynther als Urheber auch die Debatte. Für ihn wirkt es allerdings so, "als würde man in einer Flutwelle stehen und darüber sprechen, wie man einen Damm baut". Die illegale Verteilung von Musik über das Internet "vernichtet die den marktwirtschaftlichen Prinzipien unterworfene Struktur des Musikbusiness". Wenn jeder alles kopieren könne, werde nichts mehr gekauft. Durch das Internet lassen sich Musik, Bücher und Filme vervielfältigen - ohne großen Aufwand und anders als früher bei der Kassette auch ohne Qualitätsverlust. In den USA haben sich laut dem Marktforscher Forrester von 1999 bis 2009 die Umsätze mit CD-Verkäufen und Lizenzen von 14,6 auf 6,3 Milliarden Dollar mehr als halbiert. Und doch ist für Experten kaum nachweisbar, wie stark das digitale Kopieren damit zusammenhängt, dass Menschen weniger Geld für Musik ausgeben.

Die Piratenpartei behauptet, junge Menschen würden die Tauschbörsen im Internet als Probierbüfett nutzen: Sie laden Lieder herunter, und wenn die cool sind, kaufen sie sich das Album im CD-Geschäft oder beim Online-Händler. Das glaubt Mynther nicht: "Wenn man früher was auf Kassette hatte, hat man sich doch auch nicht noch einmal das Album gekauft." Wolle man weiterhin Leute haben, "die für einen singen und tanzen", und zwar hauptberuflich, dann brauche man neue Ideen, um deren Einkommen zu sichern: "Es wird wahrscheinlich nur über ein Modell gehen, bei dem automatisch Geld eingezogen wird." Und da müssten auch die Videoportale wie YouTube und die Gerätehersteller etwas tun. Schließlich seien die Inhalte, die über sie laufen, auch von irgendwem geschaffen worden. Von Künstlern wie Mynther.

Eine dieser Innovationen heißt "Streaming" - abspielen statt besitzen: Nutzer können per Abo auf ein riesiges Titel-Archiv zugreifen, ohne dass sie die Musik kaufen. Streamingdienste wachsen rasant, 2011 legten sie um 65 Prozent zu, mehr als 13 Millionen Abonnenten nutzen "Streaming" weltweit.

Die Piraten-Chefin: Das Urheberrecht ist nicht mehr zeitgemäß

Es ist diese Kreativität in Vermarktung und Angeboten, die Anne Alter in der Kreativbranche meist vermisst. Die Landeschefin der Piratenpartei in Hamburg sagt: "Es ist nicht Aufgabe der Politik, sich ein funktionierendes Geschäftsmodell für das Internet zu überlegen." Alter sitzt an einem Biertisch in der Hamburger Piraten-Zentrale in der Sternschanze. Vor sich hat sie ihren Laptop aufgeklappt und liest nach, was in dem 21 Seiten langen neuen Entwurf der Piratenpartei zum Urheberrecht genau steht. In dem Programm finden sich viele Forderungen: zum Beispiel die Legalisierung von nicht kommerziellen Tauschbörsen im Internet, die Verkürzung von Schutzfristen für Werke verstorbener Künstler. Eigentum verpflichtet, sagen die Piraten, gerade im Bereich Bildung. Hier wollen sie die Vergütung für Urheber abschaffen.

Das provoziert mittlerweile immer mehr Künstler, Schriftsteller und Musiker. Gerade erst unterzeichneten zahlreiche Urheber ein Manifest in der "Zeit", einen Aufruf gegen den Diebstahl geistigen Eigentums. Das Urheberrecht sei "eine historische Errungenschaft bürgerlicher Freiheit gegen feudale Abhängigkeit". Die Piraten sind darin mit keinem Wort erwähnt, aber der Aufruf richtet sich vor allem gegen sie und ihre Forderungen.

Anne Alter hält dagegen, das Urheberrecht sei nicht mehr zeitgemäß. Das sei so, als würde man den Berufsverkehr der modernen Metropolen auf ein Straßennetz des 19. Jahrhunderts umleiten. Aber die Piraten wollten alles andere als die Rechte der Urheber abschaffen: "Wir wollen die Urheber stärken", sagt Alter. Wie, sagt sie nicht. Aber sie sieht eine Schieflage in der Musikindustrie. "Die großen Produktionsfirmen wie Sony und Universal verdienen mit großen Namen viel Geld." Für die funktioniere das Geschäft mit der Kunst. Für viele, vor allem unbekanntere Musiker, dagegen nicht. Das Internet sei ihre Chance.

