Hamburg. Jennifer Jasberg hatte schon geahnt, was kommen würde. „Bei der Wahrnehmung der letzten Wochen scheinen wir deutlich auseinanderzuliegen“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bürgerschaft gleich zur Eröffnung der Aktuellen Stunde am Mittwoch.
Während die einen den ITS Weltkongress in Hamburg besucht und gestaunt hätten, was im Bereich Verkehr in Zukunft alles möglich sein wird, hätten sich andere mit den „Ewiggestrigen“ darauf geeinigt, dass Veränderung und Modernisierung nicht zu ihrem Denken passen, so Jasbergs Eindruck.
Hamburg verteidigt Titel als „smarteste Stadt Deutschlands“
Tatsächlich verlief die gut 90-minütige Debatte in großen Teilen nach genau diesem Schema. Hier die Vertreter des rot-grünen Regierungslagers, die davon schwärmten, was in Hamburg schon alles ausprobiert werde und auf dem internationalen Verkehrskongress stolz präsentiert worden sei: autonom fahrende Fahrzeuge, eine komplett digital gesteuerte S-Bahn, Demand-Angebote wie Moia und Ioki oder Drohnen, die Waren und vielleicht eines Tages auch Menschen transportieren können.
Es mache sie stolz, dass Hamburg den Titel als „smarteste Stadt Deutschlands“ erneut verteidigen konnte, sagte Jasberg. SPD-Verkehrsexperte Ole Thorben Buschhüter ergänzte, dass der ITS Kongress die „Mobilität der Zukunft“ vor Augen geführt habe. Diese werde intelligent und klimafreundlich sein.
CDU-Verkehrsexperte spricht Verkehrschaos an
Auf der anderen Seite stand vor allem die CDU, die das eigentliche Thema der Debatte („Hamburgs Ampel steht auf Grün: Der smarte Weg in die Mobilität der Zukunft“) kurzerhand beiseitewischte: „Wäre es nicht hilfreich, wenn wir erst mal über die roten Ampeln und das Verkehrschaos in der Stadt sprechen?“, fragte ihr Verkehrsexperte Richard Seelmaecker. Ein paar zukunftsweisende ITS-Projekte seien ja schön und gut, so der CDU-Politiker. Aber wichtiger waren seiner Partei kleinteilige Probleme beim Anwohnerparken und beim Umbau der Sülldorfer Landstraße.
Dieser Verlauf war typisch für die Verkehrspolitik in Hamburg: hier SPD und Grüne, die viele große Pläne für eine klimafreundliche Verkehrswende schmieden und dabei mitunter die alltäglichen Sorgen der Bürger etwas aus den Augen zu verlieren drohen – dort die CDU, die fast ausschließlich diese Sorgen thematisiert, sich an der Debatte über die Zukunft der Mobilität aber kaum beteiligt. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) mokierte sich prompt: „Dafür, dass Sie uns immer ideologische Politik vorwerfen, ist das wirklich ganz schön wenig.“
800 Millionen Euro für das Umrüsten der Hamburger S-Bahn
Er wies die Kritik zurück, dass die ITS-Projekte zeitnah keinen Nutzen bringen würden. Die in Hamburg erstmals erprobte digitale S-Bahn sei zum Beispiel in der Lage, 30 Prozent mehr Fahrgäste zu transportieren – und das lasse sich schneller realisieren als jeder Streckenneubau. Er rief daher alle Parteien dazu auf, gemeinsam in Berlin dafür zu kämpfen, dass der Bund die 800 Millionen Euro aufbringt, um die Hamburger S-Bahn umzurüsten.
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Doch es gab auch Zwischentöne, für die vor allem Die Linke, in Teilen auch FDP und AfD standen. So räumte Heike Sudmann, Verkehrsexpertin der Linkspartei, ein, dass beim ITS Kongress ja „wahnsinnig viele digitale Lösungen“ präsentiert worden seien. Doch müsse man hinterfragen, welche davon wirklich nützlich seien.
So hätten sich aus ihrer Sicht zu viele Projekte mit dem Autoverkehr beschäftigt und nicht die „Grundsatzfrage“ aufgegriffen, wie der motorisierte Individualverkehr reduziert werden könne. Eine digitale S-Bahn sei ja schön, aber erst einmal bräuchten die S-Bahn-Linien in Hamburg neue Weichen, so Sudmann. Ebenso die neue Bezahl-App des HVV („Any“): Dass man sich einfach per Smartphone einchecke und dann automatisch der günstigste Fahrpreis abgebucht werde, begrüße sie. Aber sie sei zwiegespalten, weil diese App Bewegungsprofile der Kunden ermögliche: „Da müssen wir sehr vorsichtig sein“, sagte Sudmann und registrierte ein Nicken bei Grünen-Chefin Jasberg.
Heike Sudmann fordert Tempo 30 in der ganzen Stadt
Car-Sharing-Angebote wiederum könnten dazu führen, dass sich mehr Menschen in Autos bewegen, anstatt Bahn, Bus oder Rad zu fahren, so Sudmann. Um sofort etwas für die Mobilitätswende zu tun, forderte sie Tempo 30 in der ganzen Stadt, wie es in Paris umgesetzt werde, und mehr Busspuren.
AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann warf Sudmann vor, sie sei eine „Befürworterin des Kollektivismus“, auch in der Verkehrspolitik. Von den ITS-Projekten zeigte er sich begeistert: „Smart Traffic“ könne helfen, die Emissionen zu senken und die Kapazitäten zu steigern. Er habe aber die Sorge, dass der „Stausenator“ die neuen Möglichkeiten nur zur „ideologischen Gängelung“ der Bürger nutzen werde, indem zum Beispiel Fahrspuren nur für E-Autos geöffnet würden.
Anna von Treuenfels (FDP) begrüßte die neuen Technologien und stellte fest: „Der ITS Weltkongress in Hamburg war ein großer Erfolg.“ Im Gegensatz dazu fehle es der Stadt aber an intelligenter Verkehrspolitik. Sie kritisierte den Abbau von Parkplätzen, die „Preisexplosion“ an den E-Ladesäulen, Staus und Probleme im Bahnverkehr. Verkehrssenator Tjarks rate sie: „Lassen Sie sich gern vom ITS inspirieren, aber regeln Sie erst mal die Basics dieser Stadt, damit der Verkehr wieder fließen kann.“
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