Günter Berg führt das Hamburger Traditionshaus Hoffmann und Campe. Auf der Frankfurter Buchmesse zeigt er neue Werke von Biermann und Lenz.

Harvestehude. Stolz steht es auf jedem Buchrücken, das Jahr der Gründung von Hoffmann und Campe: "1781", im Logo über dem offenen Stadttor in der Burg, das an das Altonaer Wappen erinnert. "230 Jahre, das war dem Verlag manchmal gar nicht so bewusst", sagt Günter Berg, 52, der als Geschäftsführer seit 2004 Nachfolger des legendären Heine-Verlegers Julius Campe (1792-1867) ist. Dieser Campe hatte in den Freiheitskriegen gegen Napoleon gekämpft; sein Eintreten für die Dichter des "Jungen Deutschland" - Heine, Börne, Hebbel - hat das Unternehmen geprägt und die Zensur herausgefordert. "Auch Matthias Claudius gehört zu uns, das 'Lied der Deutschen' von Hoffmann von Fallersleben wurde hier erstmals veröffentlicht."

In seinem sachlich und vor allem mit Büchern eingerichteten Büro im Neubau am Harvestehuder Weg skizziert Berg, ein lebhafter und energischer Erzähler, das liberale Profil des Verlags: "Wir haben nicht ein Programm ohne Heinrich Heine oder Siegfried Lenz, der uns seit 60 Jahren alle seine Werke anvertraut. Wir haben auch Wolf Biermann, der als Hamburger zu uns nach Hause gekommen ist." Das Hanseatische, weiß er, ist die Seele von "HoCa". HoCa, das ist die liebevoll-freundschaftliche Abkürzung von Bücherwürmern für den Verlag, der länger als 60 Jahre zur Ganske-Verlagsgruppe gehört.

Günter Berg pflegt die liberale Tradition des Hauses, weiß aber auch, dass es die Notwendigkeit gibt, immer wieder "sehr erfolgreiche Bücher zu machen". Das sind zum Beispiel US-Thriller und Krimis. "Am Ende des Tages aber", eine Formulierung, die er häufig verwendet, "kommt unser Profil aus der deutschen Gegenwartsliteratur, aus den Autoren." Zur Frankfurter Buchmesse, die heute eröffnet wird, zieht er mit neuen Büchern von Wolf Biermann ("Fliegen mit fremden Federn"), von Peter Berling ("Hazard & Lieblos"), mit Siegfried Lenz ("Die Maske") oder mit dem letzten Roman des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago ("Kain").

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Bergs Weg zum Verlagsleiter sieht erst im Nachhinein stringent aus. Der gebürtige Hesse ("Vater Elektriker bei Siemens, Mutter Hausfrau, was man damals noch gefahrlos sein konnte") studierte in Marburg ab 1979 Germanistik, Politik und Philosophie. "In diesem kleinen Marburg konnte man den ganzen Tag reden und denken. Man hatte sogar den Eindruck, man ist damit ganz vorne dran." Man lernte von Karl Marx, wie die Wertschöpfung funktioniert, und versuchte sich an philosophischen Nüssen: "Was spiegelt der Spiegel, wenn es dunkel ist?"

Eine Anzeige in der "Zeit" zog ihn nach Karlsruhe, wo er für die 30-bändige Brecht-Ausgabe von Suhrkamp und Aufbau-Verlag sechs Jahre lang die 2315 Gedichte von Brecht editierte. In dieser Zeit lernte er aber auch, wie Computer funktionieren. Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld holte Berg 1989 nach Frankfurt; da schnupperte er zum ersten Mal Verlagsluft. Und als Brecht auf gutem Weg war, fragte ihn Unseld nach den neuen Medien. Digitalisierung, E-Book, CD-ROM - am Ende des Jahrtausends war die Buchbranche in heller Aufregung. Berg wurde eine Art Technologie-Scout, probierte neue Geräte, durchdachte elektronische Vertriebschancen - "mit großer ökonomischer Skepsis". Bei Suhrkamp entdeckte Berg seine Lust am Ökonomischen ("muss in den Genen liegen"), er lernte, wie man ein Verlagsprogramm ausbalanciert. "Verleger werden kann jeder, es kommt darauf an, Verleger zu bleiben!", diesen Unseld-Satz hat er nie vergessen. Der Verleger machte ihn zum Geschäftsführer von Suhrkamp und Insel.

2004 holte ihn Thomas Ganske zu HoCa nach Hamburg. Hier verantwortet er pro Jahr etwa 80 Bücher, von denen vier oder fünf die Lokomotiven sind, die ein Programm ziehen. "Und für die anderen reißen sich alle Mitarbeiter ein Bein aus, um es machen zu können." Wenn der Verlag nur von Ökonomen bestimmt würde, sagt er, könnte er die Hälfte der Bücher gar nicht herausbringen - für die richtige Mischung braucht man mindestens so viel Fingerspitzengefühl wie für sein Lieblings-Computerspiel "Flight Control", wo man eine wachsende Zahl von Flugzeugen vorausschauend zur sicheren Landung leitet. Bei um die 200 steht da sein Rekord. Berg liest viel, zuerst die eigenen Bücher, und zwar auf Papier. "Wenn ein neues Buch aus der Druckerei hier ankommt, möchte man immer erst mal die Tür zumachen und eine Stunde drin schmökern."

Vieles andere bleibt elektronisch, auf Lesegeräten wie dem Kindle oder dem iPad - "da muss man keine gewaltigen Papiermengen ausdrucken". Wenn er liest, dann aufrecht sitzend am Tisch, denn irgendwie haben Bücher bei ihm immer mit Arbeit zu tun. Die Nase muss Trends schnuppern beim Sachbuch, immer auf der Jagd nach prominenten Autoren. Peer Steinbrück ("Unterm Strich") hat er bekommen, Steinbrück mit Helmut Schmidt ("Zug um Zug") erscheint in diesen Tagen. Hat er Projekte, von denen er träumt? "Wir leben unsere Träume alle halbe Jahre aus, und dann gibt es neue."

Seine Frau Susanne lernte er bei einem Verlagsfest kennen, sie schrieb Management-Bücher. Dass zu Hause in Harvestehude viele Bücher stehen, hat die fünf Kinder zu Leseratten gemacht. "Kinder müssen ja erst mal drauf kommen, dass es so was wie Lesen gibt, sie brauchen Vorbilder und Anleitung. Bei uns nutzen sie alle Medien, Bücher, Notebooks, iPads. Leute, die Bücher schreiben, sitzen oft bei uns am Tisch."

Kein Wunder, das Günter Berg an das "P-Buch" (P wie Print) und dessen Zukunft glaubt. "So lange wir den festen Ladenpreis für Bücher haben, die reduzierte Mehrwertsteuer und den großartigen und vielfältigen stationären Sortimentsbuchhandel mit 3500 anständigen Buchhändlern, so lange haben wir - anders als in Amerika - kein Beschaffungsproblem. Und so lange bleibt das gedruckte Buch das Basismedium unserer Kultur."