So verkauft die Piratenpartei das Internet gerne: als große Chance - denn das Thema ist die DNA dieser Partei. Sie sind heute die Netz-Partei, wie die Grünen einst eine Öko-Partei waren. "Wir müssen aufhören, Millionen Internetnutzer zu kriminalisieren", sagt Alter. Oftmals sei es doch der 15-Jährige, der kaum Geld hat und sich einen Titel im Internet herunterlädt. Dahinter stecke keine kriminelle Energie.

Auf ihre Wahlerfolge schallt den Piraten aber ein Echo entgegen: Wer illegal Musik im Netz runterlädt, müsse härter bestraft werden. In Deutschland haben sich mittlerweile Anwälte darauf spezialisiert, Adressen von Nutzern zu identifizieren, um ihnen dann Abmahnungen zu schicken für das illegale Downloaden von Musik, im Durchschnitt Strafzölle über 1000 Euro. Allein 2011 hätten die Anwälte so 190 Millionen Euro generiert, die größtenteils jedoch in Kanzleien und Eintreiberbüros versickerten, schrieb Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, kürzlich in der "FAZ".

Für die meisten Vertreter von SPD und Union ist klar, dass illegale Musikbörsen auch künftig verboten bleiben - und das Tauschen bestraft wird. Die Grünen fordern eine Flatrate für Kultur, eine monatliche Gebühr für jeden Internet-Nutzer. Das Geld soll an die Künstler gehen - und die Nutzer dürfen dafür fleißig Musik aus dem Internet ziehen.

Der Gema-Manager: YouTube muss die Künstler und die Gema beteiligen

Frank Dostal ist Musikproduzent, Liedtexter und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Musikverwertungsgesellschaft Gema. Wer bei ihm klingelt, wird vom lautem Gebell des Labradoodles Sammy empfangen. Auch Herrchen Dostal ist kein Freund der leisen Töne. Er fordert "Sven Regener for president!", wegen dessen viel beachteten Ausbruchs im Radio, in dem Regener das bestehende Urheberrecht wortreich verteidigt hatte.

Über die Piraten spricht Dostal im Kanon mit Regener. "Ihre Angriffe auf das geistige Eigentum und das Urheberrecht sind lebensgefährlich für unsere Kultur und unsere Demokratie. Sie machen sich zu Handlangern nimmersatter Netzgiganten, die für Inhalte am liebsten gar nichts bezahlen wollen."

Die Gema ist Treuhänderin der Künstler, der Verein sammelt Gebühren von Diskotheken, Unternehmen und Veranstaltern ein. Jeder, der öffentlich Musik spielt, zahlt an die Gema. Und die gibt das Geld weiter an die Künstler. Auch im Internet vertritt die Gema deren Rechte. Doch nicht alles lässt sich problemlos lizenzieren, gerade im Netz, vor allem wegen YouTube. Für Dostal ist das Videoportal die Inkarnation der Scheinheiligkeit: "Google als Mutterkonzern von YouTube verdient Milliarden mit den Werken von Künstlern. Und diese werden dafür nicht annähernd angemessen bezahlt. YouTube muss anerkennen, dass es der Gema und damit den Musikautoren eine Umsatzbeteiligung schuldig ist - genau wie jede Plattenfirma, jeder Konzertveranstalter, wie jeder, der Musik gewerblich nutzt."

Für ihn ist auch klar, wie man mit Nutzern umgehen soll, die sich illegal Songs herunterladen: Ein Verwarnungssystem, wie es in Frankreich bereits eingeführt ist, hält er für zweckmäßig. Von der Praxis einiger Anwälte, illegale Downloads abzumahnen, hält Dostal dagegen wenig: "Die Majorlabel mögen in ihrer manischen Kurzsichtigkeit gedacht haben, dass das der richtige Weg wäre. Aber kein Einziger, der bei der Gema irgendwelche Strippen zieht, möchte jemanden auf irgendeinem Schulhof verhaften lassen oder irgendwelche Geldstrafen verhängen."

Dostal poltert und wettert gegen alles, was seiner Ansicht nach im Argen liegt. Aber er gibt sich optimistisch, wenn es um die Zukunft des Musikgeschäfts geht. Obwohl er sich einen weiteren Seitenhieb nicht ganz verkneifen kann: "Selbstverständlich wird es Modelle geben, bei denen Nutzer für Musik bezahlen. Diese Services werden so gut und so bequem sein, dass man ganz selbstverständlich bereit sein wird, dafür zu bezahlen. Ob das nun in Zukunft heißt, dass Plattenfirmen auch weiterhin die natürlichen Partner der Urheber und Künstler sein werden, das kann ich nicht beurteilen."