CDU-Bürgermeisterkandidat Dietrich Wersich über die Chance für eine Stadtbahn, den Baustellenärger und seine Aussichten bei der Bürgerschaftswahl

Hamburg. Vor gut einem Monat hat der CDU-Landesvorstand Dietrich Wersich zum Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 gekürt. Im Abendblatt-Interview sagt der CDU-Fraktionschef, was er als Herausforderer von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) besser machen will.

Hamburger Abendblatt:

Die CDU liegt in Umfragen zur Bürgerschaftswahl unter 25 Prozent, der Bürgermeister ist beliebt, und es gibt keine erkennbare Wechselstimmung in der Stadt. Sie fordern Olaf Scholz als Spitzenkandidat der CDU heraus. Sind Sie ein Träumer?

Dietrich Wersich:

Nein, denn die Wahl wird deutlich anders ausgehen als 2011. Übrigens sind seitdem auch die Wahlen in Hamburg völlig anders ausgegangen. Bei der Bezirkswahl lagen wir noch neun und nicht 26 Prozentpunkte hinter der SPD wie bei der Bürgerschaftswahl, bei der Bundestagswahl lagen wir sogar gleichauf. Das heißt: Die Hamburger entscheiden völlig frei, wem sie die Zukunft anvertrauen. Darauf setze ich.

Was ist Ihr Wahlziel?

Wersich:

Wir wollen wieder regieren, und wir können das auch. Die SPD wird ihre absolute Mehrheit verlieren, die der Stadt noch nie gut getan hat. Mein Ziel sind offene Verhältnisse, um über die beste Koalition für die Stadt zu verhandeln.

Ein Problem ist doch, dass Ihnen mögliche Koalitionspartner fehlen. Sie haben etwa eine Zusammenarbeit mit der euroskeptischen AfD ausgeschlossen.

Wersich:

Ja, und dabei bleibt es auch. Die AfD ist eine Protestpartei, die Hamburger haben ihre Erfahrungen mit solchen Parteien gemacht und werden sie nicht ins Parlament wählen.

Halten Sie denn eine schwarz-grüne Renaissance für möglich?

Wersich:

Grundsätzlich ja, aber das geht nur – wie auch jede andere Koalition – wenn die Inhalte für Hamburg stimmen.

Wer sind denn überhaupt geeignete Koalitionspartner der CDU?

Wersich:

Reden würden wir mit allen, außer mit der Linken und der AfD.

Also ist auch eine Große Koalition aus Ihrer Sicht nicht ausgeschlossen?

Wersich:

Es geht nicht um Farbenspiele, sondern um Inhalte. Dann ist auch eine Große Koalition nicht ausgeschlossen. Wir wollen klarmachen, was wir wollen, und einen Auftrag der Wähler bekommen zu regieren. Ich möchte den Wahlkampf zu einem Wettbewerb der Ideen machen. Alles andere entscheiden die Wähler, da sollte Politik auch demütig sein.

Olaf Scholz ist nicht zuletzt mit dem Versprechen zum Bürgermeister gewählt worden, ordentlich zu regieren. Vielleicht wollen es die Hamburger dabei einfach belassen. Nach dem alten Adenauer-Motto: Keine Experimente...

Wersich:

Ganz viele sind jeden Morgen sauer auf dieses ordentliche Regieren, wenn sie im Stau stehen. Denn genau das vermissen sie, weil der Senat der Stadt parallel zur notwendigen Straßensanierung noch das unsinnige Busbeschleunigungsprogramm überstülpt. Die Baustellen sind schlecht koordiniert, und es gibt kein Verkehrskonzept. Ein Beispiel: Beim Deckel über die A 7 haben wir seit Jahren einen Koordinator und Ausweichkonzepte gefordert. Das geschieht erst jetzt mit Baubeginn. Das sind hausgemachte Fehler, über die sich die Leute zu Recht ärgern.

Nun hat der SPD-Senat ausgerechnet Ihren Parteifreund und Ex-Staatsrat Gerhard Fuchs zum Baustellenkoordinator für die Autobahnen ernannt. Bekommt er es auch nicht hin?

Wersich:

Das ist ein durchsichtiges politisches Manöver, in der Hoffnung, dass die CDU dann den Mund hält oder er als Prellbock die Schuld bekommt. Herr Fuchs gibt sich zweifellos alle Mühe als Ombudsmann, aber er kann nicht die anderthalb verlorenen Jahre der SPD-Landesregierungen in Hamburg und Schleswig-Holstein aufholen.

Lässt sich mit dem Ärger über Staus eine Regierung aus den Angeln heben?

