Hour of Code

Müssen Hamburgs Schüler künftig programmieren können?

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Jens Meyer-Wellmann

Bei einer weltweiten Aktion lernen Kinder in Workshops, wie eine App entwickelt wird. Ein Modell auch für die Schule? Über das sogenannte „Computing“ als Schulfach ist in Hamburg ein Streit entbrannt.

Hamburg. Vermutlich kann man nicht alle Probleme der Welt durch Programmieren lösen. Das mit dem Hund aber schon. Den täglichen Familienstreit darüber, wer im graulauen Spätherbst mit dem Vierbeiner über die nasse Wiese latschen muss, befriedet bei uns demnächst eine App – also eines dieser kleinen Programme, wie es sie zu Tausenden für Smartphones gibt. Fragt man sein Mobiltelefon, wer denn nun dran sei, spuckt es jetzt den Namen eines Familienmitglieds aus. Entweder rein zufällig, oder gemäß der aktuellen Gassigehstatistik genau denjenigen, der sich zuletzt am erfolgreichsten vor dem Hundespaziergang gedrückt hat.

Wie einfach es ist, solche kleinen Apps selbst zu programmieren, und wie viel Spaß es macht, das haben am Wochenende Hunderte Schüler auch in Hamburg feststellen können. Als Teil der weltweiten Aktion „Hour of Code“ konnten sie in der Hacker-School oder bei einer Veranstaltung des Startup-Unternehmens AppCamps im Betahaus im Schanzenviertel selbst Apps programmieren. Die „Hour of Code“ ist eine globale Bewegung, die weltweit Millionen Schülern die Grundzüge des Programmierens beibringt – darunter immer mehr Mädchen. Auch bei der aktuellen Aktion gab es kostenlosen Programmierunterricht in rund 180 Ländern. Das betahaus Hamburg verzeichnete mit mehr als 100 Schülern und Eltern diesmal einen Anmelderekord. Nach einer kurzen Vorführung (inklusive Katzenbild und miauender App) halfen rund 20 Profis den Schülern und Eltern eine Stunde lang beim Programmieren ihrer ersten App. Bei der Frage zu Beginn, wer denn schon einmal eine App programmiert habe, hatten sich gerade einmal drei Schüler gemeldet – am Ende waren es dann alle.

Das von Informatikerin Diana und Politikwissenschaftler Philipp Knodel ins Leben gerufene Startup AppCamps bietet Programmier-Workshops für Jung und Alt an – immer stärker auch in Zusammenarbeit mit Schulen. Vom kommenden Jahr an soll die Kooperation mit Bildungseinrichtungen weiter gestärkt werden. Zugleich planen die Knodels eine Online-Plattform, auf der sich Interessierte das Programmieren (neudeutsch: Coden) selbst beibringen können. „Programmieren ist ein ganz wichtiges Rüstzeug für die Zukunft“, sagt Sina Gritzuhn von Hamburg Start-ups. „Es zu lernen, ist nicht nur für die Schüler selbst wichtig, sondern auch für unsere Wirtschaft insgesamt. Wir wollen schließlich, dass das nächste Facebook oder Instagram vielleicht sogar aus Hamburg kommt.“

Die dramatisch wachsende Bedeutung des Programmierens für den Alltag, aber auch für die Wirtschaft wirft dabei zunehmend die Frage auf, ob die Schulen den Kindern in dieser Hinsicht genügend Rüstzeug mitgeben. Zuletzt hatte die Schwächung des Informatikunterrichts in Hamburg zu massiven Protesten geführt. Zugleich aber gibt es auch Eltern, die vor einer zu starken Digitalisierung des Unterrichts auf Kosten anderer Bereiche warnen.

„Wir müssen den Schülerinnen und Schülern beibringen, dass das Internet kein Ort allein des Konsums ist, sondern etwas, das man selber gestalten kann“, sagt dagegen der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Netzpolitiker Hansjörg Schmidt. „Deshalb ist es so wichtig, dass Informatik und Programmieren in den Schulen verbindlich gelehrt wird.“ Es sei Zeit, das Thema endlich anzupacken. Der Internetberater und Gründer der SPD-nahen Denkfabrik „D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, Nico Lumma, fordert, Programmieren als eine Art Fremdsprache der Zukunft fest in die Lehrpläne aufzunehmen. „Zu einer modernen Großstadt gehören auch moderne Lehrpläne“, sagt Lumma. „Das Schulfach Computing ist längst überfällig und sollte im Interesse der Kinder und Jugendlichen zeitnah eingeführt werden.“ Kurzfristig solle es Wahlpflichtfach von der siebten Klasse an sein, mittelfristig ab der 5. Klasse angeboten werden – und später bereits ab Klasse 1 Bestandteil des Unterrichts werden, so Lumma.

„Das ist welt- und realitätsfremd“

Unterstützt werden die beiden SPD-Strategen auch von anderen Fraktionen. „Computing ist eine der wichtigen Kompetenzen der Zukunft, die viele Schüler mit Spaß und Begeisterung erwerben sollten“, sagt etwa CDU-Schulpolitikerin Karin Prien. „Bisher fehlt es dafür aber an allem an Hamburger Schulen, vor allem an einem Konzept.“ Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg kritisiert: „Schulsenator Rabe hat Informatik als Pflichtfach gerade abgeschafft. Das ist welt- und realitätsfremd.“ Kein Jugendlicher solle eine Schule verlassen, ohne Grundkenntnisse im Programmieren erworben zu haben. „Bildung muss wieder als Begreifen der Lebenswirklichkeit verstanden werden, und zu dieser gehört die voranschreitende Digitalisierung“, sagt auch Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn.

FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels dagegen gibt zu bedenken: „Weil Hamburgs Schüler enormen Nachholbedarf in Kernfächern haben, sollte die Informatik ein Wahlfach bleiben.“ Der fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete Walter Scheuerl lobt Aktionen wie die „Hour of Code“. „Ein Schulfach Programmieren würde aber zu Lasten anderer, wichtigerer Schulfächer gehen“, so Scheuerl. Dafür bestehe keine Notwendigkeit.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) betont derweil nun, dass er Informatik im Schulunterricht stärken wolle. „Dazu haben wir zwei Pilotprojekte gestartet“, so Rabe. So würden zwei Stadtteilschulen und zwei Gymnasien beispielhafte Informatikunterrichtssequenzen für die Jahrgangsstufen 5 bis 13 entwickeln. Zudem liefen an sechs Schulen Modellversuche zur Nutzung eigener Tablets, Laptops oder Smartphonesim Unterricht über schuleigenes WLAN. „Nach Auswertung der Schulversuche wird über weitere Schritte entschieden. Ziel ist es, den Informatikunterricht zu stärken“, so Rabe. „Das Erlernen einer Programmiersprache gehört als zentraler Baustein perspektivisch dazu.“

Nach der Auswertung der Schulversuche müssten jedoch einige Fragen geklärt werden. So bleibe abzuwarten, welchen Widerhall der Widerstand einer BUND-Arbeitsgruppe gegen WLAN in Schulen finde. „Zudem muss geprüft werden, ob im Rahmen der gültigen Stundentafel eine Umsetzung möglich ist, oder ob diese angepasst werden muss“, so Rabe. „In diesem Fall wäre zu entscheiden, auf Kosten welcher Fächer die eventuell notwendige zusätzliche Informatik-Lernzeit gehen wird.“

Am 16. Januar 2015 soll sich der Schulausschuss der Bürgerschaft mit dem Thema befassen.

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