Hamburg. Bundesweite Hotline besteht seit zehn Jahren. Wo die Übergriffe am häufigsten passieren. Immer mehr Nichtbetroffene rufen an.

Das bundesweite Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch (080022 55530) wird immer häufiger genutzt. Das ist die Bilanz, welche die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs an diesem Donnerstag zog. Anlass ist das zehnjährige Bestehen des medialen Angebots, das inzwischen nicht nur per Telefon, sondern auch online genutzt wird.

Hilfe-Telefon sexueller Missbrauch mit 50.000 Anrufern

Seit dem Start im Jahr 2014 wurden rund 50.000 Gespräche geführt. In diesem Zeitraum gingen Anrufe aus allen Bundesländern ein. Überdurchschnittlich häufig vertreten waren Anrufer aus den Stadtstaaten. Die anteilig meiste Inanspruchnahme des Hilfe-Telefons, gerechnet pro 100.000 Einwohnern, erfolgte in Berlin (29,75 Prozent) und Hamburg (25,21 Prozent), gefolgt von Bremen (22,78 Prozent). Auf dem vierten Platz steht Rheinland-Pfalz (15,70). Die geringste Inanspruchnahme verzeichnet Sachsen-Anhalt, heißt es in der Begleitstudie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm.

„Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch“:  Immer mehr Betroffene wenden sich an das Hilfe-Telefon bei sexuellem Missbrauch.
„Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch“: Immer mehr Betroffene wenden sich an das Hilfe-Telefon bei sexuellem Missbrauch. © dpa | Jens Kalaene

Aufmerksamkeit für Kindesmissbrauch und die Opfer gewachsen

Dass der Anteil der Anrufe aus Hamburg so hoch ist, erlaubt keinen Rückschluss auf die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs in der Hansestadt im Vergleich zu anderen Bundesländern. Sicher ist dagegen nach Ansicht der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, dass die Aufmerksamkeit für Kindesmissbrauch wachse. Auch und gerade in der Hansestadt.

Bei dem seit zehn Jahren erreichbaren Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch suchen zunehmend Hamburgerinnen und Hamburger aus dem Umfeld von Kindern und Jugendlichen sowie Fachkräfte Unterstützung und Beratung, die Anzeichen sexueller Gewalt beobachtet hätten.

Kindesmissbrauch: Die Hälfte aller Fälle in der Familie

Zugenommen hat auch in Hamburg dieser Trend, dass sich Dritte (also selbst nicht betroffene Personen) hilfesuchend bei der Hotline melden. Lag der Anteil jener Gruppe im Jahr 2016 noch bei 55,2 Prozent, so waren es im vergangenen Jahr 78,3 Prozent. Bei Dritten handelt es sich um Angehörige, Fachkräfte und sonstige Anrufende.

Missbrauch: Die Opfer sind durchschnittlich jünger als zehn Jahre alt

Wie es in der Begleitstudie der Uni Ulm weiter heißt, waren 50 Prozent der vom sexuellen Missbrauch Betroffenen zum vermuteten Tatzeitpunkt jünger als zehn Jahre alt. Der Missbrauch fand überwiegend im familiären Kontext (52,7 Prozent), im sozialen Umfeld (19,2 Prozent) und in der Schule (5,9 Prozent) statt. Im Untersuchungszeitraum von 2016 bis 2023 liegen die berichteten Fälle aus der katholischen und evangelischen Kirche eher im unteren Segment (1,3 bzw. 0,5 Prozent).

Laut Hamburger Polizeistatistik ist die Zahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren gestiegen. Gab es in der Hansestadt im Jahr 2018 noch 326 solcher Verfahren, so waren es 2022 bereits 452. Die Zahl der Beschuldigten stieg im selben Zeitraum von 303 auf 540.

Polizeistatistik Hamburg: Zahl der Fälle von Missbrauch weiter gestiegen

Im Jahr 2022 wurden laut Polizei 327 Kinder und 281 Jugendliche Opfer von „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“.

„Jeden Tag werden in Hamburg statistisch betrachtet rund 1,5 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Es ist ein entsetzliches Leid, das diese Kinder und Jugendlichen ertragen, für das sie die bestmögliche Unterstützung erhalten müssen. Neben einer schnellen und umfassenden psychologischen Hilfe ist es unerlässlich, dass die Ermittlungsbehörden ebenso wie die Strafjustiz personell in den Bereichen so ausgestattet sind, dass die Verfahren zügig beendet können und die Täter konsequent und schnell ihre gerechte Strafe erhalten.“

Die Arbeit des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch sei von unschätzbarem Wert für alle Anrufenden, sagt die Beauftragte der Bundesregierung, Claus. „Die Beraterinnen und Berater sind oft diejenigen, denen sich Betroffene oder Angehörige erstmalig anvertrauen. Auch Fachkräfte und andere Menschen aus dem nahen Umfeld von Kindern und Jugendlichen suchen dort zunehmend Unterstützung und die Tendenz ist steigend. Das zeigt ganz deutlich, wie wichtig die Arbeit des Hilfe-Telefons ist. Es zeigt auch: Wir müssen Hilfestrukturen nachhaltig stärken.“

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Das sagt die Leiterin des bundesweiten Hilfe-Telefons

Die Leiterin des Hilfe-Telefons, Silke Noack, erläuterte, es riefen zunehmend Menschen an, die „ein komisches Gefühl“ hätten: „Sie haben etwas beobachtet, wissen aber nicht, wohin sie sich wenden können“, sagte sie. In den Gesprächen gäben die Beraterinnen und Berater erste fachliche Einschätzungen und Hinweise zum weiteren Vorgehen. Beim Hilfe-Telefon arbeiten ausschließlich pädagogisch und psychologisch geschulte Personen, überwiegend Frauen. Die Anrufenden sind zu fast drei Vierteln weiblich.

Das Hilfe-Telefon ist ein Angebot der Nationalen Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend und wird vom Amt der Missbrauchsbeauftragten finanziell gefördert.