Der 75-Jährige Otto L., der seine demente Ehefrau erstickte, muss nun doch nicht ins Gefängnis. Er wurde begnadigt und auf Bewährung freigelassen.

Neustadt/Rissen. Der Rentner, der seine Frau tötete, weil er mit ihrer Pflege überfordert war, muss nun doch nicht ins Gefängnis - die Justizbehörde hat Otto L. begnadigt und die Haftstrafe auf Bewährung erlassen.

Das Landgericht hatte den 75-Jährigen Anfang September 2010 wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Gnadenakt wird der Rentner die auf Antrag seines Anwalts bislang außer Vollzug gesetzte Haftstrafe endgültig nicht antreten müssen.

Die Gnadenentscheidung ist ein Überbleibsel des mittelalterlichen Gerechtigkeitsverständnisses und soll Unbilligkeiten und Härten strafgesetzlicher Urteile ausgleichen. In Hamburg obliegt das Gnadenrecht in der Regel der Justizbehörde. Begnadigungen werden weder begründet, noch sind sie justiziabel: Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung ist nicht möglich.

Ulf-Diehl Dreßler, Verteidiger von Otto L., hatte den Gnadenantrag gestellt. "Es ist eine mit sehr viel Augenmaß getroffene Entscheidung, die den besonderen Umständen des Falls Rechnung trägt", sagte Dreßler dem Abendblatt. Sein Mandant habe ihn bereits kontaktiert. "Er freut sich riesig, will sein Leben neu ordnen, was in seinem speziellen Fall nicht einfach ist."

Zumal der 75-Jährige beschlossen hat, weiter in seinem Haus am Tinsdaler Heideweg zu leben - trotz allem. Obgleich die Tragödie hinter der roten Klinkerfassade ihren Lauf genommen hatte. Fast 40 Jahre waren Otto L. und die 13 Jahre ältere Lydia L. glücklich verheiratet. Doch 2006 diagnostizierten Ärzte eine Altersdemenz, die sich zunehmend verschlimmerte. Hilfe ambulanter Pflegedienste, die Unterbringung in einem Seniorenheim gar, lehnte die dominant auftretende 88-Jährige rigoros ab. Der gesamte Haushalt blieb an Otto L. hängen, der seine eigene Belastbarkeit völlig überschätzt hatte.

Er allein bekochte und wusch sie, niemand ging dem Senior zur Hand. Die alltäglichen Anforderungen zermürbten ihn mehr und mehr. Nachdem Lydia L. am Vorabend der Tat wieder einmal zusammengeklappt war, verlor der verzweifelte Mann die Kontrolle: Am Morgen des 20. März erstickte er seine Frau mit einem Kopfkissen in ihrem Ehebett - im Affekt, wie das Gericht feststellte. Unmittelbar nach der Tat warf sich Otto L. vor einen Bus und vor Autos. Doch alle Selbstmordversuche scheiterten. In der Untersuchungshaft galt der schwer depressive Mann zunächst als akut selbstmordgefährdet.

Die Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen Mordes beantragt hatte, verzichtete auf Rechtsmittel. Nach dem Prozess kam der frühere Justizbeamte erst bei Verwandten unter. Dreßler: "Zu Hause kümmern sich jetzt die Nachbarn liebevoll um ihn."