Sie schrieb eine verzweifelte E-Mail an den Verein Zeitleben e. V. mit den Worten: „Ich weiß nicht mehr, wie es beruflich mit mir weitergehen kann“ – und meldete sich nur wenige Tage danach krank. Burnout! Nichts ging mehr, so beschreibt Sonja Merken (Name geändert) ihre Situation vor rund zwei Jahren.
Dabei hatte die Projektmanagerin gerade nach einem Jahr Babypause wieder angefangen, in ihrem alten Job zu arbeiten. Doch die Arbeitsatmosphäre hatte sich grundlegend verändert, der ehemals so nette Chef rollte jedesmal genervt mit den Augen, wenn sie ihr Kind ab 14 Uhr von der Kita abholen musste.
Teilzeitarbeit, davon hielt der Boss gar nichts, schließlich hatte sonst keiner in der Firma Nachwuchs. „Ich war wie im Hamsterrad gefangen, fühlte mich ständig schuldig, sowohl meiner Firma als auch meinem Kind gegenüber. Niemandem konnte ich es recht machen“, erzählt die 42-Jährige. Eine Freundin gab ihr den Tipp, sich an den Verein Zeitleben in Eimsbüttel zu wenden. Dort bieten 40 Beraterinnen und Berater ehrenamtlich Coachings für Menschen mit begrenztem Budget an.
Den Rücken gestärkt, mehr Selbstbewusstsein
Eine der Vorständinnen des Vereins, Janin Boecker, kümmerte sich um Sonja Merken und gab ihr ganz praktische Tipps und Methoden an die Hand, wie sie sich besser gegen ihren Chef durchsetzen kann. „Frau Boecker hatte ein ganz feines Gespür dafür, was in mir vorging, hat offen meine Probleme angesprochen und mir gleichzeitig sehr den Rücken gestärkt“, sagt Merken. Als sie wieder anfing zu arbeiten, trat sie mit neuem Selbstbewusstsein auf, „und ich bekomme seither viel mehr Respekt von meinem Chef und den Kollegen“.
Rund zwölf Stunden wurde sie von Janin Boecker begleitet und erhielt damit fast die doppelte Beratungszeit, die sonst üblich ist. „Die meisten Coachings sind zwischen sechs und zehn Stunden. Die Tandems treffen sich durchschnittlich alle zwei Wochen“, sagt Maria Wendeler, die den Verein 2006 gegründet hat – damals mit nur fünf Beraterinnen.
Nicht jeder braucht eine Therapie, um Dinge zu ordnen
Die Diplom-Psychologin ist auch im Vorstand. Sie war früher Unternehmensberaterin, und ihr fiel dabei auf, dass überwiegend Führungskräfte gecoacht werden. „Dabei benötigen doch auch Menschen mit wenig Geld professionelle Beratung in Fragen von Beruf, Familie und alltäglichen Herausforderungen. Nicht jeder braucht dafür eine Therapie, manchmal reicht es auch schon, Dinge zu ordnen, um das eigene Potenzial besser auszuschöpfen“, sagt die 72-Jährige.
Sie sichtet die Anfragen der Ratsuchenden und verteilt sie auf die verschiedenen Beraterinnen, die alle in dem Bereich zertifiziert sind, aber ganz unterschiedlichen Ausbildungen haben – von der Pädagogin, dem Psychologen, der Heilpraktikerin bis zur Juristin.
An Zeitleben e. V. wenden sich vor allem Arbeitslose, Langzeiterkrankte, Hartz-IV-Empfänger, alleinerziehende Mütter, die wieder in den Beruf einsteigen möchten, wie auch Studentinnen. Das Coaching ist kostenfrei, Spenden sind erwünscht. Vieles läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda, aber auch Tageskliniken mit einem psychosomatischen oder psychiatrischen Schwerpunkt und Familienhilfen vermitteln den Kontakt zu den Coaches.
Die Coaches arbeiten Lösungsorientiert und machen Mut
Die meisten Beraterinnen sind Frauen, ebenso wie die Ratsuchenden. „Meistens geht es vordergründig in der Anfrage an uns um ein berufliches Thema, aber häufig stecken dahinter tiefer liegende, oft psychische Probleme“, erklärt Janin Boecker, die hauptberuflich als Business-Coachin arbeitet. Einige machen – wie auch Boeckers Klientin Sonja Merken – parallel dazu eine Therapie. „Wir therapieren selber nicht, sondern bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Wir möchten, dass die Menschen ihren Lebensweg finden und ein Gefühl für ihre Stärken bekommen. Wir arbeiten vor allem lösungsorientiert und machen Mut“, erklärt Maria Wendeler das Konzept.
