Schon seit 2004 wird in der Rellinger Straße nach den Reformprinzipien unterrichtet. Heutige Viertklässler lernen bis Klasse 6 zusammen.

Hamburg. Kush (6) sitzt vor seinem Mathe-Übungsheft und zählt Tiere. Sorgfältig malt der Schulanfänger eine "5" unter die Delfine. Neben ihm brütet Drittklässler Moritz (8) über dem Einmalsieben. Und Ammir (8) arbeitet Aufgaben in seinem Deutschbuch durch. Auch er ist in der dritten Klasse. "Ich finde es gut, dass es in meiner Klasse ältere Kinder gibt. Die können mir helfen", sagt Kush, zählt noch einmal - und guckt dann fragend zu Moritz.

Eine Schulstunde bei den "Tigern" in der Schule Rellinger Straße. Vieles im Unterricht der Eimsbüttler Grundschule läuft schon so, wie es nach der Primarschulreform in ganz Hamburg werden soll. Lehrerin Mareike Rutz (28) steht nicht an der Tafel und erklärt, sondern unterstützt ihre Schüler individuell bei ihren Arbeitsaufgaben. Statt in einem nach Alter sortierten Klassenverband sitzen die Schüler in einer jahrgangsübergreifenden Lerngruppe. Es gibt Lernentwicklungsgespräche und besondere Zeugnisse, in denen nicht die Noten im Mittelpunkt stehen. Seit fünf Jahren arbeitet die Schule mit 280 Schülern nach reformpädagogischen Prinzipien und gehört zu den 24 Hamburger Schulen, die ein Jahr früher als alle anderen schon 2010 als Primarschule starten wollen.

"Was geplant ist, ist ja genau das, was wir schon erfolgreich machen", sagt Schulleiterin Petra Stumpf (51). Jetzt laufen die Vorbereitungen für den Wandel von der Grund- zur Primarschule. Neue Lehrer mit Erfahrungen im Sekundarbereich I müssen gesucht, ein Neubau für die fünften und sechsten Klassen geplant werden. "Und wir arbeiten mit Hochdruck an den inhaltlichen Konzepten für die Jahrgangsstufen 4, 5 und 6", sagt Reformpädagogin Stumpf. Erste Neuerung im laufenden Schuljahr: Es wurden zwei Lerngruppen nur mit Vierklässlern gebildet, die von unten zur sogenannten Primarschul-Unterstufe mit den Klassen 4 bis 6 aufwachsen sollen. Bei den 22 "Tigern" lernen die Klassenstufen 1, 2 und 3 gemeinsam.

An diesem Vormittag steht "Arbeitszeit" auf dem Stundenplan. Amélie (7) und Fanny (7) haben sich in den Gruppenraum zurückgezogen und üben ein Gedicht. An einem der Computer-Arbeitsplätze schreiben Sarah (8) und Lea (8) eine Pferdegeschichte. Es herrscht eine ruhige, konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Lehrerin Mareike Rutz sitzt am Pult und hilft Lenya (7) bei einer Rechenaufgabe. "Ich schaffe die Lernumgebung", erklärt die Pädagogin ihre Grundhaltung. Dabei müssen natürlich wie an jeder anderen Grundschule auch die vorgegeben Lerninhalte vermittelt werden. "Ich mache den Schülern auch Vorgaben, aber sie können aus dem Angebot selbst entscheiden", sagt Rutz.

Spielen die Kinder dann nicht lieber oder trödeln oder nehmen sich nur die einfachen Aufgaben vor? Die Lehrerin schüttelt den Kopf: "Das habe ich noch nie erlebt. Die Kinder übernehmen Verantwortung für ihr Lernen." Wichtigstes Arbeitsmittel ist die sogenannte Planungsmappe mit Arbeitsblättern, die sie für jeden "Tiger"-Schüler entsprechend seines aktuellen Leistungsstands zusammenstellt. "Ich habe auch schon etwas geschafft", sagt Erstklässler Til (6) und zeigt stolz die ersten Häkchen in seiner Mappe.

"Das Kind lernt selbst, oder es lernt gar nicht", sagt Schulleiterin Stumpf überzeugt. An diesem Punkt müsse man ansetzen, um möglichst vielen Kindern die Chance auf Bildung zu geben.

Die Schlussfolgerung aus ihrer Sicht: "Abschied vom Bausteinlernen und traditionellen Unterrichtskonzepten." Dass das funktioniere, hätten die wissenschaftlichen Begleituntersuchungen zu dem Schulversuch gezeigt. Ein weiteres Zeichen für den Erfolg: Im Sommer wechselten von 51 Viertklässlern 26 aufs Gymnasium - mehr als jeder Zweite. Es waren voraussichtlich die letzten Schüler, die nach der vierten Klasse die Schule an der Rellinger Straße verlassen. Die meisten finden das gut. "Ich bin gern hier", sagt Drittklässlerin Souhaila (8).