Das Abendblatt kürt Hamburgs beste Deutschlehrer - die Finalisten im Porträt. Heute: Nadine Soltwisch, Stadtteilschule am Heidberg.

Langenhorn. Sie macht es spannend. Langsam zieht Nadine Soltwisch das rote Tuch zur Seite, unter dem die Beine einer Staffelei hervorlugen. Die Schüler sind mucksmäuschenstill. Ein Spiegel kommt zum Vorschein, mit matt-silbriger Oberfläche und einem verschnörkelten Rahmen. "Wow! Wo haben Sie den denn her, Frau Soltwisch?", fragt Henna. Und Salim ruft begeistert: "Der sieht ja genauso aus wie der Spiegel in unserer Geschichte!"

Die Sechstklässler haben gestern im Deutschunterricht mit Cornelia Funkes neuem Roman "Reckless" begonnen. Nadine Soltwisch klappt die Tafel auf. Dort hat sie in Stichworten festgehalten, was die Schüler am Ende der letzten Stunde über den Inhalt zusammengetragen haben. "Jacob Reckless, 12 Jahre" steht in der Mitte der Tafel. Pfeile führen zu den Wörtern "traurig", "wütend", "findet ein Blatt Papier" und "hat einen kleinen Bruder". Dann steht da noch "Spiegel" und "kann sich kaum darin erkennen".

Auch der Spiegel, den Nadine Soltwisch gerade enthüllt, reflektiert nur schemenhaft. Doch seine Funktion ist klar. "Ich versuche, den Unterricht so vielseitig wie möglich zu gestalten und den Schülern Inhalte durch Gegenstände spielerisch begreiflich zu machen", sagt die 29 Jahre alte Pädagogin. "Denn nur, wenn sie gerne bei der Sache sind, lernen sie motiviert." Bei einem Roman von Cornelia Funke ist das natürlich einfach. Doch funktioniert es auch bei staubtrockenen Themen wie Grammatik und Rechtschreibung? "Klar", sagt Nadine Soltwisch und lacht. "Wir haben auch schon Verben pantomimisch dargestellt und Expertengruppen zur Rechtschreibung gebildet."

Ihr Konzept geht auf. Den Schülern macht der Unterricht bei der blonden Frau mit der mädchenhaften Ausstrahlung Spaß. "Sie lässt sich immer etwas Neues einfallen und erklärt Dinge so, dass alle sie verstehen", sagt Henna. "Außerdem ist sie sehr geduldig", fügt Tim hinzu. "Und auf so nette Weise streng, dass wir Respekt vor ihr haben." Auch im Kollegium ist Nadine Soltwisch beliebt. "Sie ist ein strahlender Mensch mit einer offenen und freundlichen Persönlichkeit", beschreibt Schulleiterin Helga Smits die Lehrerin für Deutsch und Sport. "Außerdem besitzt sie eine selbstverständliche pädagogische Grundhaltung, ist sehr engagiert und immer hilfsbereit."

Damit die Schüler schon bei Unterrichtsbeginn wissen, was sie erwartet, pinnt Nadine Soltwisch jeden Morgen Folien mit Symbolen an die Tafel. Heute sind es eine Sprechblase, das Wort "Standbild", ein aufgeschlagenes Buch und eine Hand, die einen Stift hält. Für Henna, Inga, Salim und die anderen ist klar: Diese Stunde beginnt mit einem Gespräch, dann werden sie den Buchinhalt szenisch in einem Standbild darstellen und die Stunde mit einer schriftlichen Aufgabe beenden.

Was die Schüler im Standbild einbauen sollen, hat Nadine Soltwisch auf Zetteln aufgeschrieben, die sie jetzt verteilt: Jacob Reckless, das Arbeitszimmer seines Vaters, ein Blatt Papier, den Spiegel und Jacobs kleinen Bruder. Eifrig und konzentriert legen die Schüler los, zunächst jeder für sich. Als sie ihre Standbilder dann vorführen dürfen - mit dem echten Spiegel - ist der Andrang groß. "Der Text ist nicht einfach. Das szenische Spiel hilft den Kindern, ihn zu verstehen und den anderen zu zeigen, was sie können", sagt Nadine Soltwisch. "Die Besseren werden durch das Präsentieren gefördert, die anderen lernen beim Zusehen und Zuhören."

Durch das Bauen der Standbilder sind die Kinder immer wieder in Bewegung. "Solche Phasen baue ich ein, weil die Schüler gerade in den Stunden nach dem Mittagessen durch reine Arbeitsaufträge schnell müde werden", sagt die Lehrerin, die gerne Tennis spielt, surft und Ski läuft. Dass ihre Art gut ankommt, zeigen die Schüler ihr jeden Tag aufs Neue. "Die größte Wertschätzung aber haben sie mir erwiesen, als sie auf die Idee kamen, mich für den Wettbewerb vorzuschlagen", sagt Nadine Soltwisch. "Als sie mir das erzählt haben, hatte ich Freudentränen in den Augen."