Der Täter hinterließ keine Einbruchspuren. Die Museumsdirektorin bittet die Bevölkerung um Mithilfe und setzt eine Belohnung aus.

Hamburg. Tief im Bauch des Nachbaus einer alten Kogge, hinter Holzfässern ist die Vitrine, der in diesen Tagen große Aufmerksamkeit gilt. Es ist die Vitrine, in der seit dem 9. Januar eine große Lücke klafft. Ein halber Schädel liegt auf einem Holzstück, nicht weit entfernt der rekonstruierte Seeräuberkopf, doch dazwischen der Platz ist leer. Hier lag bisher der Schädel, der dem legendären Piraten Klaus Störtebeker zugerechnet wird. Jetzt ist er weg und die Verantwortlichen des Hamburgmuseums in Aufregung. "Dieser Schädel ist eine der Hauptattraktionen unseres Hauses", sagte Museumsdirektorin Lisa Kosok gestern auf einer Pressekonferenz. Sie bat die Bevölkerung um Mithilfe. "Wir möchten, dass uns der Schädel zurückgebracht wird. Für die Widerbeschaffung haben wir deshalb auch eine Belohnung ausgesetzt von bis zu mehreren Tausend Euro."

Dann versucht Kosok zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass ein solch wichtiges Ausstellungsstück einfach so aus der Vitrine entwendet wurde. Und das, ohne Einbruchspuren zu hinterlassen. Das Objekt sei immer gesichert gewesen. Details wollte die Direktorin über das Sicherheitskonzept ihres Museums allerdings nicht verraten. Nur so viel: Natürlich gebe es Aufsichtspersonal, und Teile des Hauses seien auch videoüberwacht. Aber ein Museum mit Tausenden Objekten auf 7500 Quadratmetern Ausstellungsfläche lasse sich einfach nicht lückenlos überwachen.

"Wir wollen einerseits offen für die Besucher sein und sie möglichst nah an die Ausstellungsstücke heranlassen, andererseits müssen wir alles möglichst gut sichern." Das sei ein Spagat, den jedes Museum leisten müsse. Dabei habe es mehr als zweieinhalb Jahrzehnte in dem Haus am Holstenwall keinen Diebstahl gegeben. Zuletzt wurde 1982 eine etwa 30 Zentimeter hohe Marienstatue aus Silber gestohlen. Sie kehrte übrigens bis heute nicht zurück.

Über den Täterkreis kann nur spekuliert werden. "Vielleicht war es ein böser Scherz, vielleicht Mitglieder einer bestimmten Szene, vielleicht ein Sammler oder vielleicht wurde der Täter sogar durch den aktuellen Störtebeker-Film inspiriert", so Kosok. Der Diebstahl des Schädels wurde am 9. Januar von einer Museumspädagogin entdeckt, die das sofort meldete. An diesem Sonnabend befanden sich die meisten Wissenschaftler nicht im Haus. Ralf Wiechmann, Abteilungsleiter für das Mittelalter im Museum für Hamburgische Geschichte, glaubte zunächst an eine Verwechslung. "Wir hatten eine Anfrage des Neandertal-Museums in Mettmann, das für seine Sonderausstellung 'Galgen, Rad und Scheiterhaufen - Einblicke in Orte des Grauens' das Replikat des Schädels ausleihen wollte. Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass die Sammlungsverwaltung versehentlich das Original aus der Ausstellung genommen habe", sagte Wiechmann dem Abendblatt.

Tatsache ist, dass das Museum das Wochenende erst einmal verstreichen ließ, bis die Polizei eingeschaltet wurde. "Wir haben zwei Tage später den Diebstahl gemeldet", sagt die Museumschefin. Die Polizei widerspricht. Deren Sprecher Holger Vehren: "Wir haben am 13. Januar eine Strafanzeige des Museums aufgenommen." Also erst am Mittwoch. Fakt ist: Durch die Zeitverzögerung konnten Kriminalsten den Tatort im Museum erst Tage nach dem Diebstahl untersuchen. Mehr wolle Vehren allerdings auch nicht zu den laufenden Ermittlungen sagen. Alle Hinweise zu diesem Diebstahl nehme das Landeskriminalamt unter Telefon 428 65 67 89 entgegen.

Der ehemalige Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte, Jörgen Bracker, zeigte sich erstaunt über den Diebstahl: "Um den schwer zugänglichen Schädel zu stehle, braucht man Zeit, eine Menge kriminelle Energie und kriminelle Intelligenz", sagte er. Bracker ist sich aber sicher, "ein solcher Gegenstand wird nicht einfach geklaut, schließlich hat er keinen richtigen Marktwert."

Zudem sei nach wie vor nicht geklärt, ob das der Schädel von Störtebeker sei. Deshalb halte er es für wahrscheinlich, dass es sich um einen Auftragsdiebstahl handele. Verkaufen wolle ihn der Dieb oder dessen Auftraggeber wohl eher nicht. Bracker sagt aber auch: "Glücklicherweise wurde der Schädel bereits sorgsam untersucht und dokumentiert."

Seit Jahren wird der gestohlene Schädel Störtebeker zugerechnet, doch bisher konnten diese Vermutungen nie zweifelsfrei bewiesen werden. 1878 wurde er bei Erdarbeiten gefunden, aber erst 1999 genauer bestimmt. Demnach soll der Schädel aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen. Doch einen wirklichen Beweis, ob es sich um Störtebeker handele, gibt es nicht. Auch eine DNA-Analyse, die später vorgenommen wurde, konnte keine Klarheit bringen.

Diese Tatsache hat der Berühmtheit dieses Schädels allerdings bisher keinen Abbruch getan. Was auch die ersten Reaktionen aus der Stadt zeigen. So bot das Hamburg Dungeon seine Hilfe an: "Wir stellen gern den Störtebeker-Totenschädel aus unserer Attraktion zur Verfügung, bis der echte wieder aufgetaucht ist", so Ulla Möll, General Manager des Hamburg Dungeon. In der Entertainment-Show in der Speicherstadt wird die Geschichte von Störtebekers auf gruselige Weise zelebriert. Vielleicht ist der Mythos des Piraten dem Störtebeker-Schädel des Museums nun zum Verhängnis geworden.