Die Neuverfilmung des Klassikers aus dem Sherwood Forest mit Ex-“Gladiator“ Russell Crowe eröffnet die Filmfestspiele von Cannes.

Hamburg. Fans von Männern in Strumpfhosen müssen etwa 140 Kino-Minuten lang ganz tapfer sein. Denn in der aktuellen Wiederbelebung des alten englischen Volkshelden aus dem Sherwood Forest sind die Mittelalter-Leggings, in denen Errol Flynn einst durch den technicolorgrünen Wald bei Nottingham tollte, komplett ausgemustert. Man trägt unfeineren Zwirn zu Lederhosen und ist generell noch ungewaschener und schlechtgelaunter als gewohnt. Hat sich also was mit dem properen "Robin and his merry men".

Der Präzisions-Bogenschütze, den Ridley Scott durch seinen Lieblingsschauspieler Russell Crowe verkörpern lässt, ist ein ziemlich grob geschnitzter Charakter. Vor allem aber ist er ein Déjà-vu im Kettenhemd. Vom wortlos grimmigen Blick über den Hang zur stoischen Wortkargheit bis zur pflegeleichten Kurzhaarfrisur identisch, stapft Crowes Robin wie eine Reinkarnation des Haudraufs Maximus aus Scotts "Gladiator" durch die englischen Wälder und Auen. Auch die wutschnaubend durchchoreografierten Schlacht-Szenen schleudert Scott mit spätrömischer Dekadenz auf die Leinwand.

Der Robin Hood von 2010 ist ein frühsozialistischer Kreuzzugs-Veteran, mittelalt und mittelschwer (und im unsynchronisierten Original mit gut antrainiertem South-Yorkshire-Akzent), durch und durch frustriert vom gottlosen Kampf gegen Muslime, die ihm persönlich nichts getan haben. Von den Reichen nehmen, um den Armen zu geben, das spielt für ihn nur eine untergeordnete Rolle. "Ich wollte den Märchen- und den Superhelden-Aspekt entfernen", beschrieb Crowe sein Rollenprofil, "er soll dort sein, wo er nur ein echter Mann mit einer echten Aufgabe ist." Dieser Hood will nicht bloß frech das Gold von Aristokraten mopsen, er will Gerechtigkeit. Ein Blick auf den Kalender erklärt auch, warum. Der Film beginnt anno 1199; 1215 wird die Magna Charta unterzeichnet.

Obama Hood also, Hollywoods historisch kostümierte Bestätigung des trotzig visionären "Yes, we can"? Das wäre dann doch eine Schippe zu viel des Gutgemeinten, denn Scotts "Robin Hood" ist nun mal als großes Popcorn-Kino gedacht, als 130 Millionen Dollar teure Geldmaschine, die zur heutigen Eröffnung des Filmfestivals von Cannes zum ersten Mal angeworfen wird. Doch interessant ist schon, dass im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neue Versionen für Kino und Fernsehen erfunden wurden. Über 30 Robins kommen zusammen, angefangen bei einer Stummfilm-Version aus dem Jahre 1908. 1922 griff Frauenschwarm Douglas Fairbanks zu Pfeil, Bogen und Maid Marian.

Eine These von Robinologen betont, dass jede Zeit genau den Robin hat, den sie verdient (was eine Erklärung, aber keine Entschuldigung für die Bon-Jovi-Frisuren im Bryan-Adams-Video von 1991 mit Kevin Costner wäre); da es sich um einen zusammengestückelten Mythos handelt, ist er als Idee entsprechend beliebig interpretierbar. Neu ist allerdings, dass Lady Marian in dieser Version viel mehr ist als Sättigungsbeilage und adlige Romantik-Zulieferin. Cate Blanchett darf sie als ebenbürtig zeigen und sogar mit aufs Schlachtfeld.

Die Deutungsversuche der Hood-Experten besagen auch, dass die Helden-Robins besonders im Umfeld kriegerischer Zeiten Konjunktur hätten. Im Kreuzzug des 1922er-Robin hallten angeblich die Schrecken des Ersten Weltkriegs nach. Errol Flynns Robin von 1938 überzuckerte die zu erledigenden Waffengänge kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit frohgemuter "Swashbuckler"-Romantik, außerdem hatten die zu bekämpfenden Normannen einen Stich ins Nazihafte. Mag sein. Aber dass der Robin von Sean Connery in "Robin und Marian" mit seinen Zweifeln an Krieg und Regierung 1976 sehr viel mit dem Trauma Vietnam zu tun hatte, ist offensichtlich. Costners Robin Hood kam während des Zweiten Golfkriegs in die Kinos, eine BBC-TV-Version startete kurz nach Beginn des Irak-Kriegs. Die Auseinandersetzung in Afghanistan hält an.

Andererseits: Männer in Strumpfhosen sahen immer schon albern genug aus, um sich gehörig über sie lustig zu machen. Frank Sinatra und seine Trinkkumpane zogen den Mann aus Nottingham 1964 mit ihrer Krimi-Musical-Version "Robin and the 7 hoods" durchs Whiskyglas, John Cleese veräppelte ihn 1981 in Terry Gilliams "Time Bandits". Die albernste aller Verfilmungen gelang Mel Brooks 1993 mit, eben: "Helden in Strumpfhosen". Und selbst als Film-Zitat für Kinder und Junggebliebene ist Robin gern genommen. Nachdem Walt Disney 1973 einen Zeichentrick-Klassiker aus ihm machte, verwandelten ihn die Erfinder des computeranimierten Waldmonsters "Shrek" (2001) in Monsieur Hood mit französischem Akzent, um die Dekonstruktion der Legende besonders perfide zu verpacken.

In Scotts Version ist die Welt zumindest in dieser Hinsicht wieder in Ordnung. Das ständige Verfluchen von Franzosen, bevor sie ihre letzte Auster schlürfen, und die ins Gegenteil verkehrte D-Day-Variante, bei der reichlich französisches Blut das Meer rot färbt, dürfte bei der Premiere an der Cote d'Azur für viel Freude im Kino sorgen. Angeblich sollen Scott und Crowe über eine Fortsetzung nachdenken, Platz genug dafür ließe das Drehbuch allemal. Was nur beweisen würde: Beim Kino-Klassiker Robin Hood ist der Bogen noch längst nicht überspannt.