Ein polizeibekannter Schläger soll sich an einem Mädchen vergangen haben. Fehlende Beweise könnten zum Freispruch führen.

Hamburg. Die Entscheidung eines Richters sorgt für Entsetzen bei der Polizei. Der Jurist verweigerte die Blutprobenentnahme bei einem mutmaßlichen Vergewaltiger. Der polizeibekannte Mann wurde nach der Tat betrunken festgenommen. Der Antrag, den Promillewert seines Blutes festzustellen, beschied der Eilrichter abschlägig. Damit fehlt womöglich ein wichtiger Beweis für das Gerichtsverfahren. "Im Prozess könnte ein Gutachter allein durch Zeugenaussagen darauf kommen, dass der Mann derart betrunken war, dass er nicht schuldfähig war", sagt ein Ermittler. "Im Extremfall wird er dann freigesprochen." An diesem Fall könnte erneut ein Streit zwischen Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) und Justizsenator Till Steffen (GAL) entflammen, die gegensätzliche Ansichten bei der Regelung von Blutprobenentnahmen haben.

Am frühen Donnerstagmorgen riefen Nachbarn eines Mehrfamilienhauses am Mehrenskamp (Billstedt) die Polizei. Sie hatten Schreie eines Mädchens gehört, das offenbar missbraucht wurde. Ali K. (22), ein polizeibekannter Schläger, der in der Vergangenheit bereits häufiger durch Gewalttaten gegen Frauen aufgefallen war, wurde festgenommen.

Nach bisherigen Ermittlungen hatte sich der 22-Jährige mit dem 17 Jahre alten Mädchen in der Billstedter Wohnung seines Bekannten (20) getroffen. Bei dem Treffen der drei soll reichlich Alkohol geflossen sein. Irgendwann habe Ali K. die 17-Jährige bedrängt. Währenddessen verließ der 20-jährige Bekannte das Zimmer und ging nach nebenan. Da habe Ali K. das Mädchen auf ein Bett gezerrt und es vergewaltigt. Im Polizeibericht heißt es: "Die Gegenwehr der 17-Jährigen brach er durch heftige Schläge ins Gesicht." Der Wohnungsinhaber hörte die Schreie, wurde aber von Ali K. aus dem Zimmer geworfen. Erst als er ein zweites Mal den Raum betrat, gelang es der 17-Jährigen, sich zu befreien und zu flüchten. Die durch Nachbarn alarmierte Polizei nahm Ali K. daraufhin gegen 5.30 Uhr fest.

Was dann geschah, dokumentiert einen möglicherweise folgenschweren Ermittlungsverlauf durch die strikte Einhaltung von Paragrafen. Um 9.30 Uhr informierten die Ermittler den zuständigen Staatsanwalt über die Vergewaltigung und beantragten eine Blutprobenentnahme beim Festgenommenen. Der Staatsanwalt ließ die Beamten wissen, dass er lediglich einen "schlanken Vermerk" benötige. Damit war eine kurze Schilderung des Sachverhalts gemeint, um das Verfahren zu beschleunigen. Um 11.04 kam das Fax bei der Staatsanwaltschaft an. Diese beantragte bei einem Eilrichter, die Blutprobe zu entnehmen. Als die Polizisten um 15 Uhr immer noch keine Rückmeldung hatten, riefen sie den Richter an. Der teilte ihnen jedoch mit, dass er keine Akteneinsicht und damit keine objektiven Beweismittel habe und deshalb dem Antrag nicht folgen werde. "Das ist total gegen die gängige Praxis", sagte ein Ermittler dem Abendblatt. Die Aussage der 17-Jährigen lag nicht vor, weil sie im Krankenhaus behandelt wurde. Weitere Spuren und Zeugenaussagen konnten die Ermittler nicht derart schnell vorbringen.

Juristisch hat der Richter nicht falsch gehandelt. Doch sein Handeln steht exemplarisch für das Dilemma, in dem der Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stecken. Die Karlsruher Richter hatten wie berichtet entschieden, dass bei Blutprobenentnahmen strenger als bisher auf den sogenannten Richterbeschluss zu achten sei. Das bedeutet, dass nur ein Richter entscheiden darf, ob Blut entnommen werden kann. Bislang hatten Polizisten dies selbst entschieden. Als Rechtsgrundlage diente die sogenannte Gefahr im Verzug.

Da für Ali K., der 2008 bereits eine 22-Jährige brutal auf die Gleise des S-Bahnhofs Reeperbahn geschubst hatte (wir berichteten), kein Alkoholwert gemessen wurde, hat er nun gute Chancen vor Gericht. Sein Anwalt könnte kritisieren, dass keine entlastenden Beweise, etwa ein hoher Promillewert, gesichert wurden. Ein Gutachter könnte ihm aufgrund von Zeugenaussagen, dass er flaschenweise Schnaps getrunken habe, bescheinigen, er sei schuldunfähig gewesen. Die Konsequenz wäre Freispruch.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat bei Innensenator Christoph Ahlhaus für Verstimmung gesorgt. Sie hat unter anderem zur Folge, dass die Polizei rund 40 Prozent weniger Alkoholkontrollen im Straßenverkehr vornimmt. "Wir brauchen eine Gesetzesänderung. Die Praxis vergangener Jahrzehnte hat sich bewährt. Deshalb sollte es wieder möglich sein, dass Polizisten Blutproben anordnen können", sagte er dem Abendblatt. Damit steht er konträr zu der Auffassung von Justizsenator Till Steffen. Der bleibt bei seinem Standpunkt, dass es zu früh für eine Gesetzesänderung sei.