Janin Boecker betreut neben ihren zahlenden Kunden auch immer parallel ein bis zwei Klientinnen ehrenamtlich. „Ich profitiere auch davon, weil ich bei dem Ehrenamtsjob viel mehr ausprobieren kann und ich finde das zudem sehr erfüllend“, sagt die 52-Jährige. Normalerweise finden die Coachings in den Räumen des Vereins statt. Das ist trotz Corona immer noch in Einzelfällen möglich, aber hauptsächlich läuft die Beratung online über Videochat.
„Ich finde, das ist ein echter Gewinn, dadurch entsteht oft eine große Nähe“, sagt Wendeler. Sie möchte in der Pandemiezeit vor allem auch Mütter, die durch Homeschooling, Job und Haushalt überfordert sind, mit ihrer Beratung entlasten – oder Menschen, die durch den Lockdown in einer beruflichen Krise stecken und sich neu orientieren möchten. „Wir können durchaus noch ein paar mehr Coachings vermitteln“, sagt sie.
Gestresst oder depressiv? GPD Nordost unterstützt zeitnah
Für Menschen, die sich sehr kurzfristig mit jemandem austauschen möchten, weil sie in einer akuten Lebenskrise stecken, depressiv sind, Angstzustände haben, sich überfordert oder einsam fühlen, gibt es von den Gemeindepsychiatrischen Diensten Hamburg Nordost (GPD) ein neues Angebot: die Online-Beratung per Chat. „Wir bieten zwar nach wie vor Telefonberatung an und für Menschen aus den nordöstlichen Stadtteilen nach Absprache auch Termine in unseren Zentren, aber das Online-Angebot ist gerade in Corona-Zeiten eine sehr gute Ergänzung und vor allem sehr niedrigschwellig“, sagt GPD-Öffentlichkeitsreferentin Friederike Greiner.
Seit Oktober 2020 können Hilfesuchende über eine spezielle Webseite einen Account erstellen und danach direkt ein Termin buchen. Der ist kostenlos und anonym, allerdings wie alle Angebote von GPD erst ab 21 Jahren.
„Online-Beratung ist ein guter Weg, um Menschen in Krisen oder bei Fragen eine erste Orientierung zu bieten“, sagt Petra Hübscher, die derzeit mit sieben Kollegen die Online-Beratung betreut, in Kürze kommen noch Mitarbeiter aus der Suchtberatung hinzu. So gibt es für die Betroffenen die Möglichkeit, ein oder zwei Folgetermine beim gleichen Berater zu buchen. Alle Berater in den Zentren seien Fachkräfte, betont Franziska Greiner, das unterscheide ihr Angebot zum Beispiel von der Telefonseelsorge.
Schnelle und unkomplizierte Hilfe
Darüber hinaus bietet GPD Peerberatung an – auch online. Peerberater sind selbst Psychiatrie-Erfahrene und haben eine Ausbildung in der Begleitung von Menschen in Krisen. „Viele Ratsuchende fühlen sich wohler mit jemandem, der Ähnliches durchgemacht hat und aus eigener Erfahrung berichten kann“, sagt Friederike Greiner.
Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden, brauchten vor allem schnelle, unkomplizierte Hilfe. „Schon der Gedanke an lange Wartezeiten bei einem Psychologen oder anderen Stellen schreckt oft ab. Die Online-Beratung kann diese Lücke füllen“, sagt Psychologin Hübscher. Und wenn die Hilfe nicht ausreicht oder eine Therapie notwendig ist, vermitteln die Berater natürlich an andere Adressen weiter.
Hier gibt es die Kontakte zu den Beratungen
Zeitleben e. V. bietet Orientierung und Perspektiven in Familie, Beruf und Gesellschaft. Es ist ein kostenfreies Coaching für Menschen mit geringem Budget. Spenden sind erwünscht. Die Wartezeit ist kurz. Für Beratungswünsche wenden Sie sich mit Ihrem Anliegen per E-Mail an: beratung@zeitleben-ev.de. Weitere Informationen gibt es unter: www.zeitleben-ev.de
GPD Nordost bietet eine kostenlose und anonyme Beratung für alle ab 21 Jahren an, die sich in einer akuten (Lebens-)Krise befinden oder die psychisch erkrankt sind. Lange Wartezeiten gibt es nicht. Sprechzeiten: An mehreren Tagen pro Woche in den Zentren in Barmbek-Süd, Dulsberg, Marienthal und Jenfeld. Derzeit nur nach telefonischer Anmeldung unter 040/682 826 55 (Mo bis Fr 9.30 bis 16.30 Uhr). Ebenso ist telefonische Beratung unter gleicher Nummer möglich. Online-Beratung: www.gpd-nordost-onlineberatung.de. Man kann sich (mit einem Nicknamen) registrieren, einen Chat-Termin vereinbaren oder eine Mail schreiben.
Telefonseelsorge unter: 0800/ 111 0 111 (Diakonie). 0800/ 111 0 222 (Caritas)
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