Die Fähigkeiten und Erfolge Ortwin Rundes wurden oft verkannt. Bisweilen stellte sich das für die Betroffenen als schwerer Fehler heraus.

Hamburg. „Tach auch“ – schon die norddeutsch-lockere Begrüßungsformel verrät viel über Ortwin Runde. Unprätentiös, direkt und mit einem Anflug von Jovialität, aber ohne Bugwelle kam dieser Bürgermeister daher. Andere Senatschefs waren bisweilen auch Darsteller in eigener Sache, die eine gewisse Aura um sich zu verbreiten wussten, bei Runde merkte man manchmal nicht, dass er schon im Raum war. Am heutigen Mittwoch wird Ortwin Runde, der von 1997 bis 2001 Erster Bürgermeister war, 70 Jahre alt.

Der Sozialdemokrat scherte sich nicht besonders um Förmlichkeiten und Äußerlichkeiten im Amt. Selbst bei dem ohnehin schon zurückgenommenen Zeremoniell im Rathaus wirkte er manchmal fremd. Insignien der Macht, gar Gesten ihrer Ausübung waren ihm ziemlich schnuppe.

Diese eher introvertierte, manchmal gar etwas linkisch wirkende Art des Auftretens hat viele dazu verleitet, Runde zu unterschätzen. Bisweilen stellte sich das für die Betroffenen als schwerer Fehler heraus, Runde sah es verschmitzt als Vorteil an. Wenn seine Saat aufgegangenen war, wenn einer seinen Irrtum einsehen und Runde recht geben musste, dann konnte er sich im kleinen Kreis diebisch freuen. Diskussion, Argumentation und Überzeugung sind die Axiome dieses streitbaren Homo politicus – des durch und durch politischen Menschen –, als den sich Runde selbst bezeichnet.

Rundes Weg ist eine typisch sozialdemokratische Karriere, mit einer tiefen Verankerung in der Partei bis auf den heutigen Tag. Aber Runde liefert auch das Muster des sozialdemokratischen Ideals eines Aufstiegs aus beengten Verhältnissen durch Bildung und Fleiß. Als achtes von neun Kindern wurde Runde ein gutes Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Elbing, heute Elblag, im damaligen Westpreußen geboren. Zehn Monate dauerte die Flucht der Familie vor den anrückenden sowjetischen Panzern nach Aurich. „Ich bin im Klammerbeutel nach Ostfriesland gekommen“, erzählte Runde einmal in seiner lakonischen Art. Die ersten Jahre im Westen sei er „heftigst unterernährt“ gewesen. Die Großfamilie wurde anfangs getrennt bei Bauern untergebracht. Der Vater, ein Verwaltungsangestellter, hatte da längst das Weite gesucht.

Rundes sozialpolitisches Engagement, sein Blick für die Schwachen und Hilfsbedürftigen folgt also nicht nur politischer Einsicht, sondern ergibt sich aus eigenem Erleben. Dabei war er einmal einen Moment lang schwankend: Es gab das Angebot an den talentierten Fußballspieler, Profi bei Preußen Münster zu werden. Runde entschied sich dann doch anders. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich allerdings noch lebhaft an den Gegenspieler Runde, der bereits als Senator bei einem Freundschaftsspiel Politiker gegen Rathausjournalisten nur schwer vom Ball zu trennen war und durch überlegtes und genaues Passspiel von der Außenlinie überzeugte.

Runde studierte passenderweise Soziologie sowie Volkswirtschaftslehre in Münster, London und Hamburg und trat 1970 in den öffentlichen Dienst in Hamburg ein. Früh verschränkte sich Parteipolitik und Beruf: Parallel zu seinem Aufstieg vom Juso-Landesvorständler über den Chefposten des damals mächtigen SPD-Kreisverbandes Nord schließlich zum SPD-Landesvorsitzenden und zum Exponenten des linken Parteiflügels, machte Runde in der damals SPD-dominierten Sozialbehörde Karriere. 1988 wurde er Sozialsenator und Nachfolger seines Mentors Jan Ehlers. Der heutige Amtsinhaber Detlef Scheele war einer von Rundes Nachfolgern als Chef der SPD Nord. Runde war einer der Hauptzeugen im Untersuchungsausschuss „Roter Filz“, der sich in seiner Bürgermeister-Zeit mit der Sozialbehörde beschäftigte.

Vier Jahre lang war Runde Finanzsenator, ehe er nach dem abrupten Rücktritt von Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) 1997 durchaus überraschend dessen Nachfolger wurde. Runde zimmerte das bislang einzige rot-grüne Bündnis im Rathaus. Wer gedacht hatte, der linke Runde würde den damals ebenfalls linken Grünen besonders entgegenkommen, sah sich getäuscht. Vielleicht hatten auch manche Grünen den vermeintlich knorrigen, aber vor allem beharrlichen Roten unterschätzt. Runde setzte jedenfalls die hoch umstrittene Elbvertiefung und die Airbus-Werkserweiterung auf Finkenwerder mit der teilweisen Zuschüttung des Mühlenberger Lochs durch. Die Erfolgsstory, die die Produktion des A380 auch für Hamburg mit der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze bedeutet, war das Ergebnis von Rundes Einsatz.

In den Bürgermeister-Jahren vollzog sich die Wandlung vom Protagonisten des linken Parteiflügels zum pragmatischen Politiker. Runde erwarb sich das Ansehen führender Vertreter der Handelskammer, die nicht zuletzt seine Verlässlichkeit schätzten. Der Finanzpolitiker Runde sorgte als Bürgermeister mit einem den Südländern abgerungenen Kompromiss beim Länderfinanzausgleich dafür, dass Hamburg als Stadtstaat überleben konnte.

Viel sprach zunächst dafür, dass Rundes rot-grüne Koalition bei der Wahl 2001 im Amt bestätigt würde, obwohl er kein Menschenfänger war, sondern eher spröde im Umgang mit Menschen blieb. Doch Runde unterschätzte die negative Stimmung zur inneren Sicherheit. Zu lange hielt er an Innensenator Hartmuth Wrocklage fest, der nicht bereit war, den SPD-Sheriff zu geben. Als ein gewisser Olaf Scholz sein Nachfolger geworden war, konnte der den Siegeszug von Ronald Schill nicht mehr aufhalten. Runde, der als einziger SPD-Bürgermeister nach Max Brauer 1953 abgewählt wurde, kehrte zu seinen Wurzeln zurück: Als direkt gewählter Abgeordneter des Bundestages, dem er bis 2009 angehörte, engagierte er sich wieder in der Sozialpolitik.

Am Wochenende feiert Ortwin Runde seinen 70. Geburtstag im heimatlichen Volksdorf mit seiner Familie und Freunden aus der Fußballzeit und der Politik. Jan Ehlers und Detlef Scheele sind dabei.