Lena Meyer-Landrut durfte bleiben, wie sie ist, während Dieter Bohlen seine “Stars“ in Formate presst

Hamburg. Als NDR-Kommentator Peter Urban die glückstrahlende Lena für ein erstes Interview nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest eingefangen hatte, stand Stefan Raab im Hintergrund, seinen Kopf unter einer Deutschlandfahne versteckend und scheinbar fassungslos. Wie ein Vater. Und Stefan Raab ist der Vater des Erfolges, ohne ihn wäre Lena Meyer-Landrut nicht entdeckt worden, ohne ihn hätte sie nicht in Oslo die Sensation geschafft - und umgekehrt. Denn Lena fügte sich dem System Raab, weil sie wusste, dass sie sich auf den Menschen Stefan Raab immer verlassen konnte.

1998 als Produzent von Guildo Horn und 2000 als Interpret hatte Stefan Raab noch alles dafür getan, um den Eurovision Song Contest bloßzustellen, auch wenn er den Wettbewerb mit guten Platzierungen aus dem medialen Dornröschenschlaf weckte. Das war noch das alte System Raab, welches mit Schwachsinnsliedern wie "Ho Mir Ma Ne Flasche Bier" oder "Maschendrahtzaun" versuchte, die untere Grenze des Geschmacks auszuloten. Bis ihn, seiner Ansicht nach, andere noch unterboten.

Der letzte Kalauer-Hit von Stefan Raab war 2002 "Gebt das Hanf frei", zeitgleich sendete RTL die erste Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS"). Bis zu zwölf Millionen TV-Zuschauer sahen, wie Dieter Bohlen seine Sprüche abließ, das Phänomen Daniel Küblböck durch das mediale Dorf getrieben wurde und Sieger Alexander Klaws mit der Pop-Luftnummer "Take Me Tonight" die Chartsspitze eroberte. Raab, selber talentierter Multiinstrumentalist und Popnarr, hatte ein neues Feindbild, welches er nicht nur in seiner Sendung "TV Total" attackierte. Er eignete sich 2003 das Castingprinzip von "DSDS" und "Popstars" an und kehrte es konsequent komplett um.

So castete er Lena wie in den Vorjahren Max Mutzke und Stefanie Heinzmann, ohne zu diffamieren und ohne bloßzustellen. Er ließ der jungen Abiturientin Schwächen, statt sie durch wochenlangen Drill innerlich wie äußerlich in fertige Formate zu pressen, und bewahrte so ihre Natürlichkeit und Ausstrahlung. So wie Raab seine Familie aus der Öffentlichkeit heraushält, so schottete er auch Lenas Privatleben rigoros und ganz in ihrem Sinne ab.

Sollte doch "DSDS" mit überzeichneten Schicksalsgeschichten und Zickenkriegen für höhere Aufmerksamkeit sorgen, rund um den Song Contest war vermeintlich unspektakuläre Fairness Quotengarant. Lena wurde Teil des Systems Raab, der Familie Raab, allürenfrei und auf Augenhöhe mit den Fans. Die Lena, die am vergangenen Sonnabend auf der Bühne stand, war noch die gleiche, die Monate zuvor in die Sendung "Unser Star für Oslo" ging.

Geleitet vom Contest-erfahrenen Mentor Raab blieb sie immer an seiner Seite, bescheiden, lässig und konzentriert. Denn so kommerziell Raabs Ambitionen auch ausgerichtet sind: Er vermarktete zwar das künstlerische Potenzial, das seine Kandidatin mitbrachte, ließ ihr aber ihre Menschlichkeit.

Minutiös plante Raab die Rahmenbedingungen, Pressekonferenzen, Interviews und Lenas Auftritte in Raabs TV-Universum. Lena dankte es ihm und entfaltete sich blendend, vermied Patzer, und wenn mal ein Spruch wie "Opern finde ich scheiße" bei "Wetten, dass ..?" durchrutschte, dann war das genau die nötige Authentizität, über die Lena und Raab gemeinsam mit der Nation lachen konnten. Selten wirkte eine "nationale Aufgabe" so gelöst und leicht zu lösen wie beim Anblick des dynamischen Duos Meyer/Raab.

Und das zählte in Oslo. Während sich Europas Pop-Produkte überambitioniert, gestellt emotional und unter großem choreografischen Aufwand in die Windmaschinen-Wirbel stemmten, blieb ein Mädchen aus Hannover einfach Lena. Und triumphierte mit dem Vater des Erfolges. Sie wussten, worauf es ankam: Teamgeist.