Die Bürgerschaftsmehrheit will ergebnisoffen nach einem Kompromiss suchen. Ein Volksbegehren käme erst nach den Sommerferien zustande. Doch dann dürften viele interessierte Eltern verreist sein.

Hamburg. Aus Sondierungen sollen Verhandlungen werden: Die Unterhändler der SPD-Bürgerschaftsfraktion und die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ haben vereinbart, in den kommenden Wochen über einen Kompromiss im Streit über die Rückkehr zum neunjährigen Weg zum Abitur am Gymnasium zu verhandeln.

„Wir werden unserer Fraktion vorschlagen, ohne Vorbedingungen ergebnisoffene Verhandlungen aufzunehmen“, sagte SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel nach einer abschließenden Gesprächsrunde mit der Initiative am gestrigen Donnerstag im Rathaus. „Wir freuen uns, dass SPD-Fraktion und Senat sich mit dem Angebot von Verhandlungen nun der Forderung der Eltern in Hamburg nach Rückkehr zum G9 an den Gymnasien öffnen“, sagte Initiativensprecherin Mareile Kirsch.

Der förmliche Beschluss der SPD-Fraktion am kommenden Montag, der als sicher gilt, schließt einen weiteren wichtigen Punkt ein: Die Sozialdemokraten werden dem Antrag der Volksinitiative auf eine Fristverlängerung des Starts eines möglichen Volksbegehrens als zweiter Stufe der direkten Demokratie zustimmen. Falls das Volksbegehren stattfinden sollte, weil die Verhandlungen scheitern, müsste „G9-Jetzt-HH“ nach dem bisherigen Zeitplan rund 65.000 Unterschriften innerhalb von drei Wochen während der Sommerferien sammeln. Das gilt gerade bei einem Schulthema als sehr anspruchsvoll, weil viele interessierte Eltern verreist sein dürften.

Mit dem Ja der SPD zur Fristverlängerung gibt es eine breite Mehrheit für den Antrag der Volksinitiative in der Bürgerschaft, über den am kommenden Mittwoch abgestimmt werden soll. Zuvor hatten bereits CDU und FDP der Verschiebung des Volksbegehrens auf die Zeit nach den Sommerferien zugestimmt. Auch bei den Grünen zeichnet sich ein Ja ab.

Alle Fraktionen der Bürgerschaft sind allerdings gegen eine Rückkehr zu G9 am Gymnasium, weil sie eine weitere Schwächung der Stadtteilschulen befürchten, die das Abitur nach neun Jahren bereits anbieten und ihr Alleinstellungsmerkmal dann verlieren würden. Andererseits will sich niemand politisch vorwerfen lassen, durch Beharren auf einer Formalität die Chancen einer Volksinitiative gemindert zu haben, statt in die faire Auseinandersetzung zu gehen.

In den vergangenen Tagen hatte sich der Druck auf die Bürgerschaft erhöht. In einer repräsentativen Umfrage des Abendblatts hatten sich 70 Prozent für eine Rückkehr zu G9 am Gymnasium ausgesprochen. Und am Mittwoch beschloss die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen, das Abitur nach 13 Jahren wieder einzuführen. Die Schulstruktur beim südlichen Nachbarn mit Haupt-, Real- und einigen Gesamtschulen neben den Gymnasien unterscheidet sich allerdings erheblich vom Hamburger Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschule und Gymnasium.

„Natürlich nehmen wir die aktuelle Umfrage zu G9 ernst und auch die Entwicklungen bei unseren Nachbarn zur Kenntnis“, sagte der SPD-Schulpolitiker Lars Holster. Zugleich gebe es „eine Fülle von Fragen“ mit der Initiative zu klären. „Ob und wie das gelingt, werden die ergebnisoffenen Verhandlungen zeigen“, so der SPD-Politiker.

„Wir wollen alles dazu beitragen, dass der Wunsch der Mehrheit der Hamburger nach mehr Zeit für vertiefendes Lernen, für Leben, für Freiräume und Erholung endlich umgesetzt wird durch die Rückkehr zu G9“, sagte Mareile Kirsch. Die Initiative fordert die Einführung des neunjährigen Wegs zum Abitur an allen 60 staatlichen Gymnasien. Dabei soll an allen Standorten die Wahlmöglichkeit zwischen dem acht- und dem neunjährigen Bildungsgang gegeben sein.

Inwieweit die Forderung zweier paralleler Bildungsgänge organisatorisch und räumlich realisierbar ist, zählt zu den zentralen Fragen der Verhandlungen. Ein weiterer Punkt dürfte den zeitlichen Rahmen betreffen. Die Initiative will G9 unverzüglich einführen. Das kann bedeuten, dass G9 im fünften Jahrgang gestartet wird und dann Jahr für Jahr aufwächst. Es kann aber auch bedeuten, dass G9 sofort auf mehreren Jahrgangsstufen eingeführt wird.

Parallel zur SPD hat auch die FDP einen Antrag zur Fristverlängerung vorgelegt. Interessant ist, dass die Volksinitiative zunächst nur mit der Mehrheitsfraktion der SPD verhandeln will. „Die Vorgespräche haben trotz inhaltlicher Differenzen in guter und vertrauensvoller Atmosphäre stattgefunden“, sagte SPD-Fraktionschef Dressel. Zur ersten Verhandlungsrunde wollen sich beide Seiten nach den Frühjahrsferien treffen. Für eine Einigung bleibt dann bis Ende April Zeit.