Gesanglich und emotional leistete Whitney Houston bei ihrem Hamburg-Auftritt Schwerstarbeit - aber auch ihr Scheitern verdient Respekt.

Hamburg. Geboren wurde Whitney Houston in Newark, einer hässlichen Hafen- und Industriestadt in New Jersey mit rostigen Brücken, schmuddeligen Öltanks und Häusern aus Backstein. Wenn man nach Osten blickt, erkennt man die Wolkenkratzer von New York, das Empire State Building oder das elegante Chrysler Building mit seiner silbern glitzernden Spitze. Dort in Manhattan funkeln die Leuchtreklamen, dort regiert der Glamour, dort liegt das Eldorado eines jeden Künstlers. Whitney Houston hatte dieses goldene Land erreicht und den Ruhm, der dazu gehört. Hatte. Heute scheint es, als sei sie wieder zurück in Newark. Wo die Arbeit im Containerhafen hart ist und die Kirche oft der einzige Trost.

Whitney Houstons Konzert vor 7500 Zuschauern in der Hamburger O2 World jedenfalls ist ein Zeugnis all des Leids und der Abstürze, die sie in den vergangenen Jahren erlebte. Wer erwartet hat, dass hier ein Superstar gut gelaunt ein Best-of-Programm abspulen würde, sieht sich sehr schnell getäuscht. Hier präsentiert jemand seinen Blues. Diese Frau arbeitet sich durch ihr Programm. Wie ein Festmacher im Hafen von Newark, wenn er die Stahltrossen der einlaufenden Schiffe um die Poller legen muss. Das ist schweißtreibend und bringt einen aus der Puste. Genauso geht es der Sängerin.

Ihre Show beginnt sie mit drei Songs aus ihrem aktuellen Album "I Look To You", zum Teil Playback-unterstützt. Beim älteren Hit "My Love Is Your Love" gibt sie Gas, fängt an zu improvisieren und bekommt Druck in den Song. "Are you with me?", ruft sie, "Seid ihr bei mir?", und es klingt wie ein Ruf nach Hilfe. Hamburg lässt sie nicht hängen, die Fans stehen auf, tanzen zwischen den Sitzen und tragen sie so. Beim folgenden "Step By Step" ist deutlich zu hören, wie sehr ihre Stimme gelitten hat, doch Whitney Houston flüchtet sich in freie Phrasierungen, in denen immer wieder durchklingt, über welches Stimmvolumen sie verfügt hat. Nach 45 Minuten geht sie ab - in die Garderobe, um den arg auftragenden Silberfummel gegen ein schwarzes Glitzerkleid zu tauschen. Und wohl auch, um etwas zu verschnaufen.

Nach dieser Zäsur, von ihrem stimmgewaltigen Chor und der exzellenten Band überbrückt, kehrt sie auf die Bühne zurück, um mit ihrem Seelenstriptease weiterzumachen. Im zweiten Teil findet der Abend seine stärksten Momente. Houston singt "I Learned From The Best" als einen unter die Haut gehenden Gospel. Mit dieser Nummer und ihrem Bekenntnis "Ich schäme mich nicht, Gott zu preisen" besinnt sie sich auf ihre Wurzeln. In der Newarker New Hope Baptist Church hatte sie als Teenager ihren ersten Soloauftritt, den sie in Interviews als einen Schlüsselmoment für ihre Karriere bezeichnet hat. In Hamburg verwandelt Houston die Arena in einen sakralen Raum, in dem sie mit aller Wucht, die sie noch besitzt, ein tief empfundenes "Hallelujah, I love you" schmettert.

Gegen Ende des Konzerts ist zu spüren, wie sich ihre Angespanntheit allmählich löst und die Angst davor, ausgebuht zu werden. Sie ist dankbar dafür, dass immer wieder Menschen von ihren Sitzen aufspringen, um ihr mit Beifall zu danken. Nicht euphorisch, sondern anerkennend. Eine heikle Aufgabe hat sie noch vor sich und geht sie wieder wie ein Stück Schwerstarbeit an. Bei "I Will Always Love You" fixiert sie den Mikrofonständer sekundenlang, konzentriert sich, um dann diese schwierige jubilierende Gesangspassage anzugehen. Es gelingt ihr nicht wie früher, aber für dieses Scheitern verdient sie dennoch Respekt.

Ob es trotzdem eine gute Entscheidung von Whitney Houston war, auf die Bühne zurückzukehren, bleibt indes fraglich. Die Fans haben viel Geld für die Tickets bezahlt, viele von ihnen hatten eine Glamour-Show erwartet. Voller Glitzer und aufgesetzter Gefühle. Entertainment also, für das eine Metropole wie New York mit seinen sündhaft teuren Nachtklubs, der Carnegie Hall und dem Times Square symbolhaft steht. Bekommen haben sie Newark mit seinem Industriedreck und seinen Malochern. Aber auch ehrliche Geschichten, tief empfunden und durchlebt und in Blues und Gospel ausgedrückt.