Erstmals müssen Hamburger Schüler zu Hause bleiben. Neue Auflagen und Kürzungen bei den Schulen sorgen für Probleme.

Hamburg. Von der Schule sind sie beurlaubt, innerlich haben sie sich schon von Freunden, Familie und dem gewohnten Leben verabschiedet. Eigentlich hätte das größte Abenteuer ihres jungen Lebens, ein Highschool-Jahr in den USA, längst beginnen sollen. Doch noch immer warten etliche Hamburger Austauschschüler auf einen Platz. Wegen der schweren Finanzkrise und neuen, vom State Department (Außenministerium) erlassenen Verordnungen haben die Organisationen in diesem Jahr große Schwierigkeiten, Schulen und Familien für ihre Schützlinge zu finden. Und der Countdown läuft. Normalerweise ist am 31. August Deadline: Wer bis dahin keine Gastfamilie und keinen Schulplatz hat, darf nicht in die USA einreisen. Wegen Hurrikan "Irene", aber auch, um die Situation zu entschärfen, hat das State Department die Frist bis zum 7. September verlängert.

Ob diese Maßnahme reicht, ist jedoch ungewiss. "Es kann in unserer 60-jährigen Geschichte tatsächlich das allererste Mal sein, dass wir nicht alle Jugendlichen in den USA platzieren können", sagt Liane Bauer von "AFS". 17 Hamburger Austauschschüler betreut die Organisation. Einige davon seien leider betroffen, räumt Liane Bauer ein, möchte jedoch keine konkrete Zahl nennen.

+++ Ab nach Texas +++

+++ Austauschschüler +++

+++ Dossier: Die Finanzkrise der USA +++

Stefan Schwarz von "Education First" konnte fast 20 Schüler aus Hamburg nicht in den USA unterbringen und musste ihnen Alternativen anbieten. "Sie verbringen ihr Highschool-Jahr jetzt entweder in einem anderen Land oder besuchen stattdessen neun Monate eine Sprachenschule", sagt er. "Andere beginnen ihr Austauschjahr in Costa Rica oder Irland und reisen zu einem späteren Zeitpunkt in die USA." Ein Schüler war damit nicht einverstanden und sagte die Reise ab, ein weiterer wartet noch auf Unterbringung. Auch die Organisation "International Experience" hatte große Probleme, die von ihr betreuten Schüler zu platzieren. "Wegen des hohen Spardrucks verweigern viele Schulen die Aufnahme von Gastschülern", sagt Vorstand Thomas Gillner. "Weil sie auf Lehrkräfte verzichten müssen, bestehen die Klassen teilweise schon aus mehr als 40 Schülern."

Bereits der im Februar veröffentlichte Haushaltsplan 2012 sah nach Angaben des "Center of Budget and Policy Priorities" für US-Schulen in 43 Staaten massive Kürzungen vor. Colorado etwa soll auf 260 Millionen Dollar verzichten - das sind 400 Dollar weniger pro Schüler. Durch die aktuellen Sparmaßnahmen erhöhen sich die Kürzungen noch drastisch.

Die Familien sind ebenfalls verunsichert. "Viele haben Angst, dass sich ihre wirtschaftliche Lage verschlechtert", sagt Susanne Kordasch von "Youth For Unterstanding". Außerdem hat das State Department die Auswahlkriterien für Gastfamilien verschärft. "Seit Anfang des Jahres müssen sich Familien einer noch intensiveren Überprüfung unterziehen als bisher", sagt Kordasch. Sie müssen vermehrt Dokumente ausfüllen, noch mehr Referenzen vorweisen und ihr Haus innen und außen fotografieren lassen. Erst dann, wenn Gastfamilien diese Prozedur über sich haben ergehen lassen, dürfen die Organisationen ihnen die Schülerprofile zeigen, denn auch das "Werben" für Schüler anhand von Fotos hat das Außenministerium verboten. Was eigentlich zum Wohl der Austauschschüler gedacht war, erweist sich jetzt als große Hürde auf ihrem Weg nach Amerika. "Weder frühere Wirtschaftskrisen noch der 11. September haben meiner Ansicht nach die Bereitschaft der Familien, Gastschüler aufzunehmen, so geschwächt wie jetzt diese neuen Regularien", sagt Susanne Kordasch.

Adele Firnrohr, 15, Emily Lake, 16, und Leon Grupe, 17, haben Glück gehabt. Sie haben nach langem Bangen und Zittern eine Gastfamilie in den USA bekommen. Allerdings sehr kurzfristig - obwohl das Gesetz über Gastschulaufenthalte eigentlich vorsieht, dass zwischen Bekanntgabe der Gastfamilie und Abflug mindestens 14 Tage liegen müssen. Emily hatte genau 36 Stunden Zeit, bevor ihr Flug nach Ohio ging. "Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich nicht platziert worden wäre", sagt die Jugendliche aus Klein Borstel. "Ein Austauschjahr in den USA war immer mein Traum."

Adele erfuhr Sonntagabend, dass sie spätestens am Donnerstag nach Texas aufbricht. "Ich hätte mir mehr Zeit gewünscht, um mich auf mein Austauschjahr einzustellen", sagt sie. "Jetzt geht alles so schnell: Abschied nehmen, packen, Kontakt zur Gastfamilie aufnehmen und Gastgeschenke besorgen - nichts kann ich in Ruhe tun." Trotzdem freut sie sich, dass die Zeit der Ungewissheit hinter ihr liegt.

Für Leon ist das noch nicht 100-prozentig der Fall. Er weiß zwar schon, bei welcher Familie in Michigan er unterkommen wird, doch das Abflugdatum ist noch ungewiss: Es fehlt noch eine letzte Unterschrift der Schule. "Die Anspannung ist noch nicht ganz vorüber", sagt er. "Aber zumindest muss ich nicht in Hektik verfallen."

Die Organisationen freuen sich über die Gnadenfrist, die ihnen das State Department gewährt. "Es gibt uns Zuversicht", sagt Liane Bauer. "In den nächsten Tagen kann sich noch eine Menge tun."