Band um Sänger Bill Kaulitz gibt eines von zwei Deutschland-Konzerten ihrer Europa-Tour. 7000 Fans feiern in der Color-Line-Arena.

Hamburg. Wer in die erste Reihe will, muss früh anstehen. Tokio Hotel ist in der Stadt, die Teenager-Sensation. In langen Reihen rotten sich die Fans schon einige Zeit vor der Türöffnung in der Color-Line-Arena zusammen, und als es dann losgeht, so gegen sieben, rennt alles, eilt, hetzt. In die Multifunktionshalle, in der später die anscheinend dollste Musikgruppe des Planeten auftreten wird. Junge Menschen haben den Drang, ihren Idolen nahe zu sein.

Die Kaulitz-Brüder Bill und Tom, Georg Listing und Gustav Schäfer sind Anfang 20 mittlerweile, ihre Fans in der Mehrzahl noch schulpflichtig. Kein Wunder, dass sich auch Eltern in dem Amüsiertempel herumdrücken. Man hat schließlich ein Auge auf die Jugend. Sorgen machen muss man sich aber nicht, sieht man mal von Hörschädigungen ab, hervorgerufen von lauter Rockmusik und schrillem Kreischen, Letzteres ein Auswuchs jugendlicher Euphorie und dazu angetan, seinen Urhebern dereinst hochnotpeinlich zu sein. Beweise für von einer Rockband namens Tokio Hotel hervorgerufenes Ausflippen wird es zu Tausenden geben. Posieren vor Handykameras, gerne auch mal mit Bill-Kaulitz-Miene, Schminke, Perücke - das scheint so ein Inititationsritus für den Abend zu sein. Wie der abläuft, wissen die meisten der Internet-affinen Kids schon. Zwei Tage vorher waren die deutschen Pop-Helden in Oberhausen, die Setlist war natürlich online nachzulesen. "Das erste Lied wird 'Komm' sein", schreit eine vielleicht 14-Jährige, sie hyperventiliert fast. "Geil, ich glaub, sie fangen so um neun an", ruft ihre Freundin, und dann reden sie sehr schnell über Bills Tour-Frisur, die sie aus der "Bravo" kennen, und die Fans, die nachts vor der Arena campiert haben. "Voll krass."

Voll krass, mindestens aber interessant ist die Bühnenshow Tokio Hotels. Das muss sie aber auch sein, schließlich ist das Konzert ein Höhepunkt in den noch jungen Biografien, manch einer leidet unter Schnappatmung, als die Lichter ausgehen. Andere Fans sind erst fünf Jahre alt, sitzen aber mit flauschigen Kopfhörern ganz sicher auf Papas Schoß - family business. Was sie zu sehen bekommen, als die Band in einem Orkan aus Schreien und zu einem dröhnenden Intro die Bühne betritt, ist eine Raumkapsel in einer Science-Fiction-Welt, in der Sänger Bill Kaulitz den Außerirdischen spielt. Die Haare schwarz und zurückgekämmt, ist Kaulitz in ein schwarzes Kostüm gewandet, das sich im Auge des Betrachters entweder selten dämlich ausnimmt oder geheimnisvoll und aufregend. Mit den Songs - ihr neues Album "Humanoid" spielen sie fast vollständig - wechseln die Accessoires: Mal sind es Stacheln, dann Leuchtröhren, die an Kaulitz kleben. Gesanglich ist er auf der Höhe, singt Englisch, meist aber auf Deutsch.

Die Mitmusiker sehen wie stets weniger extravagant aus. "Wie geht's euch in meiner Lieblingsstadt?", ruft der tänzelnde Kaulitz nach einer Viertelstunde den 7000 Besuchern in Hamburg zu. Gut geht's: Tokio Hotel spielt ihre Hymnen, deren Texte die meisten in der nicht ausverkauften Arena mitsingen. Es ist ein Chor, der fast nur aus Sopranstimmen besteht, möchte man meinen. "Durch den Monsum" kommt zum Schluss, und danach sind alle selig.