Das Kabinett gehört zu den ältesten Institutionen auf dem Kiez. Der Leiter des Panoptikums spricht über Tradition und Lieblingsfiguren.

Hamburg. Das Panoptikum wird seit über 130 Jahren als Familienunternehmen geführt und gehört zu den ältesten Institutionen auf dem Kiez. Höchste Zeit also, sich mit Dr. Hayo Faerber, 65, zu treffen, dem Urenkel des Gründers und aktuellen Herrscher über die Wachsfiguren.

Hamburger Abendblatt: Wie kam das Panoptikum eigentlich an die Elbe?
Dr. Hayo Faerber: Mein Urgroßvater hat es 1879 gegründet. In der damaligen Zeit gab es in allen großen Städten Wachsfigurenkabinette. Mein Vorfahre hatte sich Hamburg ausgeguckt, weil es hier noch keines gab. Die Bedeutung solcher Einrichtungen war damals sehr groß. Es gab kein Fernsehen und Film sowie nur wenige Fotografien, um sich ein Bild von Personen der Zeitgeschichte zu machen. Diese Lücke haben Wachsfigurenkabinette gefüllt. Damit war aber auch ihr Untergang vorgezeichnet. Denn als in den 20er-Jahren der Film aufkam, gingen die Leute lieber ins Kino. In der Folge mussten fast alle Wachsfigurenkabinette ihre Pforten schließen. Wir sind das einzige in Deutschland, das aus dieser Zeit übrig geblieben ist.

Mit wie vielen Figuren hat es begonnen?
Faerber: Das kann ich nicht mehr genau sagen. Ich weiß nur, dass das Panoptikum meines Urgroßvaters so erfolgreich war, dass nach zehn Jahren schon größere Räume bezogen werden mussten - zehn Hausnummern weiter am Spielbudenplatz, an der Stelle, an der sich das Panoptikum noch heute befindet. In den Zwanzigerjahren waren es dann ungefähr 300 Figuren ...

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... von denen viele dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen.
Faerber: Ja, 1943 sind fast alle Figuren zerstört worden. Einige wenige, die man in den Keller des Michel ausgelagert hatte, konnten gerettet werden. Aber das Haus hier war komplett zerstört. Was erhalten geblieben ist, sind die Gipsformen, die nicht brennbar sind. So hatte man 1948, als man den Neuanfang startete, die Möglichkeit, Nachgüsse zu machen.

Passt Ihr Familienunternehmen in eine so schnelllebige Gegend wie St. Pauli?
Faerber: Ich glaube, wir passen hier ziemlich gut rein. Vor allem sind wir auch ein bisschen stolz darauf, dass wir neben dem St.-Pauli-Theater eigentlich das einzige Unternehmen aus der damaligen Zeit sind, das noch existiert. Ende des 19. Jahrhunderts war St. Pauli noch ganz anders. Es war für die Hamburger ein Ort, an dem man sich am Wochenende mit der ganzen Familie amüsierte. Hier, neben meinem Urgroßvater, hat zum Beispiel auch Hagenbeck mit seinem Tierpark angefangen.

Kommen wir zu den eigentlichen Protagonisten, zu den Figuren: Welche liegen Ihnen besonders am Herzen?
Faerber: Mir ist eine ganz alte Figur sehr wichtig, nämlich die Friedrichs des Großen. Sie ist ungefähr 130 Jahre alt und an ihr kann man sehr schön studieren, wie Wachsfiguren damals hergestellt wurden. Meine modernere Lieblingsfigur - und wahrscheinlich auch die der meisten Besucher - ist Helmut Schmidt. Die steht erst seit 2010 hier und hat eine ältere Figur von ihm ersetzt, die ihn in den 70er-Jahren zeigte und meiner Meinung nach nicht gerade vorteilhaft ausgefallen war. Mir war es wichtig, dass der Ehrenbürger und einer der begabtesten Politiker der Nachkriegszeit auch eine ansprechende Figur bekommt - natürlich rauchend.

Es gibt ja auch Figuren, die umstritten sind, beispielsweise die von Hitler und Goebbels.
Faerber: Diese Gruppe, die bereits 1942 modelliert wurde, durfte interessanterweise nicht im Dritten Reich ausgestellt werden. Erst nach dem Krieg, skurrilerweise 1948 unter englischer Besatzung, durften die Figuren das erste Mal gezeigt werden. Wir haben bewusst die Geschwister Scholl danebengestellt, um sie in einen passenden Zusammenhang zu setzen. Insofern ist diese Gruppe irgendwie erträglich. Ich halte es aber für sehr wichtig, dass dieser kritische Kontext vorhanden ist.

In direkter Umgebung Ihres Kabinetts müssen ältere Gebäude und Institutionen neueren weichen. Wie lange wird es das Panoptikum noch geben?
Faerber: Wir sind ziemlich unabhängig. Weil wir auf eigenem Grund in unserem eigenen Gebäude sind - uns kann keiner was! Ich würde es auch sehr schade finden als St. Paulianer, wenn so ein Urgestein verschwinden würde. Genau wie ich es traurig finden würde, wenn Harrys Hafenbasar verschwinden würde, der Mojo Club oder das Molotow. Das wäre eine Katastrophe für St. Pauli.