Koalitionsvertreter sind sichtlich genervt, weil Scheuerl und die Volksinitiative auf ihren Positionen beharren.

Hamburg. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die Aufschluss über den wahren Stand von Verhandlungen und das Klima der Gespräche geben. Am Ende des dritten, mit vier Stunden bislang längsten Treffens zwischen der schwarz-grünen Koalition und der Volksinitiative "Wir wollen lernen" traten die Fraktionschefs Frank Schira (CDU) und Jens Kerstan (GAL) allein vor die Kameras und Mikrofone. Zuvor hatte Rechtsanwalt Walter Scheuerl als Sprecher der Initiative die beiden stets begleitet.

Nach einem Dreier-Auftritt war die Stimmung gestern nicht mehr. "Herr Scheuerl hat nach dem letzten Gespräch sehr darauf beharrt zu sagen, was alles nicht geht", begründete Kerstan deutlich genervt das Vorgehen. Offensichtlich wollten die Koalitionäre vermeiden, dass es zu einem Disput der beiden Verhandlungsseiten vor laufenden Kameras kommt. Auf eine gedeihliche Verhandlungsatmosphäre lässt das nicht schließen.

So kam Scheuerl erst zum Zuge, als Schira und Kerstan den Ort des Geschehens bereits verlassen hatten. Zwar beurteilte der Initiativensprecher die Einigungschancen mit "offen bis gut", blieb in der Sache aber hart und unnachgiebig. "Der Senat muss sich in der Frage der Freiwilligkeit der Primarschul-Einführung zu einem klaren, einheitlichen Votum durchringen", sagte Scheuerl und versuchte damit, einen Keil zwischen CDU und GAL zu treiben. "Es ist für uns heute deutlich geworden, dass die GAL-Vertreter an dem Modell einer schnellen Zwangseinführung der Primarschule festhalten, während wir bei der CDU schon mehr Offenheit und qualitätsorientiertes Denken festgestellt haben", sagte Scheuerl. Wer nach Verhandlungen die Gegenseite öffentlich auseinanderdividieren will, nimmt in Kauf, dass sich die Gesprächsatmosphäre verschlechtert. Ein Verhandlungsprofi wie Scheuerl weiß das natürlich. Die Reaktion kam prompt: Kerstan betonte, dass alle Vorschläge gemeinsame Angebote der beiden Koalitionspartner CDU und GAL seien.

Knapp zehn Stunden haben die Delegationen von CDU und GAL mit Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) auf der einen Seite und der Volksinitiative "Wir wollen lernen" auf der anderen bislang um einen Kompromiss gerungen. Schwarz-Grün hat den Einigungsvorschlag des Moderators und Unternehmers Michael Otto, der an den Gesprächen teilnimmt, weitgehend übernommen. CDU und GAL sind jetzt auch bereit, einem unabhängigen Expertengremium zuzustimmen, das die Qualitätskriterien zur Einführung der neuen Schulform überprüft und gegebenenfalls den Stopp empfiehlt. Von Beust und Goetsch sind bereit, dass der Senat ein solches Votum für sich verbindlich übernimmt. Auch bei der Frage, was das Expertengremium untersuchen soll, ist das Bündnis der Initiative entgegengekommen. So soll nicht nur die Klassengröße und die räumliche Ausstattung genau unter die Lupe genommen werden, sondern auch inhaltliche Elemente wie der individualisierte Unterricht.

Doch die Gretchenfrage lautet weiterhin: freiwillige oder flächendeckende Einführung? Bislang hat die Initiative nicht zu erkennen gegeben, dass sie dem Vorschlag von Handelskammer-Präses Frank Horch folgen will. Horch hatte argumentiert, dass die stufenweise Überprüfung von Rahmenbedingungen und inhaltlichen Kriterien den Verzicht auf das Prinzip der Freiwilligkeit aus Elternsicht ermögliche.

Aus den Reihen der Koalitionäre ist deutliche Ernüchterung wahrzunehmen. Alle Schritte des Entgegenkommens seitens der Koalition würde die Initiative zwar annehmen, ohne aber ihrerseits substanzielle Bewegung zu zeigen. Gelegentlich wird das Auftreten vor allem von Walter Scheuerl als maßlos empfunden. So habe sich der Anwalt erkundigt, ob Schwarz-Grün bereit sei zu akzeptieren, dass die Initiative alle Mitglieder der Expertenkommission benennt, die die Reform überwachen soll.

Der Vorschlag, dass die Koalition allen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gremiums aufgibt, stieß auf wenig Gegenliebe. Schon weisen Koalitionäre darauf hin, dass die Verfassung Senat und Bürgerschaft einen Primat bei politischen Entscheidungen zuweist. "Den Primat des Parlaments haben wir schon jetzt mit unserem erfolgreichen Volksbegehren ausgehebelt", entgegnet Scheuerl selbstbewusst.