Es ist das Bild der Woche aus dem Rathaus: Lächelnd blicken die beiden Bürgerschafts-Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) sowie Klaus Schomacker, Sprecher der Volksinitiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge, in die Kamera. Zu dritt halten sie in der Lobby der Bürgerschaft das 134-Seiten-Vertragswerk in Händen, das in wochenlangen, intensiven Verhandlungen entstanden ist und die künftige Unterbringung von Flüchtlingen in der Stadt regeln soll. Enthalten sind auch acht Bürgerverträge mit örtlichen Initiativen, in denen die Kapazitäten der Unterkünfte, Integrationsmaßnahmen, aber auch Verbesserungen etwa der Verkehrsinfrastruktur sehr kleinteilig festgeschrieben sind.
Das Bild symbolisiert den politischen Erfolg: Das A-Team, wie Dressel und Tjarks auch wegen der Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen genannt werden, hat einen Konsens mit der Volksinitiative gefunden, die sich explizit gegen die rot-grüne Senatspolitik richtete, große Unterkünfte für Flüchtlinge im Rahmen des sogenannten Expresswohnungsbaus zu errichten. Die Forderung nach Einrichtungen mit nicht mehr als 300 Plätzen soll nun schrittweise bis Ende 2019 umgesetzt werden.
Unmittelbar nachdem die Bürgerschaft den rot-grünen Antrag auch mit den Stimmen der Linken beschlossen hatte, zog Schomacker seinen Antrag auf Durchführung eines Volksbegehrens zurück. Der von vielen gefürchtete Volksentscheid über die Flüchtlingspolitik war vom Tisch. Aus politischen Gegnern waren Partner geworden. Es ist nicht überraschend, dass Dressel von einem Akt der „Friedensstiftung“ sprach.
Ein paar Stockwerke tiefer in der politischen Hierarchie, bei den rot-grünen Fußtruppen, kam die frohe Botschaft nicht ganz so gut an. Nach Feierstimmung war vielen nicht zumute. Generell wird in den Bezirken zwar der Wert der Einigung erkannt, auch weil ein Volksentscheid die politische Stimmung beim Thema Flüchtlinge wieder kräftig polarisiert hätte. Aber etliche Bezirkspolitiker stellen sich nun die Frage nach der eigenen Glaubwürdigkeit, weil sie die alte Senatslinie – nicht kleckern, sondern klotzen bei der Unterbringung von Flüchtlingen – bis zuletzt konsequent vor Ort vertreten haben.
Bei manchen Bezirkspolitikern von Rot-Grün kommt Frust auf
„Die Bezirksabgeordneten von SPD und Grünen haben sich für größere Flüchtlingsunterkünfte eingesetzt. Sie wurden deswegen in öffentlichen Sitzungen angegriffen und beleidigt“, sagt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Mathias Petersen, der auch Altonaer Kreisvorsitzender der SPD ist. „Dieser Einsatz war für die Katz. Da kann man verstehen, dass Frust aufkommt.“ Doch auch Petersen geht davon aus, dass sich alle rot-grünen Bezirkspolitiker dafür einsetzen werden, die getroffenen Vereinbarungen zu 100 Prozent umzusetzen.
Aber es gibt auch inhaltliche Bedenken, weil besonders die detaillierten Festlegungen der Bürgerverträge für einzelne Stadtteile, in denen es Initiativen gegen Großunterkünfte gab, den finanziellen Spielraum der Bezirke einengen können. Wenn nun zum Beispiel in der Nähe einer Flüchtlingsunterkunft eine Sporthalle gebaut werden soll, fehlt das Geld möglicherweise an anderer Stelle. „Geht nicht, geht nicht – wegen der Schuldenbremse, hieß es immer. Nun geht auf einmal ganz viel“, sagt ein Sozialdemokrat. Noch etwas kommt hinzu: Da sich die Bürgerinitiativen vor allem in besser situierten Stadtteilen gebildet haben, könnten am Ende sozial belastete Gebiete das Nachsehen haben.
Der Altonaer SPD-Bezirksfraktionschef Thomas Adrian spricht von einer „schwierigen Phase für alle Beteiligten“ in den zurückliegenden Wochen und Monaten. „Wir haben uns mit großem Engagement für die Pläne des Senats eingesetzt und dafür auch jede Menge persönliche Kritik eingesteckt.“ Aber die Bezirkspolitiker seien auch professionell genug zu erkennen, dass es gut sei, „wenn es jetzt vorwärtsgeht“. Entscheidend sei, dass es „auch bei den Akteuren in den Stadtteilen wirklich die Bereitschaft gibt, jetzt aktiv die Integration von Flüchtlingen zu betreiben“.
Ein Sozialdemokrat, der doch lieber anonym bleiben möchte, drückt seine Stimmungslage so aus: „Wir lassen uns nicht noch mal für die Politik des Senats verprügeln, um hinterher als die Deppen dazustehen.“ Deswegen gebe es jetzt erst mal „Dienst nach Vorschrift“, die Vereinbarungen würden eben Punkt für Punkt umgesetzt.
Nicht zuletzt auch wegen der schwierigen Gemengelage und vieler denkbarer Einzeleinwendungen hat Rot-Grün in der Bürgerschaft den Expressweg der Beschlussfassung gewählt: Am Montag wurden Dressel, Tjarks und Schomacker endgültig handelseinig, am Dienstag stellten sie das Vertragswerk der Öffentlichkeit vor, und am Mittwoch schon winkte die Bürgerschaft den komplexen Antrag durch. Mehr war nicht drin, denn vielen Oppositionsabgeordneten blieben gerade einmal 24 Stunden, um die 134 Seiten zu studieren. Eine eingehende Beratung, die eigentlich Standard im Landesparlament sein sollte, sieht anders aus. CDU-Fraktionschef André Trepoll sprach von einer Farce, seine FDP-Amtskollegin Katja Suding sogar von einem „Anschlag auf die parlamentarische Demokratie“.
Die Entscheidung über den Konsens mit den Initiativen auf eine Sondersitzung der Bürgerschaft Mitte August zu verschieben, wie Suding vergeblich vorgeschlagen hatte, hätte zu dem geführt, was Dressel und Tjarks unbedingt vermeiden wollten: Aufschnüren des Kompromisspakets und Bedenken von allen Seiten, möglicherweise auch aus den eigenen Reihen. Manchmal ist Politik eben auch schlicht eine Frage von Macht und Mehrheit. Übrigens war der Zeitdruck auch bei der Einigung von Rot-Grün mit der Volksinitiative Guter Ganztag ähnlich hoch. Allzu häufig sollte es Bürgerschaftsbeschlüsse im Hauruckverfahren allerdings nicht geben.
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