Demonstranten verzögern Rede im Thalia Theater. Wie der Bürgermeister sich eine neue Flüchtlingspolitik vorstellt

Altstadt. Als die rund 30 Demonstranten den Dienstwagen von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Hintereingang des Thalia Theaters vorfahren sahen, stürmten sie auf die Limousine zu. Polizisten drängten einige von ihnen in einem kurzen Handgemenge ab – und Scholz’ Fahrer gab Vollgas. Scholz konnte seine Rede zur europäischen Flüchtlingspolitik, zu der Thalia-Intendant Joachim Lux ihn eingeladen hatte, erst mit einer halbstündigen Verspätung beginnen.

Doch auch beim zweiten Anlauf versuchten Störer, den Bürgermeister am Betreten des Theaters zu hindern – allerdings vergeblich. In seiner Rede, die gelegentlich von lautstarken Zwischenrufern unterbrochen wurde, sagte Scholz, dass es wichtig sei, sich Gedanken darüber zu machen, wie legale Zuwanderung geregelt werden könne. Gerade deshalb, weil der Anteil derjenigen, die wegen schlechter wirtschaftlicher Perspektive ihre Heimat verlassen, möglicherweise größer sei als der Anteil derjenigen, die unterwegs seien, um vor politischer Verfolgung oder Krieg zu flüchten. „Die Perspektiven einer legalen Zuwanderung müssen so sein, dass sie die europäischen Arbeitsmärkte nicht überfordern und gleichzeitig attraktiv genug sind, dass sich die Zahl derjenigen, die die lebensgefährlichen Wege beschreiten, deutlich mindert.“

Ein Weg dahin könnte ein System wie die Greencard in den USA sein, einer begrenzten Zahl von Menschen die Einreise zur Arbeitssuche im Losverfahren zu gestatten. „Europa wird von den Staaten lernen müssen, die längere Erfahrungen mit der neuzeitlichen Arbeitsmigration haben“, so Scholz. Allerdings sagte er auch allen Flüchtlingen ohne berufliche Qualifikation schlechte Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt voraus. „Vielleicht würde eine bessere Kenntnis der europäischen Wirklichkeit manche dazu bewegen, in ihren Herkunftsländern zu bleiben.“

Scholz sprach zwar die Gruppe der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge, die seit rund einem Jahr die Diskussion um den Umgang mit Flüchtlingen befeuern, nicht direkt an. Doch die Grundsatzrede des Bürgermeisters war genau in diesem Zusammenhang zu verstehen. Wegen des Umgangs des Senats mit dieser Gruppe wurden Scholz und sein Innensenator Michael Neumann (SPD) scharf kritisiert. Sie hatten stets das geforderte Bleiberecht für die ganze Gruppe abgelehnt und auf individuelle Verfahren gedrängt, wonach sich jeder Flüchtling selbst erklären sollte. Die harte Linie des Senats in dieser Sache hatte zu einer Mobilisierung in der Stadt geführt, die sich in der Weihnachtszeit und zur Jahreswende in den gewalttätigsten Ausschreitungen seit Jahren in Hamburg entluden.

Den Anstoß zu dem Abend lieferte Thalia-Theater-Intendant Joachim Lux. Er hatte Scholz im vergangenen Dezember bei einem gemeinsamen Mittagessen angesprochen. „Es gibt derzeit keine substanziellen politischen Auseinandersetzungen mehr. Alles findet nur noch in Talkshows statt“, sagte Lux. Mit dem Abend wolle er an die „republikanische Tradition“ anknüpfen, nach der es früher regelmäßig zu einem „Dialog zwischen Geist und Politik“ kam. „Das fehlt einfach.“

Sein Haus hatte sich immer wieder in die Diskussion um die Flüchtlingsfrage eingeschaltet. So waren etwa im vergangenen Herbst mehr als 400 Zuschauer zur Solidaritätsaktion des Theaters in die St. Pauli Kirche gekommen, wo die Flüchtlinge für mehrere Monate untergekommen waren. Mit ihnen gemeinsam präsentierten zwölf Schauspieler den jüngsten Text von Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in einer Urlesung. Der Titel: „Die Schutzbefohlenen“. Das Thalia versteht sich neben dem Theater eben auch als Bühne für den politischen Diskurs. Im Januar war die kenianische Soziologin, Autorin und Schwester des US-Präsidenten, Auma Obama, zur Eröffnung der Lessingtage zu Gast.

Im Anschluss an seine Rede stand Scholz dem deutschen Schriftsteller Ilija Trojanow Rede und Antwort. Dieser kritisierte Scholz, dass er nicht auf die aus seiner Sicht „brutale Abschreckungspolitik“ gegenüber Flüchtlingen eingegangen war. Scholz erwiderte, dass er zwar grundsätzlich nicht gegen eine Grenzschutzpolizei sei. „Es darf aber nicht sein, dass sie Menschen ums Leben bringt oder sie im Meer ihrem Schicksal überlässt.“ Am Ende machte Trojanow darauf aufmerksam, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge gar nicht nach Europa kämen. „81 Prozent aller Flüchtlinge auf der Erde leben in Staaten der Dritten Welt.“