Hier stand einst die Wiege der Heimwerkerkultur, hier geht selbst ohne Bahn noch die Post ab. Und auch Versandriese Otto findet's gut.

Sanft wiegen sich die gelben Ginsterblüten im Wind, auf dem Land zwischen den Bauernhöfen wächst der Kohl, und weil auch sonst viel Obst und Gemüse angebaut wird, heißt die Straßenbahn, die die Felder quert, Rhabarberexpress. So war es noch vor wenigen Jahrzehnten ... in Bramfeld.

Bram ist das alte Wort für Ginster, und wer sich heute mit dem Stadtteil zwischen City und Alstertal etwas näher befasst, ist überrascht, wie viel von Bramfelds ländlichem Ursprung noch immer zu spüren ist. Die meisten Hamburger nehmen Bramfeld buchstäblich nur im Vorbeifahren wahr: Seit zwischen 1957 und den 1970er-Jahren die Achsen des Öden - die Bramfelder Chaussee und die Steilshooper Allee - angelegt wurden, ist Bramfeld in vier Teile zerschnitten und die Lärmbelastung groß. Wer sich abseits des Durchgangsverkehrs bewegt, entdeckt ein liebenswertes Quartier mit engagierten Menschen, viel Tradition und Natur, aber auchArbeitgeber, die über Hamburg hinaus bekannt sind.

Konzernzentrale für 50 000 Mitarbeiter

Augenfälligstes Beispiel ist der Otto-Konzern, der seit 1949 seine Zentrale im Süden Bramfelds hat. Mehr als 50 000 Mitarbeiter weltweit werden von dort aus gelenkt. Die Erfolgsgeschichte der Familie Otto begann bereits nach dem Krieg, und viele Familienväter und Teilzeitmütter, die im Nordosten Hamburgs wohnen, arbeiten bei dem Versandhandel.

Auf eine noch längere Tradition gründet sich eine andere Marke, die Männerherzen höher schlagen lässt: Max Bahr. Der Name geht auf den Sohn des Stellmachers Heinrich Bahr zurück. Während der Vater ab 1879 auf einem Gelände südlich des Dorfplatzes ein Gewerbe für Fahrgestelle und Geräte pflegte, machte Sohn Max erst einen erfolgreichen Holzhandel und dann die bekannte Baumarkt- und Heimwerkerkette daraus. Das Gründungsgrundstück der Bahrs wurde 2009 verkauft, um Platz für die Bramfelder Marktgalerie zu machen, das lang ersehnte Shoppingcenter. Der Baumarkt zog auf ein Areal weiter südlich.

Große Firmen, aber auch (noch) viele kleine Läden - der Mix macht den Reiz von Bramfeld aus. Dass der Stadtteil eine eigene Post hat, wäre früher keine Silbe wert gewesen. Im Jahr 2012 ist die große Filiale gegenüber der Friedenseiche ein Indiz dafür, dass dieser Ecke Hamburgs auch in Zukunft Potenzial mit regem Betrieb zugebilligt wird.

Ein Verein mit 4000 Mitgliedern

Es gibt Stadtteile mit einem "guten" Ruf und solche mit einem "schlechten". Bramfeld hatte lange gar keinen. Doch die Zeit arbeitet für das unterschätzte Quartier. Gepflegte Mehrfamilienhäuser Richtung Innenstadt, Einfamilienhäuser mit viel Grün zu oft noch erschwinglichen Preisen - Wohnungsgesellschaften und Makler weisen immer öfter auf Bramfelds Vorzüge hin. Schon nach dem Krieg wurde Bramfeld als Ort geschätzt, an dem Wohnqualität und guter Preis in Einklang gebracht werden können. Wer sich für Hamburger Architektur und Stadtentwicklung interessiert, kennt die Hohnerkampsiedlung: Die Reihenhäuser mit ihren pastellfarbenen Fassaden, angeordnet wie Legosteine aus der Spielzeugkiste, gelten als Musterprojekt der 50er-Jahre. Heute wohnen hier beispielsweise am Lüdmoor junge Familien und Senioren Tür an Tür. Mit seinen 50 000 Einwohnern - jeder vierte mit Migrationshintergrund - ist Bramfeld quasi eine Kleinstadt in der Stadt. Der Bramfelder SV ist mit mehr als 4000 Mitgliedern, davon über 900 in der Fußballabteilung, größer als der VfB Lübeck. Die Trampolinturner und die Basketballer messen sich regelmäßig unter ihresgleichen in der Bundesliga.