Wersich:

Ja, denn gerade Themen, die im Alltag der Menschen eine große Rolle spielen, haben eine erhebliche Sprengkraft. Die Inkompetenz im Verkehrsbereich ist eine zentrale Frage der Stadt, der Bürger genauso wie für die Wirtschaft.

Wenn der SPD-Senat clever ist, werden die Baustellen rechtzeitig vor der Wahl abgebaut.

Wersich:

Das werden sie sicher versuchen. So wie der Senat vor der Bezirkswahl die Online-Anmeldung für Termine in den Kundenzentren als angebliche Verbesserung eingeführt hat. Jetzt stellt sich heraus, dass man nicht mehr zwei Wochen im Amt, sondern mehr als vier Wochen zu Hause warten muss, weil der Senat Personal abbaut. So leicht sind die Hamburger aber nicht in die Irre zu führen.

Die CDU ist für die Stadtbahn, die SPD dagegen. Soll die Wahl eine Abstimmung über die Stadtbahn werden?

Bei der Wahl geht es natürlich um mehr, aber Lösungen für den wachsenden Verkehr sind eine zentrale Frage. Das Bussystem ist absolut an seinen Grenzen, alle Experten raten Hamburg dringend zu mehr schienengebundenen Verkehrsmitteln. Wir haben uns nach Lösungen in anderen europäischen Städten umgesehen, dort setzt man immer mehr auf moderne Stadtbahnen. Wir wollen die U 4 nach Wilhelmsburg und Harburg ausbauen. Aber für den nördlichen Teil der Stadt, für die Querverkehre ist die Stadtbahn die einzig bezahlbare, leistungsfähigste und beste Lösung. Bei Olaf Scholz dagegen beobachte ich immer öfter, dass er vollmundige, in weiter Ferne liegende Ankündigungen als Visionen verkauft. Bis 2040 eine neue U 5 zu bauen ist aber keine Vision, sondern das Verschieben der Lösung von Problemen von heute auf übermorgen.

Die CDU hat in der schwarz-grünen Koalition schlechte Erfahrungen mit dem Widerstand gegen die Stadtbahn-Planungen gemacht. Fürchten Sie erneute Bürgerproteste?

Wersich:

Wir haben aus den Fehlern gelernt und die Streckenführung nicht mehr über die Ohlsdorfer Straße zum Winterhuder Markt geführt. Aber generell setzen wir auf viel mehr frühzeitige Bürgerbeteiligung. Dazu gehört für mich Information, Information, Information. Die Botschaft lautet: Es muss etwas passieren. Dann sind Hamburger klug und zukunftsbewusst genug, um gute Entscheidungen zu treffen.

Sind Sie ein unerschütterlicher Optimist?

Wersich:

Ja. Klar, der Optimist kann negativ überrascht werden. Das kann dem Pessimisten nicht passieren. Aber damit bewegt man nichts.

Sie lehnen das Busbeschleunigungsprogramm ab. Würden Sie den Ausbau stoppen, wenn Sie Bürgermeister werden?

Wersich:

Ja, weil es unsinnig ist. An die erhofften Verbesserungen glaubt selbst kein Experte. Es geht nicht um Rückbau, das wäre unvernünftig. Aber ein dreistelliger Millionenbetrag und weiteres Unheil kann Hamburg erspart werden.

Eines der aktuell drängendsten Probleme ist die Frage, wo Hamburg all die Flüchtlinge unterbringen kann, die jetzt in die Stadt kommen. Sind Sie dafür, dass der Senat wieder Wohnschiffe anmietet?

Wersich:

Damit hat Hamburg keine guten Erfahrungen gemacht, und deshalb würde ich das nicht anstreben. Für mich sind zwei Dinge wichtig: Wir sollten in Deutschland alles dafür tun, die Verfahren zu beschleunigen. Denn der lange Aufenthalt hier mit einem unsicheren Status ist für alle Beteiligten extrem negativ. Zum anderen hat das Winternotprogramm gezeigt, dass die Stadt aufpassen muss. Kostenlose Unterkünfte der Stadt dürfen weder zu einem Magneten für Obdachlose noch für Arbeitsuchende aus ganz Europa werden, die dann für Schwarzarbeit zu Niedrigstlöhnen ausgebeutet werden.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Wersich:

Da hilft nur die gute Zusammenarbeit mit Konsulaten der Herkunftsstaaten, aber auch muttersprachliche Streetworker. Menschen müssen in ihren Heimatländern Perspektiven aufgezeigt werden. Der Senat darf nicht akzeptieren, dass Wanderarbeiter in Grünanlagen und auf öffentlichen Plätzen campen. Und wir müssen verhindern, dass Arbeit suchende Leute hier ausgebeutet werden.

