Ein bisschen Murks, wenig Sonne, aber ganz viel Begeisterndes - die Erfolgsgeschichte des Elbjazz-Festivals setzt sich auch in diesem Jahr fort.

Hamburg. Audi und die Volksbank. Die Volksbank und Audi. Unsere Partner, unsere Freunde. Nichts wären wir ohne euch. Leute, kauft Audis und eröffnet ein Konto bei der Volksbank! Begeisterungsmantras im Gehirnwaschgang über die beiden Hauptsponsoren des Festivals begleiteten beim Elbjazz-Festival nahezu jede Veranstalter-Ansage von der Bühne. Es quoll einem zu den Ohren raus. Klar, dass eine so tolle, kostspielige und auf die Massen abzielende Kulturinitiative unvermögender Privatleute ohne Sponsoren kaum diesen gewaltigen Sog auf die Öffentlichkeit entfalten würde. Aber vor lauter Dankbarkeit ließen die Organisatoren diesmal den Eindruck entstehen, die Volksgaudi Festival sei eigentlich ein Volksaudi-Festival.

Veranstalterangaben zufolge ergossen sich am Freitag und Sonnabend rund 15.000 Besucher über das Gelände, ein Drittel mehr als im Elbjazz-Geburtsjahr 2010. Drei Bühnen bei Blohm + Voss, zwei am Hafenmuseum und fünf am zur Stadt hin gelegenen Ufer der Elbe konnten sich zuweilen vor Hörlustigen kaum retten. Das ehrliche Hamburger Wetter, das sich von Wind und sonnenloser Trockenheit am Freitag zum Finale hin zügellos ins Feucht-Schmuddlige steigerte, hielt gefühlt niemanden vom Festivalbesuch und vom Feiern ab. Die Erfolgsgeschichte des Musikfests am Wasser geht also spektakulär weiter.

Rekordverdächtig strapazierte der Jazzmarathon die Laufkraft seines Publikums zwischen den Bühnen, die vor allem bei Blohm + Voss viele Minuten Fußmarsch auseinanderliegen. Neben mancherlei Murks - etwa die Brasil-Legende Azymuth mit ihrem amateurhaft unpräzisen Schlagzeuger oder der Höhere-Töchter-Klingelingjazz der Pianistin Clara Ponty - gab es viele hörenswerte bis begeisternde Acts. Kurt Elling bot eine stellenweise an die Lässigkeit Frank Sinatras erinnernde Lehrstunde in unterhaltsamem Jazzgesang, die am späten Sonnabend durch den wundervoll selbstironischen Briten Ian Shaw um eine zweite Unterrichtseinheit im selben Fach bereichert wurde.

Das dänisch-englische Trio Phronesis fügte dem unendlichen Fortsetzungsroman Klaviertrio ein neues, überraschend eigenständiges Kapitel hinzu. Die portugiesische Sängerin Maria Joao und ihr Mann Mario Laghina (Keyboards) boten gleich zwei Konzerte: mit der Bigband der Hochschule und in ihrem eigenen Quartett. Mit Seelentiefe auf dem Flügel und einem sensationell scharf verzerrten E-Piano-Sound spielte sich der serbisch-französische Pianist Bojan Z in die Herzen der Zuhörer. Das phänomenale Noise-Song-Programm des Gitarristen Stian Westerhus und der Sängerin Sidsel Endresen sorgte für Verstörung, Beklemmung - und auch für Respekt. Bei so viel guter Laune darf ein Festival auch mal ein hoch dosiertes künstlerisches Depressivum verabreichen.

Schöner und sinnfälliger als bei der "Hafensinfonie", die Colin Towns der NDR Bigband auf den Leib schrieb, können der (Elb)Jazz und Hamburg allerdings wohl kaum je wieder zusammenkommen. Der Musiker und Filmemacher Theo Janßen hatte dazu historisches Filmmaterial über den Hamburger Hafen sowie eine Reihe stimmungsvoller Hafenfotografien mit Geist und Liebe zu einem gemächlichen Strom bewegter Bilder arrangiert. Und Towns, gewiefter Filmmusikkomponist, war in seinem Element. Sein aufs Bild genau komponierter Bigband-Jazz klang selten volkstümlicher als hier und vermied doch alles Tümliche. In der riesigen Maschinenhalle II von Blohm + Voss lauschte und schaute ein gebanntes Publikum, wie seine eigene Stadtgeschichte wunderbar vertont wurde.

Die eingeschränkte Eignung der allzu langen, allzu hohen, allzu rohen Maschinenhalle als Spielort für Jazz trat bei Charlie Hadens Quartet West unangenehm in Erscheinung. Die gewohnt introvertierte Musik des Meisterbassisten wurde in der geschäftig mit Reingehen und Rausgehen, Freunde begrüßen, Plaudern und Weintrinken beschäftigten hinteren Hälfte des Saals unbarmherzig zum Verschwinden gebracht. Man ertappte sich bei der sehnsuchtsvollen Vorstellung, Haden werde bei einem Elbjazz in naher Zukunft etwa genauso viele Leute in den Saal locken wie hier.

Nur dass dieser Saal dann seiner Kunst gerecht würde und auch dem Komfortbedürfnis des Publikums. Es wäre der Saal unserer weltberühmten Schmuckbaustelle am Hafenrand. Eine Spielstätte mehr kann das Festival gerade noch vertragen.