Bei Konfetti Plus üben Schüler und Senioren aus Wilhelmsburg ein Stück ein. Das Projekt erhielt den Budnianer Hilfe-Preis.

Früh am Morgen hatte Else Pfeiffer noch geschimpft und die paar Schritte vom Seniorenheim pflegen & wohnen ins Bürgerhaus Wilhelmsburg nicht hinüberlaufen wollen. Kaum zu glauben, dass es die gleiche 96-Jährige ist, die nun gut gelaunt neben der kleinen Tesnim (8) sitzt und jeder Anweisung von Theaterpädagogin Katharina Irion genau folgt. Sie soll ihren Vornamen sagen und dazu ein Tier, das den gleichen Anfangsbuchstaben hat. Else Pfeiffer fällt kein Tier ein. „Wie wäre es mit Esel?“, schlägt Tesnim vor. „Ja, der ist schlau und macht Iah!“, ruft die alte Dame.

Mit acht Zweit- und Drittklässlern und sieben weiteren an Demenz erkrankten Senioren zwischen 80 und 104 Jahren bildet Else Pfeiffer einen Kreis, in dem jeden Montagmorgen zwei Stunden lang gesungen, gelacht und Theater gespielt wird. „Konfetti Plus“ heißt das Projekt der Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg, das immer ein Schuljahr lang geht und mit einer Vorführung in der Schule und in den Altenheimen beendet wird. Am Donnerstag wurde es für seine vorbildhafte, generationenübergreifende Arbeit mit dem Budnianer Hilfe-Preis 2018 ausgezeichnet.

Es gibt das Projekt seit drei Jahren. Drei Wilhelmsburger Senioreneinrichtungen schicken ihre Bewohner, die gemeinsam mit Kindern der Schule an der Burgweide zusammenkommen. Die meisten der Grundschüler haben einen Migrationshintergrund und viele einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Sie können den Kurs wählen. „Meine Schwester hat auch schon hier mitgemacht. Ich habe die Theatervorführung in der Schule gesehen und fand sie so schön, dass ich auch dabei sein wollte“, sagt die achtjährige Tuana, die heute mit Raimund Tober ein Tandem bildet. Es gehört zum Konzept, dass immer ein alter einem jungen Menschen zugelost wird. Erst gegen Ende des Schuljahres werden feste Zweiergruppen gebildet. Am Anfang geht es viel darum, sich kennenzulernen, miteinander warm zu werden, Sachen auszuprobieren. So überlegen die Kinder und Senioren gemeinsam, welche Figuren pantomimisch zu dem Lied „Die Gedanken sind frei“ passen, und singen es mehrfach durch. Raimund Tober, der zwischendurch etwas eingenickt war, ist dabei wieder hellwach und singt mit. „Für die Senioren ist es eine wunderbare Abwechslung im Alltag, sie sind sehr aufmerksam dabei und merken, dass sie trotz ihrer Demenz noch viel können: Tanzen, alte Lieder singen und manch einer kann noch ganze Gedichte aufsagen“, beschreibt Projektleiterin Katharina Irion die Wirkung auf die älteren Menschen.

So erinnert sich Magdalene Altekruse zwar nicht mehr an ihren Beruf und ob sie schon mal Theater gespielt hat, aber die alten Liedertexte hat sie perfekt drauf. Sie ist jedes Jahr mit Begeisterung dabei. „Für mich ist das immer der Höhepunkt der Woche, bei uns im Heim passiert ja sonst nicht so viel und ich finde das so schön, mit den Kindern zusammen zu sein“, sagt die 92-Jährige, die mit Muris, dem einzigen Jungen in der Gruppe, ein Tandem bildet.

Dieser Kurs hole das „Beste aus den Kindern raus“, sagt Lehrerin Daniela Heer in der Pause, in der die Schüler mit Obsttellern herumgehen und den Senioren Becher mit Wasser bringen. „Sie zeigen hier ihre zarte, fürsorgliche Seite, auch die lauten, schwierigen Kinder. Sie ermöglichen den Älteren eine Teilhabe an dieser Runde, indem sie ihnen immer wieder Stichworte geben. Zudem übernehmen sie Verantwortung und lernen zu improvisieren.“

Manchmal entstehen auch Freundschaften wie die eines kleinen türkisch-stämmigen Jungen, der mit seiner ganzen Familie seinen Konfetti-Plus-Partner im Altenheim besuchte. Und neue Berufswünsche werden geweckt. „Ein Kind antwortete auf die Frage, ob es denn nun Schauspieler werden wolle, ,Nein, lieber Altenpfleger‘“, erzählt Katharina Irion. Sie denkt sich für jede Gruppe ein neues Stück aus und entwickelt es gemeinsam mit der Gruppe. Mal ging es um Hüte, dann um Märchen und diesmal liebäugelt sie mit dem Thema Tanz und Träume. Für die 34-Jährige, die das Projekt noch an zwei weiteren Standorten – in Altona und Bergedorf – durchführt, bedeutet die Auszeichnung der Budnianer Hilfe eine große Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit.

Ihr Anliegen ist es, das Thema Demenz aus der Tabuzone mitten in die Gesellschaft zu holen. Bei einer großen Fachtagung in Köln wurde ihr Konzept als „Best practice“-Beispiel hervorgehoben, doch die Finanzierung steht immer wieder auf wackeligen Beinen. Dieses Jahr ist die Preuschhof-Stiftung eingesprungen. „Den Musiker, der vorher dabei war, konnten wir nicht mehr bezahlen und die Teilnehmerzahl mussten wir reduzieren“, sagt Irion. Da kommt das Preisgeld von 5000 Euro genau richtig und auch der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ unterstützt das Mehrgenerationen-Projekt finanziell.