Ein Großteil der Flüchtlinge kommt jedoch aus den Krisengebieten dieser Welt. Sozialsenator Scheele fordert eine bundesweite Neuverteilung der Flüchtlinge, um die Großstädte zu entlasten. Ein richtiger Vorschlag?

Wersich:

Ich finde es grundsätzlich richtig, dass Bund und Länder darüber reden. Aber am Ende wird es die Probleme nicht lösen, die Verteilung ist ein Randthema. Die Großstädte haben immer große Sogwirkung, weil dort schon Familienmitglieder oder andere Landsleute wohnen.

Themenwechsel: Hamburg verändert sich. Dieser Senat hat das Wohnungsbauprogramm kräftig angekurbelt. Machen Sie sich eigentlich Sorgen um das Bild der Stadt, um ihren städtebaulichen Charakter?

Wersich:

Das muss man im Blick behalten. Ein rein quantitativer Wohnungsbau, koste es, was es wolle, wäre falsch. Man muss auch auf Qualität und die gewachsenen Strukturen der Stadtteile achten. Das bedeutet auch differenzierter vorzugehen, als es der Senat tut. Beispiel Harburg: Dort brauchen wir nicht mehr Sozialwohnungen, sondern eher eine Aufwertung im Wohnungsbau. Der Senat setzt aber zu sehr auf quantitative als auf qualitative Ziele.

Wo sehen Sie Entwicklungspotenzial?

Wersich:

Es gibt ehemalige Bundeswehr-, Hafen- und Bahngrundstücke, die sogenannten Konversionsflächen wie etwa die Neue Mitte Altona. Auch der Kleine Grasbrook bietet eine riesige Chance, die HafenCity um eine OlympiaCity zu erweitern. Zum anderen geht es um Stadtumbau. Mit der internationalen Bauausstellung in Wilhelmsburg haben wir gezeigt, wie Stadtteile aufgewertet werden, ohne die Bewohner zu verdrängen. In Verbindung mit der HafenCity war die IBA weltweit das Spannendste, was Stadtentwicklung momentan zu bieten hat. Dies gilt es jetzt auch, auf Stadtteile wie Hamm, Horn und Rothenburgsort anzuwenden.

Gibt es Tabubereiche, in denen kein Wohnungsbau stattfinden sollte?

Wersich:

Ich finde es wichtig, dass wir das alte schumachersche Grünzugkonzept beibehalten und die grünen Achsen nicht zubauen. Und es ist alles unglücklich, was fernab von Verkehrswegen ist. Deswegen bin ich auch kein Freund von Großsiedlungsbau auf der grünen Wiese am Rande der Stadt.

Wie bereiten Sie sich auf den Wahlkampf vor?

Wersich:

Ich schaue mir ganz viele Dinge in der Stadt an, will sie vor Ort kennenlernen, spreche mit Bürgern, Wirtschaft und Experten – so bereite ich mich inhaltlich vor. Wahlkampf ist kein Zufall, da gibt es viel zu planen. Zum Krafttanken brauche ich Ausgleich und Bewegung. Der Sport, der Garten, aber auch Wandern in den Bergen sorgen für einen freien Kopf.

Welchen Sport betreiben Sie?

Wersich:

Ich spiele bei den Rathauskickern Fußball. Und gerade bin ich wieder im Training für die Cyclassics – zum fünften Mal will ich da mitfahren.

Über welche Distanz?

Wersich:

Die 55-Kilometer-Strecke. Man erlebt die Stadt aus einer anderen Perspektive, das ist faszinierend. Außerdem ist es toll, einfach mal über rote Ampeln fahren zu dürfen. Beim ersten Rennen musste ich tatsächlich den Bremsreflex unterdrücken.

Vielen gilt Ihre Spitzenkandidatur als aussichtsloses Rennen. Spornt Sie das gerade an?

Wersich:

Ja. Es gibt immer Favoriten, aber es gewinnen nicht immer die Favoriten. Ich bin überzeugt, wir sind eine echte Alternative zur selbstherrlichen SPD.

Oder denken Sie doch schon an die nächste Bürgerschaftswahl 2020?

Wersich:

Ich?

Ja, Sie.

Wersich:

Nein. Wenn man einen Wettkampf vor sich hat, dann konzentriert man sich ganz darauf. Sie werden auch keinen Sportler, der jetzt für Olympia trainiert, finden, der sagt, er trainiere für die Spiele vier Jahre später.