Musik gut, Stimmung noch besser: Das erste Elbjazz-Festival zwang das Publikum zu langen Wegen, aber sie führten zu schönen Zielen.

Hamburg. Es waren einmal zwei gestandene Frauen, die waren auch zwei verrückte Hühner. Auf einer Party vor zweieinhalb Jahren setzten sich Tina und Nina gegenseitig je einen Floh ins Ohr. Man müsste mal ein ganz dolles Jazzfestival am Hafen machen, mit lauter Bühnen und haufenweise guten Bands. Tina versteht was von Gastronomie und vom Kirchenorgelspiel und von Jazz, Nina ist eine Hafenratte von klein auf, betreibt eine Eventagentur und hat gute Kontakte. Wären die beiden nur zwei gestandene Frauen, hätten sie ihre Idee entweder gleich an Profis abgegeben oder als vollkommen unrealistisch begraben. Sie sind aber eben auch zwei verrückte Hühner.

Dank enormer Zähigkeit, einer ausgeprägten Begabung zum Netzwerken und gnädiger Wetterverhältnisse machten Tina Heine und Nina Sauer am vergangenen Wochenende mit ihrem "Elbjazz" das von vielen für unmöglich gehaltene möglich: Sie katapultierten das Flächenfestival ohne echte Stars vom Fleck weg wie einen prächtig schillernden und in Zeitlupe herabsinkenden Feuerwerkskörper in den Himmel über der Stadt, bei dem alle in einem fort mit in den Nacken gelegten Köpfen Ah! und Oh! und Wie schön! rufen.

So ein Festival hat die Stadt noch nicht gehabt, und sie wird es fortan nicht mehr missen wollen. Auf Barkassen schipperten die Besucher zwischen Unileverhaus und Steinwerder, zwischen Landungsbrücken und dem Stückgutfrachter MS "Bleichen" über die Elbe, um zu den teilweise ausgesprochen entlegenen Spielstätten zu gelangen. Am Freitag war es bitterkalt, und man brauchte viel guten Willen, um etwa beim flirrenden Jazz des Saxofontrios von Rudresh Mahanthappa auszuharren. Der gastierte auf der sogenannten Spitzenbühne am wasserseitigen Winkel des Werksgeländes von Blohm + Voss. Dort pfiff der Wind so scharf, dass das Flattern der Absperrbänder die Musik beinahe übertönte. Tags darauf vertat hier bei schönstem Festivalwetter der brasilianische Easy-Listening-Jazzer Deodato mit seinem "Hamburg Project" die Chance, den Eindruck zu korrigieren, er sei zu Recht vergessen.

Links und rechts neben der Hauptbühne hatten die Veranstalter Arbeitsbühnen postiert, auf denen Scheinwerfer über die Köpfe des Publikums hinwegstrahlten. Wie Zyklopenaugen starrten die Lampen in den sich allmählich verdunkelnden Abendhimmel, dessen Horizontlinie hier sonst die bulligen Kräne der Werft beherrschen. Die hatten schon wiederholt die "Queen Mary 2" unter sich, aber noch nie einen Till Brönner, Nils Wülker oder Manu Katché. Deren Konzerte fanden ein stellenweise erstaunlich konzentriertes Publikum - unter freiem Himmel keine leichte Übung. Wülkers Musik verströmt eine aufgeräumte Melancholie, der sein Sextett eine eindrucksvolle Wucht gab. Katchés unglaublichem Flow beim Schlagzeugspielen hätte man sich gern noch länger hingegeben - aber erstens stieg der Plauderpegel der Weghörer ins Unerfreuliche, vor allem aber riefen am jenseitigen Ufer der Elbe noch so viele andere Bands.

Schon am Vorabend hatte sich das Kehrwieder-Theater der Stage Entertainment in der HafenCity als dringend für den Jazz des Alltags zu erobernder Spielort empfohlen. Dort gastierte das Trio des Pianisten Bobo Stenson, der das Zusammenspiel mit seinem fulminanten Bassisten Anders Jormin auch nach über 20 Jahren noch mit begeisternder Lust am Risiko betreibt.

Am Sonnabend sorgte der Pianist und Trompeter Sebastian Studnitzky mit seinem minimalistisch und transparent spielenden Trio für einen späten Höhepunkt, den der afrikanische Bassist und Sänger Bibi Tanga dann noch weit in die Nacht hinein auszudehnen wusste. Mit seiner Band The Selenites bewies er dem immer ausgelassener werdenden Publikum, dass der Weg von den Disco-Taten der Bee Gees zum Juju und den Griots Afrikas manchmal atemberaubend kurz sein kann.

Zuvor hatten Heinz Sauer und Michael Wollny mit ihrer komplett im Moment erfundenen Musik die von Kerzen beleuchtete Katharinenkirche in einen Andachtsraum der Improvisation verwandelt. Wie Sauer, 77, mit immer weniger Tönen auf dem Tenorsaxofon immer noch näher an die Essenz von Klang und Tiefe kommt, ohne je vergessen zu lassen, dass er ein Jazzmusiker ist: Das ist schon sehr bewegend.

Man möchte sich lieber nicht ausmalen, was bei dem Regen, der kurz nach Festivalende prompt auf Hamburg niederzugehen begann, aus dem Elbjazz geworden wäre. "Ich habe nicht umsonst jahrelang jeden Sonntag im Gottesdienst die Orgel gespielt, egal, wie lange ich am Abend vorher gefeiert hatte", sagte eine glückliche Tina Heine als Begründung dafür, weshalb ihrer Unternehmung am Sonnabend nur Sonnenschein und diese unwiderstehlich milde Luft beschert wurden. Bleibt zu hoffen, dass sich bei der für den 27./28. Mai 2011 geplanten Zweitauflage des Elbjazz zum göttlichen Payback auch die anhaltende Spendierfreude all der Förderer und Sponsoren gesellt.