Die Hamburger Unternehmerin Frida Kappich tauschte für eine ZDF-Dokumentation für neun Tage ihren Wohlstand gegen Obdachlosigkeit.

St. Pauli. Sie war ganz unten. Hat nachts auf einer Parkbank am Ufer der Spree geschlafen, bei Minusgraden und Schneeregen. Hat tagsüber Toiletten geschrubbt und Kisten geschleppt, für eine Tasse Kaffee und ein belegtes Brötchen. Ist aus der Notunterkunft abgehauen, weil sie den Gestank und die "Zerschundenen und Zugedröhnten" dort nicht ertragen konnte.

Frida Kappich war obdachlos. Neun Tage lang. Fürs Fernsehen. Für die dreiteilige Dokumentation "Reich und obdachlos", die das ZDF in der kommenden Woche ausstrahlt.

Sie ist weit oben. Erfolgreiche Unternehmerin, kreative Macherin, Mitinhaberin der Kunstwerkstatt und Galerie Kappich & Piel an der Lagerstraße. "Manchmal vergisst man, was man hat", sagt die 50-Jährige, "bis es dann plötzlich weg ist." Wie ihre mit Nieten verzierten, schwarzen Lederstiefel. Wie der auffällige Silberschmuck, den sie um den Hals trägt, und das weiße iPhone, das vor ihr auf dem Tresen liegt. Wie ihr Markenzeichen, der Mantel im Leo-Look. Das alles, und natürlich Geld und Kreditkarten, gab Friederike Kappich ab, kaum dass sie an jenem kalten Tag im März dieses Jahres in Berlin aus dem ICE gestiegen war.

"Was tue ich hier eigentlich?", sei ihr schon während der anderthalbstündigen Bahnfahrt von der Elbe an die Spree durch den Kopf geschossen, sagt die Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Ob sich das alles lohne, für ein TV-Experiment, für das sie nichts bekomme, aber viel gebe. Zeit nämlich. Und die unbezahlbare Bereitschaft, das Leben, wie sie es kennt, für neun Tage hinter sich zu lassen. "Es war genau diese Herausforderung, die mich gereizt hat. Und die Chance, ein Tabu wie Obdachlosigkeit wieder zum öffentlichen Thema zu machen", sagt Friederike Kappich, die schon als Kind in Garbsen bei Hannover lieber Frida genannt wurde.

+++ Obdachloser auf seiner Tour d'appartement +++

+++ Zimmer frei für Obdachlose in Ottensen +++

In einer verfallenen Fabrik wurde für die Dreharbeiten aus der perfekt manikürten und frisierten Unternehmerin Friederike Kappich die Frida von der Straße. Zerzaust, zerlumpt, zurechtgemacht in Altkleidern. An der Friedrichstraße setzte das Filmteam sie aus. Nur ein paar Schritte und doch Welten entfernt von dem glitzernden Konsumtempel der Galeries Lafayette. "Früher habe ich da eingekauft, plötzlich stand ich vor der Tür. Es war beschämend", sagt Frida Kappich, die für die ZDF-Dokumentation als einzige Frau den Rollentausch wagte. Sie habe von der ersten Minute an nur noch das werden wollen, was sie für die vorbeieilenden Passanten ohnehin war: unsichtbar.

Drei Tage schlugen sich Frida Kappich und ihre vier Mitstreiter - ein Münchner Arzt, ein Graf aus Bamberg, ein Brillenmacher aus Berlin und ein Millionär aus der Schweiz - zunächst in jeweils einer anderen Ecke der Hauptstadt auf eigene Faust durch. So wie es nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände derzeit 11 000 Obdachlose in der Hauptstadt und etwa 1000 Menschen in Hamburg tun. "Wie kommt man an die ersten 50 Cent? Wo darf ich mal die Toilette benutzen? Es war ein Horror", sagt die gelernte Tischlerin, die unter anderem ausgefallene Rahmen fertigt.

