Verkehrsexperte der Grünen-Fraktion, Till Steffen, legt Strategiepapier zur Stadtentwicklung vor. Hansestadt kann von anderen Metropolen lernen. Ausgangspunkt ist das Wohnungsbauprogramm des SPD-Senats.

Hamburg. Ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl beginnt bei den Grünen die Diskussion über das Wahlprogramm. Wenn am heutigen Dienstagabend der Landesvorstand erstmals zur Wahlprogramm-Werkstatt zusammenkommt, dann wird eine Frage im Zentrum stehen: Wie kann es gelingen, die absolute Mehrheit der SPD zu verhindern, die in der Abendblatt-Umfrage vor zehn Tagen auf 48 Prozent kam?

Till Steffen, Ex-Justizsenator und heute Verkehrsexperte der Grünen-Fraktion, glaubt eine Antwort gefunden zu haben. „Hamburgleben: von Kopenhagen lernen“ ist sein sechsseitiges Strategiepapier zur Stadtentwicklung überschrieben, das Steffen seinen Parteifreunden vorstellen will. Ausgangspunkt ist das Wohnungsbauprogramm des SPD-Senats – „das größte seit den 1970er-Jahren“, wie Steffen schreibt. „Hamburg befindet sich im Umbruch. In 20 Jahren wird die Stadt ihr Gesicht komplett verändert haben“, schreibt der Grünen-Politiker. Er wünsche sich, dass die Menschen eine Vorstellung davon haben, wie die Stadt in Zukunft aussehen soll. „Doch was Bürgermeister Olaf Scholz uns zumutet, enthält eine solche Vorstellung nicht. Es gibt keine klare Definition, kein Bild, wie Hamburg sein wird“, kritisiert Steffen.

Da der Wohnungsbau vor allem durch Nachverdichtung geschehen soll, geht der Grünen-Politiker davon aus, dass die Konkurrenz um die knapper werdenden Flächen vor allem in der Innenstadt und den schon jetzt verdichteten Quartieren wie Eimsbüttel, Eppendorf, Winterhude oder Altona stark zunehmen wird. Der aktuelle Umbruch sei eine große Chance, „Maßstäbe zu entwickeln, in welcher Stadt wir leben möchten, wer wir sein wollen und wie wir zusammenleben wollen“. Die Grünen sollten laut Steffen als Maßstab „den menschlichen Blickwinkel“ einführen, wie ihn der Kopenhagener Stadtplaner Jan Gehl in seinen Büchern beschreibt. „Gehl skizziert, wie Städte lebenswerter und lebendiger gestaltet werden können“, schreibt Steffen. Es gehe darum, wie sich die Menschen „das Leben zwischen den Häusern vorstellen und wie wir die Stadt wahrnehmen.“

In Kopenhagen ist der Radverkehr seit vielen Jahren Bestandteil der Stadtplanung. Es gibt breite Spuren für Radfahrer auf den Straßen. Aber es geht Steffen um mehr, und er nennt das Beispiel der australischen Metropole Melbourne, die bei Rankings der lebenswertesten Städte weltweit regelmäßig mit an der Spitze liegt. Zwischen 1994 und 2004 sei die Innenstadt Melbournes völlig neu strukturiert und die Zahl der Wohneinheiten verzehnfacht worden. „Neue Plätze wurden angelegt, kleine Wege, Arkaden und Promenaden am Flussufer gebaut.“ Ziel der Planer sei es gewesen, dass sich die Menschen zu Fuß durch die Stadt bewegen können. So seien Bürgersteige verbreitert und mehr Straßenbäume gepflanzt worden. „Obwohl das Leben in der Stadt also eigentlich enger wurde, fühlen sich die Menschen dort sehr wohl und keinesfalls eingeengt“, schreibt Steffen.

Die größten Chancen zur Veränderung sieht der Grünen-Politiker bei den öffentlichen Flächen. Seit 1990 sei der Autoverkehr innerhalb des Rings 2 um zwölf Prozent gesunken, der Lkw-Verkehr sogar um 21 Prozent. Experten gingen davon aus, dass sich Menschen in wenigen Jahren komplett anders bewegen werden. „Dennoch verhält sich der Senat immer noch so, als ob die Autos die Straßen brauchen“, so Steffen.

Andere Städte seien da weiter. In San Francisco sei der aufgeständerte Embarcadero Freeway, der 1989 von einem Erdbeben zerstört worden war, nicht wieder aufgebaut worden. „Die Straße wurde ein Boulevard mit Tram, Bäumen, guten Bedingungen für den Radverkehr und den Aufenthalt dort“, schreibt Steffen. Nach der Zerstörung des Freeways hätten die Planer festgestellt, dass sich der Autoverkehr problemlos auf andere Straßen verteilte.

In Paris werde eine wichtige Hauptverkehrsstraße an der Seine im Sommer gesperrt und mit Sand zu einem „Strand“ aufgeschüttet („Paris atmet auf“). Einen ähnlichen Vorschlag für die Eppendorfer Landstraße hatten die Nord-Grünen im Dezember gemacht – allerdings mit überwiegend kritischem Echo. Ein weiteres positives Beispiel in Hamburg ist für Steffen die Idee eines Central Parks zwischen Carl-Legien-Platz und Lindenplatz in St. Georg. Doch derzeit steht es schlecht um die Schaffung eines Grünstreifens mitten in der Stadt. Die Hochbahn will auf dem Parkplatz östlich des ZOB eine Aufladestation für E-Busse errichten.

Der Grindelhof im Univiertel sei zur Einbahnstraße geworden. Ein Teil der Karolinenstraße (St. Pauli) sei dem Autoverkehr entzogen und zu einem offenen Platz umgestaltet worden. Die Beispiele zeigten, dass Hamburg schon auf einem guten Weg war, „Verkehrsflächen neu zu denken“. Beim SPD-geführten Senat, so Steffen ganz als künftiger Wahlkämpfer, sei „keinerlei Ehrgeiz in dieser Richtung zu erkennen“.