Mit einem Kissen soll der Rentner seine bettlägerige Partnerin (88 Jahre) umgebracht haben. Dann versuchte er, sich das Leben zu nehmen.

Hamburg. Die bunten Plastikostereier, die in den Büschen hängen, wiegen sich im Wind. In den Vorgärten am Tinsdaler Heideweg in Rissen hat der Frühling Einzug genommen. Vor dem Haus Nr. 69 blühen die ersten Stiefmütterchen. Herr L. muss sie erst vor ein paar Tagen in den großen runden Kübel gepflanzt haben. Wahrscheinlich hat er die Blumen wie immer mit dem Fahrrad aus dem "Dorf" geholt. So nennen die Rissener ihr beschauliches Zentrum. Was mag ihm dieser Tage durch den Kopf gegangen sein? Und wann hat Otto L. seinen Entschluss gefasst?

Es ist der 20. März, Frühlingsanfang. Der Himmel ist grau an diesem Sonnabendvormittag. Der Tag will gar nicht hell werden. Draußen im Garten trillert die Amsel unermüdlich ihr Lied, während der Regen an die Fensterscheiben des Schlafzimmerfensters prasselt. Im Bett liegt die 88 Jahre alte Frau L. "Sie ist schwer krank und schon lange bettlägerig, Ich habe sie seit Jahren nicht mehr auf der Straße gesehen", sagt eine Nachbarin. Ihr Ehemann, Otto L., 13 Jahre jünger, pflegt seine Frau allein. Er tut alles für sie.

Es ist 9 Uhr früh, als Otto L. beschließt, diesem Leben ein Ende zu machen. Er nimmt ein Kissen, drückt es seiner Frau ins Gesicht. So lange, bis diese erstickt. Anschließend breitet der Mann eine Decke über den Leichnam. Otto L. hat seine Frau getötet. Kurze Zeit später verlässt der 75-Jährige die Wohnung im ersten Stock des Rotklinkerhauses. Er steigt die steile Holztreppe hinunter, öffnet die weiß lackierte Haustür und geht raus durch den Vorgarten. Der Regen hat nachgelassen. Otto L. nimmt sein Fahrrad und radelt los. Er will jetzt auch seinem Leben ein Ende machen. Er schafft es nicht. Zwar fährt er vor mehrere Autos, doch die Fahrer können im letzten Moment ausweichen. Am Schulauer Weg streift ihn ein Bus der Pinneberger Verkehrsgesellschaft. Mit leichten Verletzungen kommt Otto L. in die Klinik. Dort erzählt der verzweifelte Mann der Polizei, was am Morgen in seiner Wohnung vorgefallen ist. Sofort wird die Mordkommission eingeschaltet. Im Schlafzimmer des Ehepaars finden die Beamten den Leichnam von Frau L.

Weitere Streifenwagen der Polizei werden angefordert, Krankenwagen und Feuerwehr blockieren die schmale Straße. Als die Nachbarn gegen halb zwölf vom Baumarkt zurückkommen, ahnen sie nicht, dass im Haus nebenan eine Frau umgebracht worden ist. "Wir haben erst über das Internet erfahren, was hier passiert ist", sagt die Nachbarin aus Haus Nr. 71, eine freundliche alte Dame mit weißgrauen hochgesteckten Haaren. "Herr L. war ein ausgesprochen netter und hilfsbereiter Mensch. Wir haben oft über den Gartenzaun hinweg gequatscht. Herr L. war immer zu einem Spaß aufgelegt." 40 Jahre lang hätten sie Garten an Garten gelebt, gemeinsam die Hecke geschnitten, über das Wetter geplaudert. "Von seiner Frau hat er allerdings fast nie gesprochen", sagt die 81-Jährige. "Nur, dass diese Probleme mit den Augen hätte und neuerdings starke Kopfschmerzen." Oft trafen sich die Nachbarn im "Dorf". Herr L., früher im Nachtdienst in der Haftanstalt Fuhlsbüttel tätig, sei stets mit dem Fahrrad gekommen. Ein Auto hatte er nicht.

Seine Frau habe ab und zu auf dem Balkon in der Sonne gesessen und gelesen, sagt die Nachbarin. "Sie haben ihren Kasten im Frühling immer so schön bepflanzt. Aber in diesem Jahr ist nichts passiert. Ich habe schon zu meinem Mann gesagt, ob sie vielleicht verreist sind?"

Das Ehepaar L. war nicht verreist. Seit Jahren schon nicht mehr. Warum Otto L. seine Frau getötet hat, ist ungeklärt. War sie unheilbar krank, wollte sie sterben oder war ihr Lebensgefährte von der Pflege überfordert?

Der Entschluss, in scheinbar ausweglosen Situationen gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, kommt bei älteren Menschen immer wieder vor. 2007 erschoss ein 84-Jähriger zunächst seine Frau (82) und anschließend sich selbst. Das Paar hatte mehr als 40 Jahre in einem Bungalow in Osdorf gelebt. Den Suizid hatte die Pensionärin ihren Freunden sogar angekündigt: "Wenn wir irgendwann nicht mehr so können, wie wir wollen, dann bringen wir uns um." Das Paar hatte bis ins hohe Alter Reisen unternommen, den Garten penibel in Ordnung gehalten. Doch die Frau wurde immer schwächer. Sie konnte nicht mehr mit der Agilität ihres Mannes mithalten. Der Cousin des pensionierten Arztes und Großwildjägers entdeckte die Toten schließlich in ihrem Haus.

Dass auch Herr L. sterben wollte, steht für die Ermittler fest. Sie fanden einen Abschiedsbrief in seiner Wohnung. Zum Inhalt äußerten sie sich nicht. Ob es auch der Wunsch seiner Frau war, aus dem Leben zu scheiden, muss jetzt vor Gericht geklärt werden. Gestern Nachmittag wurde Haftbefehl gegen den Pensionär erlassen. Ihm wird Totschlag vorgeworfen.