Betteln sei für sie nicht infrage gekommen. Lieber habe sie anpacken, Hilfsarbeiten im Verborgenen erledigen wollen. "Ich durfte die Toilette in einem kleinen Café in der Nähe des Hauptbahnhofs putzen und in einem Blumenladen Kisten schleppen." Ein bisschen Kleingeld drückte ihr die Blumenhändlerin in die Hand. Davon kaufte sich Frida Kappich kein Essen ("An den Hunger gewöhnt man sich"), sondern eine Zahnbürste. "Dieses Gefühl von Sauberkeit, von einem guten Geschmack im Mund, das wollte ich nicht missen", sagt die Frau mit den blonden Locken. Doch am dritten Tag des Experiments habe sie einen Zusammenbruch erlitten, sagt Frida Kappich, die einst für das Niedersächsische Landesmuseum Hannover als Restauratorin gearbeitet hat. "Da wollte ich alles hinschmeißen. Ich stand vor einem Restaurant und habe durch die Fensterscheibe in mein altes Leben hineingeschaut. Ich dachte: So ein Mist, Frida. Du gehörst da rein, und jetzt stehst du hier draußen in der Kälte."

Doch sie machte weiter. Am nächsten Tag bekam sie Viola aus dem Wedding an ihre Seite. Etwa 40 Jahre alt, früher kriminell, später im Knast, heute auf der Straße. "Sie sollte mir ihren Kiez zeigen. Aber sie reagierte so aggressiv auf mich, dass wir nicht zusammen losgehen konnten." Frida Kappich zog in ein Wohnprojekt - zu vier Männern, zwei davon drogensüchtig. "Die beiden waren noch ziemlich jung. Gerade als Mutter tat es mir in der Seele weh, deren Rückfälle zu beobachten", sagt Frida Kappich, die stets vom ZDF begleitet und gefilmt wurde. Irgendwann habe sie gar nicht mehr gemerkt, dass die Kamera lief. Aber der ein oder andere Restaurantbesitzer, den sie fragte, ob sie mal die Toilette benutzen dürfe, der habe das schon bemerkt. "Wahrscheinlich war mancher freundlicher, als er wusste, dass wir das alles fürs Fernsehen machen", sagt Frida Kappich.

Sie habe sich nur auf das Projekt eingelassen, weil es den Machern um das Thema gehe - und nicht um ein Dschungelcamp auf der Straße. "Das Projekt klingt ein bisschen verrückt. Aber meine Kinder meinten, dass passe dann ganz gut zu mir", sagt sie lachend.

In den letzten Tagen sollte Frida Kappich, so sah es das Drehbuch vor, soziale Einrichtungen in Berlin aufsuchen. "In dem ersten Obdachlosenheim stank es wie die Pest. Von der kostenlosen Suppe konnte ich keinen Löffel nehmen, weil ich mich so vor der Umgebung geekelt habe", sagt die Hamburgerin. Keine Minute habe sie es da ausgehalten. "Ich wollte nur noch zurück auf meine Parkbank in der Nähe der Museumsinsel." Insofern könne sie die Obdachlosen, die in Hamburg lieber unter der Kersten-Miles-Brücke als in einem Wohnheim schlafen wollen, jetzt verstehen. Überhaupt habe sie in den neun Tagen "einen anderen beziehungsweise überhaupt einen Blick" auf die Menschen ohne ein Dach über dem Kopf bekommen. "Als Obdachloser will dich niemand sehen. Die Menschen gucken an dir vorbei. Das hat mich fertiggemacht", sagt sie. Ob das TV-Experiment sie verändert habe? "Ich bin jetzt nicht plötzlich Mutter Teresa", sagt Frida Kappich, "aber wenn ich hier in der Schanze Obdachlose sehe, dann rede ich mit ihnen." Noch einmal würde sie an dem Projekt nicht teilnehmen. Zu froh sei sie, "zurück im Leben" zu sein. "Aber ich bereue nichts, denn ich habe ein anderes Gefühl bekommen." Für oben und vor allem für unten.

"Reich und obdachlos", ZDF Freitag, 6.1. 2012, 17.05 Uhr 7. 1. und 8.1., jeweils 17.45 Uhr