Jens Kerstan und Katharina Fegebank erhalten bei Mitgliederversammlung in Wilhelmsburg große Rückendeckung

Wilhelmsburg. Als der erste Wahlgang wegen einer zu viel abgegebenen Stimme annulliert wurde, entfuhr es Grünen-Parteichefin Katharina Fegebank: „Mist, weil sie jetzt noch mal abstimmen müssen, sind die Leute so genervt, dass ich jetzt ein schlechteres Ergebnis erhalte.“ Ob sie damit recht hatte, ist nicht bekannt. Eine Auszählung fand nicht statt. Bei der anschließenden Neuabstimmung auf der Landesmitgliederversammlung der Grünen im Bürgerhaus Wilhelmsburg erreichte Fegebank 88 Prozent Zustimmung für Platz eins auf der Landesliste zur Bürgerschaftswahl.

Ein ordentliches Ergebnis, auch wenn es den Anschein hatte, dass die Landeschefin ein wenig mehr erwartet hatte. Schließlich hatten die Grünen sie Ende September bei der Verabschiedung des Wahlprogramms noch mit gut 90 Prozent zur Spitzenkandidatin (neben Fraktionschef Jens Kerstan) gekürt. Nein, es sei keine Enttäuschung gewesen, die Beobachter aus ihrem Gesicht haben herauslesen wollen, sagte Fegebank später auf Nachfrage. „Es ist nur die ganze Anspannung der vergangenen Wochen von mir abgefallen.“ Es habe unzählige Gespräche mit den Mitgliedern gegeben, nicht zuletzt der Bundesparteitag der Grünen. „Ich freue mich über mein Ergebnis. Wann geht es bei den Grünen schon einmal so klar über 80 Prozent?“

Fegebank war die Nervosität in ihrer Bewerbungsrede deutlich anzumerken. Zwar teilte sie in Richtung SPD ordentlich aus: „Die SPD gibt unter anderem in den Bereichen Wissenschaft und Kinderbetreuung ein klägliches Bild ab und betreibt eine Placebopolitik.“ Außerdem verstehe die SPD etwa unter Fortschritt das, was sie schon vor 40 Jahren darunter verstanden habe: „Euer Fortschritt ist Elbvertiefung und Beton.“ Doch erst nach der regulären Sprechzeit von zehn Minuten wurde der Parteichefin sichtlich wohler am Rednerpult. Schließlich lieferte sie ein einprägsames Bild aus dem Tierreich, wonach die SPD aus ihrer Sicht eine „aufgeplusterte, fette Henne“ sei. „Aber wir sind der kleine grüne Spatz. Und das schöne an Spatzen ist, sie können schneller fliegen.“ Falls es nach dem 15.Februar zu Koalitionsverhandlungen mit der SPD unter Olaf Scholz kommen sollte, dürfte dieses Gleichnis bei den Gesprächen zwischen den beiden Parteien mit Sicherheit zitiert werden.

Co-Spitzenkandidat Jens Kerstan wurde mit 86,3 Prozent auf den Listenplatz zwei gewählt. Für den Fraktionschef bedeutet das jede Menge Rückenwind aus der Partei. Er hatte sich noch vor gut neun Wochen nur knapp (50,8 Prozent) gegen Till Steffen als Spitzenkandidat durchgesetzt. Steffen kam am Wochenende mit 88,1 Prozent Zustimmung auf den Listenplatz vier. Da die Grünen ihr Spitzenduo also schon vor Wochen gewählt hatten, barg die Aufstellung der Landesliste durchaus die Gefahr, angeschlagen aus der Wahl herauszugehen.

Doch die Partei bewies Disziplin. Kerstan erhielt zwar einen Mitbewerber um den Listenplatz. Gegen ihn trat allerdings das Partei-Faktotum Martin Macker an. Er kam nach seinem folkloristischen Auftritt auf immerhin zwei der 175 abgegebenen Stimmen. Auch Kerstan machte mobil gegen die regierenden Sozialdemokraten. „40 neue StadtRad-Stationen machen aus der SPD noch keine Radfahrerpartei.“ Politik sei nicht, auf das „Machtwort aus dem Rathaus zu warten und die Hacken zusammenzuschlagen“.

Unterdessen ist der Kampf um den Listenplatz drei ausgeblieben, um den sich ursprünglich die beiden Bürgerschaftsabgeordneten Eva Gümbel und Antje Möller bewerben wollten. Gümbel, die anders als Möller einen sicheren Wahlkreisplatz hat, zog zugunsten der Innenexpertin zurück. Möller, gegen die noch Gudrun Schittek antrat, erhielt 63,7 Prozent. „Ich bin damit zufrieden“, sagte sie anschließend. Inhaltlich warf sie dem SPD-Senat vor, eine falsche Flüchtlingspolitik zu betreiben. So könnte er sehr wohl der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ einen Aufenthalt aus humanitären Gründen ermöglichen. Zudem müsse er endlich unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen Betreuung und Bildung statt Abschiebung anbieten, forderte Möller. „Flüchtlingspolitik besteht nicht aus der Lösung eines Unterbringungsproblems.“ Aber auch bei der Aufarbeitung des Skandals um die rechtsterroristische Gruppe NSU, der auch ein Hamburger zum Opfer gefallen ist, müsse mehr getan werden. Möller kündigte an, sich für einen Untersuchungsausschuss NSU einzusetzen. Weil Gümbel erst auf Platz sieben antrat, kam auch der Nachwuchs zum Zug. Mareike Engels von der grünen Jugend wurde mit 65,5 Prozent auf den Listenplatz fünf gewählt. Es folgen Michael Gwosdz (Listenplatz sechs), Anjes Tjarks (acht), Phyliss Demirel (neun), Maximilian Bierbaum (zehn). Welchen Ausschlag die Liste hat, wird sich nach der Wahl zeigen. Vor vier Jahren sind nur zwei Grüne über die Liste in die Bürgerschaft eingezogen – und zwölf über den Wahlkreis.