Lena startet am Sonnabend beim Eurovision Song Contest. ARD-Kommentator Peter Urban über ihre Chancen beim Wettbewerb in Oslo.

Hamburg. Seine Stimme aus dem Off gehört zum Grand Prix wie Länderpunkte und Eurovisionshymne. Als vor einem Jahr 20,56 Millionen Zuschauer auf Peter Urban verzichten mussten, zappten viele schnell wieder weg. Jetzt ist der 62-Jährige zurück: Der Hamburger kommentiert heute das erste Halbfinale des Eurovision Song Contests in Oslo (21 Uhr, live im NDR Fernsehen) und am Sonnabend im Ersten das große Finale, für das Deutschlands Lena mit ihrem Titel "Satellite" schon gesetzt ist.

Wettbüros und eine auf Suchanfragen basierende Google-Rangliste weisen sie als Favoritin aus. Das sieht Urban mit gemischten Gefühlen. "Ein Glücksgriff!", sagt der NDR-Redakteur im Abendblatt-Gespräch einerseits über die 19-Jährige. "Eine aufsehenerregende Persönlichkeit. Sie sorgt bei unseren Nachbarländern schon für viel Aufmerksamkeit." Lena, die sich gegen 4500 Mitbewerber durchsetzte, stehe für ein modernes Deutschland, das viele Länder erst durch sie wahrnähmen.

Andererseits mahnt Urban zur Vorsicht: "Ich hoffe, dass Lena ihre Qualitäten auch in Oslo auf der Bühne zeigen kann." Schließlich stehe sie mit weitaus professionelleren Stimmen im Wettbewerb. Urban: "Am Anfang hatte ich noch ein paar Zweifel, jetzt glaube ich, sie kann es schaffen." Seine Prognose: "Platz sechs bis acht ist drin!" Lena sei ein "Hingucker", ihr Song eine Ausnahme unter den vielen Balladen in Oslo. Der Musikkenner über "Satellite": "Ein bisschen New Wave, ein bisschen britisch angehaucht, eben frischer Pop. Das haben die übrigen 38 Teilnehmer nicht zu bieten." Allein, dass Lena nicht wie Mitfavoritin Safura, 17, aus Aserbaidschan auf Werbetour im Ausland war, könne sich als Nachteil erweisen - aber die Hannoveranerin musste ja noch ihr Abitur schreiben.

Noch sieht Dr. Peter Urban, der Englisch und Geschichte auf Lehramt studierte und über Texte englischer Popsongs promovierte, keinen klaren Sieger. Drei Songs haben es ihm angetan: "Irland schickt seine Siegerin von 1993 - Niamh Kavanagh - ins Rennen, mit einer Art 'Titanic'-Ballade, Dänemark setzt auf guten Mainstream-Pop-Export aus Schweden und Belgien auf einen Folkrocker mit Gitarre, was ich sehr schön finde und mich an die Olsen Brothers (Sieger von 2000) erinnert."

"Ich habe mit meinen Tipps selten richtiggelegen. Nur vor einem Jahr war vorhersehbar, dass Norwegen gewinnt." Da lag Peter Urban allerdings im Krankenhaus. Der Experte, der seit 1997 jedes Grand-Prix-Finale in der ARD kommentierte, musste passen. Eine dringende Hüftoperation ließ sich nicht mehr aufschieben. "Ich trug bereits ein neues Hüftgelenk, doch es hatte sich gelockert und entzündet. Damit durfte ich leider nicht nach Moskau reisen." Umso mehr freut sich Urban auf seinen Einsatz in Oslo, der einem Marathon nahekommt. Statt Sightseeing beobachtet er von morgens bis abends Proben und Pressekonferenzen, formuliert für jeden Beitrag eine exakt 30 Sekunden lange Ansage - dazwischen kommentiert er beide Halbfinalshows (die zweite am Donnerstag um 21 Uhr auf Einsfestival, Wh. 0.55 Uhr im NDR) sowie das Finale.

Sein Moderations-Spagat geht fast immer auf: distanziert, souverän und doch so nah dran und amüsiert, dass die fadeste Ballade plötzlich interessant erscheint. Seine verbalen Florettstiche zwischen den Zeilen könnten noch feiner ausfallen als gewohnt: "Man kann kaum noch ironische Bemerkungen unterbringen, weil die gesangliche Qualität immer besser wird." Bloß nicht zu ernst sein, hat er sich vorgenommen. Es müsse ja nicht so enden wie 1999, als er den Auftritt einer fülligen Malteserin als "runden Beitrag" titulierte und prompt eine Beschwerde des Verbandes der Dickleibigen in Berlin erhielt. "Solche Witze auf Kosten anderer würde ich heute nicht mehr machen."

Sein Arbeitsplatz bei der größten Musikshow der Welt ist eine winzige Sprecherkabine, eng, heiß und ohne Klimaanlage. "Hinterher ist man nass geschwitzt." Den Faden habe er nur einmal verloren, als die Siegerin von 1998 - Dana International - ein Jahr später in Jerusalem den Preis an ihre Nachfolgerin überreichte und auf zu hohen Pumps stolpernd zu Boden ging. "Da habe ich nur noch erschrocken gerufen: 'O Gott! Was macht sie denn da?'"

Ans Aufhören denke Urban, der seit 1974 beim NDR ist und den "Nachtclub" und die "Nightlounge" auf NDR Info leitet, nicht. Stolz ist der Familienvater, dass auch seine Kinder Jonah, 6, und Chiara, 11 ("ein riesiger Fan von Rihanna"), den Song Contest gucken. Chiaras Schule - das Wilhelm-Gymnasium am Klosterstieg - feiert am Sonnabend eine riesige Grand-Prix-Party. Mit Punkten, Hymne und Papas Stimme aus dem Off.