Sport, eine große Auswahl von Schulen und Ärzten, das Stadtteilkulturzentrum Brakula (Bramfelder Kulturladen), das seit 1982 in einem historischen Bauernhaus Impulse setzt: Die Infrastruktur des Stadtteils bietet das Vollsortiment - wäre da nur nicht das Problem mit der fehlenden Verkehrsanbindung in die Innenstadt. Die Front eines alten U-Bahn-Waggons vor dem Brakula, die immer wieder liebevolllackiert wird, zeugt vom jahrzehntelangen vergeblichen Kampf für eine Nahverkehrs-Nabelschnur in die City.

Enttäuschung über Olaf Scholz

Die neue Hamburger U-Bahn-Linie 4 wird künftig als HafenCity-U-Bahn bekannt und soll Touristen und Zweitwohnungsbesitzer in den Vorzeigestadtteil an der Elbe schaufeln. Wer weiß schon, dass die U-4-Trasse in nördlicher Richtung längst geplant war und am Fahrenkrön in Bramfeld geendet hätte?

Mit Amtsantritt von Bürgermeister Olaf Scholz 2011 ist für die meisten Bramfelder Ernüchterung eingetreten: Das Projekt Stadtbahn ist aus Kostengründen vom Tisch. Doch solange die Trasse nicht komplett zugebaut wird, hegen manche noch ein Fünkchen Hoffnung, dass Bramfeld eines Tages bekommt, was es verdient: eine Bahnanbindung wie andere Stadtteile auch. Dabei gibt es auch Stimmen, die auf die Vorteile des Mangels hinweisen: "Dann hören wir wenigstens das Gequietsche der Züge nicht", meint Herbert Kruse, und ein Schmunzeln huscht über sein Gesicht.

"Bauer Kruse", wie er genannt wird, hat den Hof seiner Eltern zu einem Reitbetrieb inklusive Hannoveraner-Zucht ausgebaut. Auf seinen zehn Hektar großen Koppeln grasen friedlich Pferde nebst den Fohlen. Was für eine Oase, nur wenige Kilometer vom Hamburger Stadtkern entfernt! Das Herbstfest der Initiative "Brain", eines Zusammenschlusses von Geschäftsinhabern und engagierten Bürgern, wäre ohne das Programm bei Bauer Kruse nicht vorstellbar.

Wie ein Fels in der Brandung steht auch die Osterkirche zu Bramfeld. Als sie 1914 geweiht wurde, waren Wellingsbüttel und Steilshoop noch Bestandteile des Kirchenbezirks, und Ehrengast war Kaiserin Auguste Viktoria. Vor dem 100. Jubiläum wird rund um die Kirche alles neu gemacht: Nach einer Kita entsteht dort ein neues Gemeindezentrum. Die Autos werden aus dem Bereich um den historischen Lindenring auf Parkplätze am Rand verbannt. Autofrei wird auch der neue Marktplatz an der Herthastraße. Die Fläche neben dem ehemaligen Karstadt- bzw. Hertie-Standort soll wieder ein beliebter Treffpunkt werden.

Graureiherkolonie am See

Der Autoverkehr mag ein Trauma Bramfelds sein, jenseits der Betriebsamkeit finden sich vor allem viel Ruhe und Gelassenheit. Im Westen lockt, schon großteils auf Steilshooper Gebiet, der Bramfelder See mit seiner Graureiherkolonie, und der Zugang Seehof führt in die Welt des Ohlsdorfer Friedhofs. An der östlichen Grenze zu Farmsen-Berne liegt ein Erdbeerfeld, das im Frühsommer Anziehungspunkt für Besucher aller Altersklassen ist. Und manchen Bramfelder erinnert die Ernte der süßen Früchte an die Zeit, als ihr Stadtteil noch ein richtiges Dorf war, mit Ginster, Rhabarber und Bauernhöfen.

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In der nächsten Folge am 8.8.: Waltershof