Mit der Bitte, die Protokolle der vorherigen PUA-Sitzungen zum Fall Yagmur lesen zu dürfen, sorgt der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte für Irritationen und Kopfschütteln.

Einige der Abgeordneten im Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum gewaltsamen Tod der dreijährigen Yagmur waren gedanklich wohl schon zu Hause, als der PUA-Vorsitzende André Trepoll (CDU) den Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ aufrief. Dann verkündete er, dass der Mitte-Bezirksamtschef Andy Grote (SPD) gebeten hatte, die Protokolle der vorherigen PUA-Sitzungen lesen zu dürfen. Verständnisloses Kopfschütteln, auch bei SPD-Abgeordneten, und Tuscheleien unter den Ausschussmitgliedern. Allein diese Tatsache ließ die Brisanz dieses Vorgangs erahnen.

Einige Stunden zuvor, um 12.06 Uhr, hatte die für die Protokolle zuständige Mitarbeiterin des PUA-Arbeitsstabs eine E-Mail vom Pressesprecher des Bezirksamts Mitte, Norman Cordes, erhalten: „Im Namen von Herrn Grote darf ich Sie fragen, ob die Möglichkeit besteht, die Protokolle der bisherigen Sitzungen zu erhalten. Vielen Dank vorab für Ihre Bemühungen.“ Eine kurze Nachricht, die beim PUA-Vorsitzenden Trepoll für Fassungslosigkeit sorgte. „Bei mir sind alle Alarmsirenen angegangen“, sagt er. „Dieser Vorgang ist so nicht zulässig.“

Prompt bekam der Pressesprecher von Bezirksamtsleiter Grote, dessen Jugendamt zuletzt für Yagmur zuständig war, eine Antwort auf seine Anfrage: Selbstverständlich werde der Bezirkschef die Protokolle nicht zu sehen bekommen, da er noch als Zeuge im Untersuchungsausschuss aussagen werde. Es ist keine Überraschung für Grote, dass auch er in den kommenden Wochen von den PUA-Mitgliedern vernommen wird. Dass er sich darauf bestmöglich vorbereiten will, ist verständlich. Dass er vorher die Protokolle zu den anderen Zeugenvernehmungen lesen will, ist jedoch irritierend.

Es gab schon einmal Ärger um vertrauliche Schriftstücke aus einem Untersuchungsausschuss. Im Jahr 2006 hatte sich aus dem PUA Feuerbergstraße eine folgenreiche Protokoll-Affäre entwickelt. Im Ergebnis hat sie zur Entlassung von Sozialstaatsrat Klaus Meister (SPD) und Justizsenator Roger Kusch (CDU) geführt. Damals ging es um die Weitergabe und Nutzung vertraulicher PUA-Papiere. „Dass dieses Ereignis an Herrn Grote vorbeigegangen ist, kann ich mir nicht vorstellen“, heißt es aus Reihen der Opposition.

Andy Grote plädiert auf Unwissenheit. Er habe nicht gewusst, dass man als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss keine Protokolle aus vorherigen Sitzungen lesen darf, sagt der Jurist sowie langjährige Kommunal- und Landespolitiker. „Mit den Regularien zum PUA habe ich mich noch nicht befasst“, sagt Grote, der seit zwei Jahren an der Spitze des Bezirksamts Mitte steht und zuvor Mitglied der Bürgerschaft war. Die Anfrage sei ohne jeden Hintergedanken erfolgt. Nach dem Motto: Fragen kann man ja mal.

Die Opposition kauft ihm das nicht ab. Einige Abgeordnete sehen die E-Mail als einen Aufruf zum Rechtsbruch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser erfahrene Politiker aus Versehen oder unbewusst so gehandelt hat“, sagt der FDP-Obmann im PUA, Finn Ole Ritter. Auch die Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke hält das Vorgehen für fragwürdig. „Allein der Gedanke, die Protokolle lesen zu wollen, bevor man selbst als Zeuge aussagt, ist absurd“, sagt sie. Der normale Menschenverstand reiche aus, um zu erkennen, dass das nicht geht.

Für Grotes vermeintliche Unwissenheit spricht: Hätte er gewusst, dass PUA-Protokolle per Gesetz generell nur an die Ausschussmitglieder verteilt werden dürfen und schon gar nicht an Zeugen, hätte er sicher nicht eine solche E-Mail verfasst. Dass der Rechtsanwalt aber anscheinend keinen Schimmer von dem Gesetz zu Untersuchungsausschüssen hat, lässt ihn allerdings nicht gerade gut dastehen. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was schlimmer ist“, sagte der CDU-Abgeordnete André Trepoll. „Von einem Bezirksamtsleiter muss man gerade nach der Protokoll-Affäre 2006 mehr Fachwissen und Sensibilität im Umgang mit einem PUA erwarten können.“

Grote als Jurist, Politiker und Bezirksamtsleiter sollte es besser wissen

Es ist nicht das erste Mal, dass Andy Grote im Fall Yagmur ungeschickt agiert. Nur wenige Stunden nach dem Tod des kleinen Mädchens hatte er gesagt, dass es keine Erkenntnisse über Gefahren für das Kind gegeben habe. Eine riskante Aussage, für die Grote viel Kritik geerntet hat, aber über die er politisch nicht nachhaltig gestolpert ist. Im Gegensatz zu Grotes Vorgänger Markus Schreiber, der 2012 nach dem Methadon-Tod des Pflegekindes Chantal wegen ähnlich unbedachter Äußerungen zurücktreten musste. Derart sensibilisiert, hätten sicher auch seine Genossen im Untersuchungsausschuss mehr Obacht und politisches Feingefühl von Andy Grote erwartet. Dass er mit seiner unglücklichen E-Mail an den PUA-Arbeitsstab ein Mal mehr in die Schusslinie gerät, dürfte auch seinem Image als Hoffnungsträger der SPD nicht zuträglich sein.

Man kann ohnehin nicht behaupten, dass der SPD-Senat einen guten Lauf beim Untersuchungsausschuss hat. Für Verärgerung zumindest bei der Opposition sorgte, dass der Senat der am Donnerstag als Zeugin geladenen ASD-Mitarbeiterin aus Bergedorf nur eine Aussagegenehmigung in nicht-öffentlicher Sitzung erteilte. „Sie hat keine schützenswerten Sozialdaten genannt, die nicht schon bekannt gewesen wären“, sagte ein Gremiumsmitglied nach der Vernehmung. Die Begründung des Senats sei nicht nachvollziehbar. Darin heißt es: „Mit der Zeugenaussage der Fachkraft des ASD werden geschützte Sozialdaten (…) an den PUA übermittelt.“

Die Oppositionsfraktionen befürchten nun, dass der Senat den städtischen Angestellten auch in Zukunft nur noch eingeschränkt Aussagegenehmigungen erteilen könnte. „Das würde unsere Arbeit beeinträchtigen und unseren Untersuchungsauftrag aushöhlen“, sagte ein CDU-Abgeordneter. Zudem handele es sich bei einem PUA nicht um einen Geheimdienstausschuss. Die Ausschussmitglieder wollen nun verhindern, dass diese Praxis Schule macht. Schließlich könne der PUA selbst dafür Sorge tragen, dass der Datenschutz eingehalten wird, heißt es. Anderenfalls wollen sich die Politiker wehren. Wenn nötig, würden sie vors Verfassungsgericht ziehen. So oder so würde es der Arbeit des Ausschusses nicht zugute kommen.